„Blindspotting“: Starzplay bringt die Serie zum Kultfilm
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Die „Schwägerin“ nervt zutiefst: Ashley (Jasmine Cephas Jones, l.) und ihr Sohn Sean (Atticus Woodward) mit Trish (Jaylen Barron, r.), die von einer großen Laufbahn im Sexbusiness träumt.
© Quelle: starz
Nein, ein glückliches neues Jahr wird es wohl nicht werden für die schwarze Ashley (Jasmine Cephas Jones). Das blöde 2018 geht schon damit los, dass die Polizei ihren fast nackten Lebensgefährten Miles (Rafael Casal) in der Silvesternacht einfach so abführt. „Okay, geben Sie ihm eine Jacke“, erlaubt der Officer generös. Ein Kuss noch und ein Spruch: „Es ist doch ein bisschen romantisch, oder?“, witzelt Miles, der mit einer Tasche voller Drogen erwischt wurde. Ashley fragt „Was ist unser Onlinepasswort?“, „Meine Schlüssel!“, ruft sie dann noch, doch da ist das Polizeiauto schon um die Ecke und sie ausgesperrt.
Die Serie erzählt, was nach dem Film „Blindspotting“ passierte
Egal, mit wie vielen Zitronen das Leben dich bewirft, bleib guter Dinge, ist die Botschaft, mit der die Serie „Blindspotting“ beginnt – ein halbes Jahr nach den Ereignissen des gleichnamigen Kultfilms von Carlos López Estrada, der 2018 beim Sundance-Festival Premiere feierte.
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Dabei schien alles perfekt zu laufen für Ashley und Miles und Söhnchen Sean (der erst mal angelogen wird, Dad sei mit Onkel Collin eine Weile in Montana). Zwei Einkommen, neuer Wohnort, ein geleastes Auto – und jetzt sind sie plötzlich wieder da, die alten Problemzonen von Armut und Kriminalität. Ashley, 32, muss zu Miles‘ Mutter Rainey (Helen Hunt) und seiner Halbschwester Trish (Jaylen Barron) ziehen, um finanziell über den einen Monat zu kommen, den Miles ihr als wahrscheinliche Haftzeit angibt. Aber dem Gesicht des Häftlings ist – als Ashleys erster Besuch im Oakland Penitentiary vorüber ist – deutlich anzusehen, dass er wohl länger einsitzen wird. Knapp fünf Jahre werden schließlich daraus.
Parallel zum Thrill wurde im Film ein sozialer Wandel gezeigt
Die Serie „Blindspotting“ wurde – wie schon der Film – von Casal und seinem einstigen Co-Star Daveed Diggs (Tony-Gewinner für „Hamilton“) geschrieben, der Tonfall ist ähnlich. Der Film erzählte 2018 anhand der Geschichte zweier Freunde vom Rassismus in den USA. Zur Erinnerung: Der auf Bewährung in Freiheit befindliche Afroamerikaner Collin (Diggs) und sein leichtfüßiger weißer „Bruder“ Miles arbeiteten als Möbelpacker in Oakland, als Collin eines Tages Zeuge wurde, wie ein Polizist einen unbewaffneten Schwarzen niederschoss.
Collin fürchtete, dass ihn eine Anzeige nur zurück ins Gefängnis brächte. Bis zum Showdown auf dem Grundstück des Schützen bauten Estrada und seine Autoren die Spannung minutiös auf. Parallel wurden die Veränderungen in der Stadt gezeigt, wie einfallende weiße Geldtypen die Nachbarschaft der Kumpels verändern. Unvergesslich die kurzen Rapgewitter, mit denen die Protagonisten dem Publikum den Grad ihrer Entfremdung mitteilten.
Helen Hunt rappt auf dem Weg nach Hause
Das neue Familienmiteinander ist kein leichtes. Rainey versucht zwar, den Neuankömmlingen einen guten Boden zu bereiten. Aber mit der aufgequirlten Trish ist es schon schwieriger für Ashley. Die „Schwägerin“ macht erste Schritte im Sexbusiness, sie träumt von einem eigenen Club, in dem für die Frauen alles toller und freier wird als früher. Sie vermutet indes, dass Ashley ihrem Bruder eine Beteiligung an der Finanzierung des Vohabens ausgeredet hat, und so ist sie zwar eine coole Tante für Sean, aber „living hell“ für Ashley, und die meistgebrauchte Vokabel im Dialog der beiden ist „bitch“, gefolgt von „Jesus ‚fucking‘ Christ“.
