Alexandra Maria Lara: „Das Kino wird die Krise überstehen“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/JLDA7S3JINBUDJ5WZT77OQFALY.png)
© Quelle: picture alliance/dpa
Alexandra Maria Lara, schwelgen Sie gern in Erinnerungen?
Ja, schon. Vor allem jetzt, wo ich bald Mitte 40 bin und mit meinen meisten Freunden auf eine mehr als 20-jährige Freundschaft zurückblicken kann, liebe ich das sehr. Weil man weiß, man hat schon so viele Dinge gemeinsam erlebt und durchgestanden. Wenn man allerdings zu lange in Erinnerungen schwelgt, kann das auch einen melancholischen Touch bekommen. Spätestens dann finde ich es immer gut, ins Präsens zurückzukehren.
Gibt es so etwas wie eine liebste Erinnerung?
Da gibt es viele. Etwa an die Zeit, als ich Mutter geworden bin, oder als ich mich in meinen Mann verliebt habe. In beiden Fällen habe ich großes Glück gehabt und habe dementsprechend gute Erinnerungen daran.
Aber sind Sie sich denn sicher, dass Ihre Erinnerungen wahr sind?
Nicht mehr ganz so sicher wie vor dem Dreh von „8 Zeugen“. (lacht)
In der Serie „8 Zeugen“ spielen Sie eine Psychologin, die Expertin für Erinnerungen ist.
Die Tatsache, dass eine so starke und facettenreiche Figur das Zentrum der Handlung bildet, hat mich sofort in den Bann gezogen. Während der Dreharbeiten habe ich eine Menge über das Thema Erinnerung gelernt, das ja die Basis der Geschichte von „8 Zeugen“ ist. Und tatsächlich habe ich mich manchmal gefragt, ob so manche Erinnerung an die Kindheit eine echte Erinnerung ist, oder doch nur aus Erzählungen stammt. Man spricht ja oft mit den Eltern oder Geschwistern über vergangene Zeiten. Wenn dann alle Geschichten von früher erzählen, immer wieder, kann es sehr schnell passieren, dass sich alles ein bisschen vermischt. Und irgendwann stellt man möglicherweise fest, dass die eigene Erinnerung gar nicht die eigene, sondern eine erzählte Erinnerung ist.
Die Hauptperson der Serie, die Sie spielen, ist die Erinnerungsforscherin Jasmin Braun. Was ist das für eine Frau?
Sie ist eine sehr intelligente und ehrgeizige Frau. Dass sie aber auch Schwächen und Unsicherheiten hat, wird gleich zu Beginn der Geschichte deutlich. Sie soll überraschenderweise bei Ermittlungen im Rahmen einer Kindesentführung helfen, und vor allem soll sie Aussagen von Zeugen bewerten – ob deren Erinnerungen zutreffend sind, welche Faktoren die Erinnerung gestört haben könnten. Sie fühlt sich anfangs unwohl in der ihr zugetragenen Rolle, auch weil sie normalerweise nicht eins zu eins mit Menschen spricht, sondern ausschließlich mit Transkripten von Zeugenaussagen arbeitet. Das sagt sie auch immer wieder. Da aber ein zehnjähriges Mädchen entführt worden ist und die Zeit immer knapper wird, lässt sie sich drauf ein, auch selbst mit den Zeugen zu sprechen. Was dann passiert, ist sehr spannend – denn die Art, wie eine Psychologin und Erinnerungsforscherin Verhöre führt, unterscheidet sich doch sehr von den Vernehmungen der Polizei.
Vorbild für die Rolle ist die Erinnerungsforscherin Julia Shaw
Ein besonderes Merkmal von „8 Zeugen“ ist zudem, dass die Folgen hauptsächlich in einem Verhörraum spielen. Actionszenen oder etwas Ähnliches sind nicht zu sehen. Das erinnert alles an ein Kammerspiel.
