Annäherung an eine Ikone

Die Gefangene der Göttin: Ana de Armas überzeugt im Netflix-Biopic „Blond“ als Marilyn Monroe

Von der Sehnsucht eines Sexsymbols: Ana de Armas als  Marilyn Monroe in einer Szene des Films „Blonde“, der beim Filmfest von Venedig Premiere hatte und am 29. September bei Netflix startet.

Von der Sehnsucht eines Sexsymbols: Ana de Armas als Marilyn Monroe in einer Szene des Films „Blonde“, der beim Filmfest von Venedig Premiere hatte und am 29. September bei Netflix startet.

Alles, was den Zeitungen vor gut 60 Jahren einfiel, war, dass die tote Marilyn nackt gefunden wurde. So sang das auch Elton John 1973 in seinem Trauersong „Candle in The Wind“. Sogenannte Sexgöttinnen können halt beim Sterben keinen Pyjama tragen – bis zuletzt wurde auf den Sexappeal der Monroe abgehoben. Elton John verabschiedete sich allerdings explizit vom Menschen Marilyn: „Goodbye Norma Jeane …“ begann das Lied mit dem bürgerlichen Namen des Filmstars. „Deine Kerze brannte lange vor deiner Legende herunter.“ Marilyn Monroe ist eine Ikone bis heute, Norma Jeane Baker kennen die wenigsten.

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Ein Biopic aus einem 1000-Seiten-Roman

Was einer der Gründe für Andrew Dominik („Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, 2007) war, aus dem 22 Jahre alten 1000-Seiten-Monroe-Roman „Blond“ von Joyce Carol Oates einen Film zu machen. Nicht die erste Adaption – schon 2001 gab es eine Miniserie, von der indes nicht mehr in Erinnerung geblieben ist als die passable Norma-Jeane-Darstellerin Poppy Montgomery und eine Szene mit einer erlesen abstoßenden Kuss-Cunnilingus-Dreisamkeit.

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Die Marilyn in Dominiks „Blond“ ist nur Image, eine Erfindung von Norma Jeane Baker. Geht sie nach Drehschluss aus der Garderobe wird sie Norma Jeane. Gehen die Lichter am Set an und wird der erste Take ausgerufen, strahlt sie als Marilyn Monroe ihr umwerfendes Scheinwerferlächeln. Oft wurde von bissigen Kritikern die fehlende Charakterisierungskraft der Monroe bemängelt, wurde behauptet, all ihre Figuren seien im Grunde eine Figur. Dabei war Marilyn Monroe die Rolle, und Norma Jeane Mortensen die Darstellerin der Monroe.

Dominiks Film erzählt von einer schlimmen Kindheit. Die dem Wahnsinn verfallende Mutter (Julianne Nicholson) versucht, die kleine Norma Jeane (Lily Fisher) zu ertränken („Sei ein braves Mädchen und steig in die Wanne!“). Und mit Entsetzen stellt das kleine Mädchen fest, dass sie in ein Waisenhaus verbracht wird („Sei ein braves Mädchen und steig aus dem Auto!“). Mit einem Foto hat die Mutter die Sehnsucht des Töchterchens nach dem fehlenden Vater geweckt. Den Norma Jeane zeitlebens sucht, von dem sie Briefe erhält, der aber niemals auftaucht. Sie sucht einen Haltgeber und Richtungsweiser wie er im Patriarchat der Fünfzigerjahre quasi festgeschrieben stand. Diese Sehnsucht endet in Fiaskos – erst recht, nachdem Norma Jeane die Monroe erschaffen hat, die üppige Traumfrau, mit deren umwerfender Oberfläche ihre Männer sich begnügen, in deren Abgründe niemand blicken will. Damit, dass sie tatsächlich „hohe“ Literatur las, wurde sie lächerlich gemacht („Sie haben also Dostojewski gelesen – ha-ha, na dann ...“). Niemand sah Norma Jeane.