Hunt („Verrückt nach dir“), die als eine der wenigen Weißen souverän im Schwarzenviertel unterwegs ist, ja auf dem Nachhauseweg sogar rappt, hat einigen Anteil am Gelingen der Komödie – etwa wenn sie als Rainey in Stresssituationen ihre leicht unheimlichen Körper-Geist-Vertonungen mitten auf der Straße auswirft und die Passanten einen weiten Bogen um die vermeintlich Irre schlagen. Oder wenn sie, um dem Enkel Sean die doch etwas längere Absenz des Vaters zu erklären, in der Buchhandlung zwar eine ganze Palette von Kinderbüchern vorfindet, die sich mit dem Thema Gefängnis auseinandersetzen, aber sehr zu ihrem Erstaunen kein einziges, in dem der inhaftierte Vater ein Weißer ist.
Cephas Jones tanzt ein grandioses Ballett des Zorns und der Befreiung
Ein Buch findet sich immerhin, wo die Sache anhand von – braunen – Kaninchen erklärt wird. Amerika ist das Land der freien Weißen und der in vielerlei Hinsicht gefangenen Schwarzen. Zwar zeigen Casal und Diggs den US-Rassismus nicht so plakativ, wie es zuletzt in den den fantastischen Genres zuzurechnenden Serien „Watchmen“ oder „Lovecraft Country“ zu sehen war. Und sie sind weit von den Terrorbildern der jüngsten Serien und Filme über die Zeit der Sklaverei und Sklavenbefreiung entfernt – voran Barry Jenkins’ an Charles Laughtons „Nacht des Jägers“ erinnernder Serie „The Underground Railroad“.
Aber es ist ebenso erschütternd zu sehen, wie der tumbe Hass plötzlich aus vermeintlich harmlosen Hotelgästen an Ashleys Hotelrezeption durchbricht, die in dem oder der Schwarzen nur Diener, Dealer oder Sexobjekte sehen. Auch wenn Mord, Folter und Polizeigewalt (zumindest bis zur dritten von drei zur Sichtung gewährten Folgen) ausbleiben, ist „Blindspotting – die Serie“ keine Happy-go-lucky-Version von „Blindspotting – der Film“. Ashleys Zerstörungsballett, das sie mit einem Tennisschläger in der Suite einer rassistischen Trust-Fund-Prinzessin tanzt, hat denn auch für den Zuschauer etwas ungemein Erleichterndes. Jasmine Cephas Jones spielt die jäh Zornerfüllte mit dem großen Herzen ganz hinreißend.
Immer wieder löst sich Spannung in Musicalnummern
Auch in der Serie ist das surreale Brausen des Films zu spüren, immer wieder borden die Bilder über den Rand der Realität. Actionszenen aus dem Fernsehen verlagern sich in Seans Fantasie ins Wohnzimmer. Eine Straßenszenerie voller Passanten verwandelt sich plötzlich in eine Art Musicalnummer, Umzugsleute werden mit ihren Kartons plötzlich zu Jazzmusik funky und ein Auto malt in wilder Kreisbewegung Gummigraffiti auf den Asphalt. Dazu kommen Ashleys situative Raps, während sich das alte Kinderzimmer von Miles um sie dreht. Das Leben ist Musik in „Blindspotting“, allen Unbilden zum Trotz.
Realismus trifft aufs La-La-Land. Und in Tristesse zu versinken gilt nicht. Manchmal geschieht Unerwartetes. Der Straßenräuber, den Trish mit einem Verbalschwall bequatscht, Ashleys Verlobungsring gefälligst wieder zurückzugeben, wünscht Ashley zum Abschied tatsächlich alles Gute für die Ehe. Richtig märchenhaft. Und wenn er nicht gestorben ist …
„Blindspotting“, acht Episoden bei Starzplay/Amazon Prime Video, von Daveed Diggs, Rafael Casal, mit Jasmine Cephas Jones, Helen Hunt (ab 13. Juni)