Und trotzdem bleibt man als Zuschauer atemlos, das ist vor allem den großartigen Drehbüchern von Jörg Lühdorff geschuldet. Denn in einer solchen kammerspielartigen Atmosphäre die Spannung zu halten ist eine Kunst. Gleichzeitig ist dieses kammerspielartige Konzept ein Traum für jeden Schauspieler. Wir haben zeitweise bis zu 14-minütige Takes gedreht. Da hatte ich schon manchmal das Gefühl, ich sitze auf einer Theaterbühne. Das hatte eine ganz eigene Intensität.
Vorbild für Dr. Jasmin Braun ist die reale Erinnerungsforscherin Dr. Julia Shaw. Kannten Sie sie bereits vor Ihrer Rolle?
Ich hatte sie einmal bei einem Auftritt bei Jan Böhmermann gesehen. Und ihr Auftritt war so stark, dass sie mir direkt im Gedächtnis geblieben ist.
Julia Shaw hat nachgewiesen, dass man Erinnerungen manipulieren kann. Sie hat eine Studie veröffentlicht, in der sie 70 Prozent ihrer Probanden davon überzeugt hat, ein Verbrechen in der Vergangenheit begangen zu haben. Aber die Leute hatten mit dem Verbrechen in Wahrheit nichts zu tun. Trotzdem erinnerten sie sich daran, die Tat begangen zu haben, allein durch die Manipulation von Julia Shaw. Das klingt sehr beunruhigend.
Ja, sehr. In der Serie kommt dieses Verfahren auch einmal vor, Jasmin Braun wendet es an, um an einen Namen zu kommen. Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubt.
„Wie genau funktioniert Verdrängung?“
Warum macht sie es trotzdem?
Das einzige Argument, was stärker sein kann als die moralischen Bedenken, ist, dass es um das Leben eines kleinen Kindes geht. Gerade dieses Verhör in Folge vier war toll zu spielen. Aber es ist natürlich eine erschütternde Vorstellung, wie manipulierbar und auch fehleranfällig unser Gehirn ist.
Und es ist erschreckend, wie viele Zeugenaussagen in Ermittlungen und Gerichtsverfahren vielleicht auch falsch sein können. Einfach, weil unser Gehirn oft unzuverlässiger arbeitet, als wir meinen.
Genau. Diese Einflüsse auf das Gehirn können wir oft gar nicht beeinflussen, das liegt nicht in unserer Macht. Das hat mich auch fasziniert: Wie genau funktioniert Verdrängung in Bezug auf unsere Erinnerungen?
Julia Shaw war auch wissenschaftliche Beraterin für die Serie. Wie sah das aus?
Ich habe Julia Shaw getroffen, bevor die Corona-Krise begann. Das war, als wir alle zusammen das Projekt vorgestellt haben – eine wirklich schöne Begegnung. Wir hatten das große Glück, dass sie unserem Autor und Regisseur schon bei der Drehbuchentwicklung zur Seite stehen konnte, und dabei geholfen hat, dass die Dinge, die ich in meiner Rolle mache und sage, auch Hand und Fuß haben.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QSG4ZZGEJFKNWJGGI5CYWXBXVI.jpg)
Beeindruckende Filmografie: Alexandra Maria Lara, hier in „Zum Schweigen verurteilt“.
© Quelle: Neue Visionen
Hatten Sie denn genug Spielraum für die Interpretation der Rolle, oder hat es Sie eingeengt, dass es ein reales Vorbild gibt, das dann auch noch in beratender Funktion dabei ist?
Ich habe ehrlich gesagt nur davon profitiert, und hatte beim Spielen absolut freie Hand.
Sie sind 1983 als Kind mit Ihren Eltern aus Rumänien geflohen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Flucht?