Marilyn und die Männer, Norma Jeane und die Mutterschaft

Und so glaubt auch die von Bobby Cannavale gespielte amerikanische Baseballikone Joe DiMaggio (der in Simon & Garfunkels Lied „Mrs. Robinson“ vermisst wurde), mit Marilyn Monroe verheiratet zu sein, und hält es nicht aus, wenn am Set zu „Das verflixte 7. Jahr“ (1955) ihr weißes Kleid vom Luftzug aus dem U-Bahnschacht hochgewirbelt wird. Er kennt Norma Jeane nicht – und schlägt zu. Fünfzigerjahremänner sind selbst Götter, sie kommen mit Göttinnen an ihrer Seite nicht klar. Der Dichter Arthur Miller (Adrien Brody), ihr dritter Ehemann, verletzt Norma Jeane, indem er ihre Beziehung als Inspiration für seine Arbeit nimmt. Zum empfundenen Scheitern als Ehefrau gesellt sich das Scheitern an der Mutterschaft. Man hört in diesem Film einen ungeborenen Fötus mit der Frau sprechen, die nie eine Mutter sein wird. Am Set nennt man sie „Liebes“, aber da ist keine Liebe, nicht einmal Gnade.

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Der Filmmogul Z (David Warshofsky), bei dem sie 1952 vorspricht, vergewaltigt Norma Jeane beim Vorsprechen. Und auch der junge, von Amerika zum Hoffnungsträger stilisierte Präsident John F. Kennedy (Caspar Philipson) lässt sich Marilyn zuführen wie ein Callgirl, lässt sich von ihr während eines Telefonats manuell und oral befriedigen und nennt sie kurz vorm Orgasmus eine „dreckige Hure“. Der Filmstar ist nur eine Bestätigung der eigenen Bedeutsamkeit. In diesen Szenen erweist sich „Blond“ als veritabler Horrorfilm über toxische Männlichkeit, über das Monstrum Mann, das glaubt, Sex auf der „Besetzungscouch“ oder dem Chefschreibtisch gehöre zum „Deal“. Mehr als ein halbes Jahrhundert später erst machte #metoo klar, dass ein solcher Deal nie existierte, dass die Zeit sexualisierter Herrschaftsverhältnisse abgelaufen ist.

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Ana de Armas spielt die Gefangene der Sexgöttin superb

Ana de Armas ist grandios mit ihren wunderbaren, suchenden und traurigen Norma-Jeane-Augen, wenn sie nuanciert das Grauen einer im Image Gefangenen spielt, die mit ihren Träumen und Wünschen zu niemandem mehr durchdringen kann. Viel wurde darüber geredet, dass eine Kubanerin ungeeignet sei, eine blütenweiße Kalifornierin zu spielen, geschweige denn zu sprechen. Doch wie de Armas dem Ernst und der Traurigkeit von Norma Jeane Baker Ausdruck verleiht, wie sie die melancholisch-kindliche Süße im Zungenschlag Marilyns heraufbeschwört, ist bemerkenswert. Einmal erstrahlt ihr Tausend-Watt-Lächeln wie aus dem Nichts, so, als sei Marilyn ein Geist, der in Norma Jeane gefahren ist. Creepy!

Und in de Armas’ Sätzen ist nicht mehr Kuba als London in Hugh Grants Auftritten in Hollywoodfilmen. Die Diskussion um die richtige Besetzung war so geschmacklos wie überflüssig. De Armas spielt oscarreif in einem Film, der überraschungsreich zwischen Farbe und Schwarzweiß wechselt. Und die Musik von Nick Cave und Warren Ellis umarmt die einsame Person auf der Leinwand, ist tönendes Mitgefühl und lässt Norma Jeane an ihrer warmen Schulter ruhen wie ein Freund.

Der Zuschauer kommt der Frau hinter Marilyn näher

Kritik war vorab zu hören, wieder einmal sei die Frau das Opfer. Nun – eine Siegergeschichte war hier beim besten Willen nicht zu schreiben gewesen. Aber wir sind der Frau hinter dem schönen Schein der Monroe nahegekommen, näher denn je, man leidet mit an der unerträglichen Schwere des Scheins, an der Flucht einer Frau vor dem Image. Alle Bücher – von Donald Spoto oder Norman Mailer, zu schweigen von dem herablassenden Machwerk von Joan Mellen, die eigentlich nur schreiben wollte, um wie viel toller sie Marilyns Vorgängerin Mae West findet – stehen da zurück. Selbst die Vorlage von Joyce Carol Oates.

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Man hat sie gefunden. Hello, Norma Jeane …

„Blond“, Film, 166 Minuten, Regie: Andrew Dominik, mit Ana de Armas, Adrien Brody, Sara Paxton, Bobby Cannavale, Julianne Nicholson, Garret Dillahunt, Scoot McNairy (ab 29. September bei Netflix)

https://www.youtube.com/watch?v=2XoZraOdWtY

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