Darüber habe ich nach dem Ende unserer Dreharbeiten auch nachgedacht: Mir wurden ja schon früh in jungen Jahren Fragen über unsere Flucht und unsere Vergangenheit in Rumänien gestellt. Ich habe dann angefangen, diese Fragen zu beantworten, in meinem Fall mit Anfang 20. Aber mit der Zeit und nach vielen solcher Interviews sitzt man doch plötzlich da und fragt sich: Erinnere ich mich wirklich daran oder scheint es mir nur eine echte Erinnerung, weil wir so oft darüber gesprochen haben? Ich war ja erst viereinhalb, als meine Eltern mit mir geflohen sind. Und meine Eltern haben sich zum Schutz aller auch große Mühe gegeben, mich nicht spüren zu lassen, dass etwas Großes passiert. Aber ich erinnere mich schon an die drei Tage und Nächte im Auto und habe ganz detaillierte Bilder vor mir, etwa wie die Bettwäsche aussah, die ich hinten auf der Rückbank liegen hatte.
Sie trauen trotz der Serie Ihren Erinnerungen also noch?
Ja, aber ich betrachte den Erinnerungsprozess differenzierter.
„Ich habe 2020 fast mehr gearbeitet als in den Jahren zuvor“
Sie haben eine beeindruckende Anzahl an Filmen und Serien in Ihrer Filmografie. Fühlen Sie sich momentan durch Corona ausgebremst, oder freuen Sie sich, dass Sie mehr Zeit für Ihre Familie und für sich haben?
Bei mir verlief das vergangene Jahr etwas anders, ich blicke auf eine gegenteilige Erfahrung zurück: Denn ich habe 2020 fast mehr gearbeitet als in den Jahren zuvor. Ich konnte gar nicht glauben, dass ich in diesem Jahr und in dieser weltweit verrückten Zeit zwei so schöne Hauptrollen spielen konnte: zum einen in „8 Zeugen“, und zum anderen habe ich einen wunderschönen Kinofilm gedreht, der heißt „Töchter“ und ist eine Verfilmung eines Romans von Lucy Fricke. Da habe ich mit Birgit Minichmayr und Josef Bierbichler zusammen gespielt – eine Erfahrung, die ich um nichts missen möchte. Aber ich schaue auch jetzt noch manchmal auf das vergangene Jahr zurück und frage mich, wie wir da durchgekommen sind.
Inwiefern?
Es ist unglaublich, wie wir das alles geschafft haben. Ohne den Mut und das Durchhaltevermögen der Produzenten wäre es auch nicht möglich gewesen. Gerade „Töchter“, das ist ein Roadmovie, das in Griechenland und Italien spielt. Wir haben dort gedreht, als die Pandemie schon tobte. Es war ein Wunder, dass wir den Film trotzdem fertigstellen konnten.
Ist „8 Zeugen“ ebenfalls unter Corona-Bedingungen entstanden?
Ja. Und man muss sagen: Diese Serie ist gewissermaßen ideal für Dreharbeiten unter Corona-Bedingungen, eben durch dieses Kammerspielartige. Wobei wir ja auch noch die Ermittlungszentrale hatten, die Ralph Herforth und Ceci Chuh bespielen. In dem Raum war dann immer ein bisschen mehr Action mit Kleindarstellern und Komparsen. Dafür haben wir unsere Außendrehs auf zwei Tage beschränken können.
Aber das zeigt ja, dass es Möglichkeiten gibt, auch unter diesen Umständen zu drehen.
Ja, für Dreharbeiten hat man gute Möglichkeiten gefunden. So haben die Produktionsfirmen relativ schnell damit begonnen, Geld in Corona-Tests und Schutzmaßnahmen zu investieren, um das Risiko zu minimieren. Deswegen kann man die Situation von Filmschauspielern auch nicht mit der von Theaterschauspielern vergleichen. Diese können momentan überhaupt nicht auf der Bühne stehen, und das stelle ich mir hart vor.
In der Corona-Krise geht der Blick auch immer nach England
Wie geht Ihr Mann Sam Riley mit der Situation um?
Tatsächlich war das nicht so einfach, weil wir ja immer den Doppelblick hatten. Wir leben hier in Deutschland und haben die Situation hier mitbekommen, sehr real und sehr aktuell – etwa mit meiner Mutter, die auch Risikopatientin ist. Gleichzeitig hatten wir immer den Blick nach England, wo die Lage zwischendurch auch immer wieder sehr erschütternd war. Mein Mann war vergangenes Jahr sehr besorgt, ist mittlerweile aber auch wieder hoffnungsvoll.
Im vergangenen Jahr hat Ihr Mann mit Blick auf England gesagt, er sei froh, dass er in Deutschland, nicht in England lebt. Ist es jetzt umgekehrt?
Er hat mal im Spaß gesagt: Wenn ich in England arbeite, könnte ich mich auch impfen lassen. Aber das war nur ein Witz. Wir sind natürlich erleichtert, dass die Engländer momentan einen so guten Job mit den Impfungen machen, auch in Bezug auf unsere Familie.
Das Kino war in den vergangenen Jahren schon durch Streamingdienste wie etwa Netflix in der Krise. Jetzt kommen auch noch die langfristigen Schließungen durch Corona dazu. Hat das Kino überhaupt noch eine Zukunft?
Absolut. Das Kino schafft das, es wird die Krise überstehen, da bin ich mir sicher. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Schauspieler und Filmemacher können auch froh sein, dass durch die Streamingdienste die Möglichkeit besteht, neue Filme zu zeigen, anstatt sie in der Versenkung verschwinden zu sehen.
Aber ist Streaming nicht der natürliche Feind des Kinos?
Ich störe mich an der Konkurrenzsituation nicht so sehr, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das eine das eine und das andere das andere ist. Für mich ist das Gefühl, im Kino zu sitzen, mit nichts zu vergleichen. Der Saal wird dunkel, die Bilder kommen, und man taucht in eine andere Welt ein. Das ist einzigartig. Das heißt aber nicht, dass ich nicht abends auch gern auf dem Sofa sitze, die Beine hochlege und eine Serie oder einen Film anschaue, wann es mir beliebt.
Wie steht es eigentlich mit Ihren eigenen Plänen, selbst Regie zu führen?
Ich habe jetzt so schöne Rollen gespielt, das habe ich sehr genossen. Aber irgendwann werde ich auch eine Regie übernehmen. Der Plan ist nicht vom Tisch. Jetzt gerade soll es anders sein.
Sie drehte mit Francis Ford Coppola
Am häufigsten wird Alexandra Maria Lara wohl mit ihrer Rolle als Hitlers Sekretärin Traudl Junge in dem Kinofilm „Der Untergang“ in Verbindung gebracht. Durch diesen Film aus dem Jahr 2004 wurde einer der berühmtesten Regisseure der Welt auf die damals 25-Jährige aufmerksam: Francis Ford Coppola gab Lara die Hauptrolle in seinem Film „Jugend ohne Jugend“. Der Film kam 2008 in die Kinos.
Geboren wurde Alexandra Maria Lara 1978 als Alexandra Maria Platareanu. Ihr Vater war Schauspieler, ihre Mutter ist Sprachwissenschaftlerin. 1983 floh die Familie vor dem Ceaușescu-Regime aus Rumänien. Alexandra Maria Lara war damals vier Jahre alt.
In der neuen Serie „8 Zeugen“, die ab dem 25. März bei TV Now zu sehen ist, spielt Lara eine Psychologin. Diese ermittelt gemeinsam mit der Polizei im Fall einer Kindesentführung. Vorbild für die Rolle der Jasmin Braun ist die deutsch-englische Gedächtnisforscherin Julia Shaw. TV Now veröffentlicht alle acht Folgen am Stück, später ist eine Ausstrahlung bei Vox geplant.