Jugendhilfe

Welche Chancen bei Abschiebungen das Kindswohl hat

Über den Umgang mit Abschiebungen von Familien wird in Dresden diskutiert.

Über den Umgang mit Abschiebungen von Familien wird in Dresden diskutiert.

Dresden. Premiere im Jugendhilfeausschuss: Erstmals hat es in diesem Gremium eine öffentliche Expertenanhörung gegeben. Und wie es sich für die ambitionierte Riege von Stadträten und Vertretern der freien Träger gehört, stand ein schwergewichtiges Thema auf der Tagesordnung: das Wohl von Kindern im Spannungsfeld von Abschiebungen. Der Oberbürgermeister soll durch „geeignete Maßnahmen“ die Verletzung der Kinderrechte ausschließen und dazu einen Maßnahmeplan erarbeiten, lautet der kühne Antrag, über den beraten werden sollte.

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Wiederholt hatte es in der Vergangenheit für Aufsehen gesorgt, wenn wie üblich in solchen Fällen am frühen Morgen Familien mit ihren Kindern aus den Betten geholt werden, um ihr Ausreise zwangsweise durchzusetzen. Teilweise wurden Jugendliche dabei von der Polizei in Handschellen gelegt. In verschiedenen Fällen kam es zur Trennung von Familienmitgliedern.

Traumatische Erlebnisse für Kinder

Dabei stellt niemand in Fragen, dass es für Kinder ein traumatisches Erlebnis sein muss, aus dem Schlaf gerissen zu werden, nicht zu verstehen, was abläuft, und die Hilflosigkeit ihrer Eltern zu erleben. Noch Jahre später bedrückt Erwachsene die Erinnerung, was sie in dieser Situation als kleines Kind gern mitgenommen hätten, aber in der Hektik zurücklassen mussten.

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Auf der anderen Seite lässt sich die Abschiebung natürlich grundsätzlich als Bedrohung für das Kindswohl verstehen, trotzdem handelt es sich um rechtsstaatliche Entscheidungen, die grundsätzlich umgesetzt werden müssen, wenn der Asylanspruch nur bestimmten Menschen zusteht.

Kindswohl ist ein „hohes Gut“

Mit dem Beitritt zur UN-Kinderrechtskonvention habe Deutschland den Schutz des Kindswohls als „hohes Gut“ Gesetzeskraft verliehen. Deshalb müssten in jedem Einzelfall auch die psychischen Auswirkungen einer Abschiebung geprüft werden, erklärt Prof. Ruthard Stachowske von der Evangelischen Hochschule Dresden (EHS). Der von den Grünen eingeladene Wissenschaftler forderte die Sammlung von Kriterien in einem Katalog, wie die Entscheidungen zu treffen sind“.

Holger Keune, als Abteilungsleiter der Zentralen Ausländerbehörde in der Landesdirektion Sachsen für die sogenannten „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ zuständig, versicherte, dass stets versucht werden, „Familien nach Möglichkeit nicht auseinanderzureißen“.

Behörde will Familientrennung möglichst vermeiden

Dies hänge aber vom Einzelfall ab. So sei bei einer elfköpfigen Familie, bei der sich einige Kinder gerade im Schullandheim befanden, entschieden worden, erst eine Gruppe der Kinder mit einem Elternteil abzuschieben. Der zweite Elternteil sei dann mit den verbliebenen Kindern später freiwillig ausgereist. Die morgendlichen Auftritte der Polizei seien aber meist notwendig, weil die Flüge zur Abschiebung auch am frühen Vormittag auf dem Plan stünden, erläuterte Keune, den die CDU eingeladen hatte.

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In jedem Fall werde die lokale Ausländerbehörde vor einer Abschiebung kontaktiert, um zu ergründen, ob es aktuell beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen Abschiebehindernisse gebe. Wann die Abschiebung erfolgen soll, dürfe jedoch nicht angekündigt werden. Es gebe „keine Abschiebung ohne Zustimmung der unteren Ausländerbehörde“, den zuständigen Ämtern in den Kreisfreien Städten beziehungsweise des Landratsämtern also.

Die Pirnaer Rechtsanwältin Anne Nitzschke – auf Antrag der Freien Träger bei der Anhörung – verwies darauf, dass nach einer Gesetzesverschärfung seit einigen Jahren die Gesundheit zunächst grundsätzlich nicht als Hindernis betrachtet werde, sondern dies ausdrücklich nachzuweisen sei. Eine Abschiebung stelle immer Zwang dar, dieser müsse aber angemessen sein. Polizei und Behörden müssten das Kindswohl immer „wohlwollend prüfen“.

Abschiebung ist immer auch Zwang

Nitzschke widersprach auch der Argumentation, Eltern seien für die Kindswohlgefährdung selbst schuld, weil sie nicht freiwillig ausreisen würden. „Die Kinder können nichts dafür“, meinte die Rechtsanwältin und sprach sich für den Einsatz der Jugendhilfe aus, weil Eltern ihre Kinder in einer Abschiebungssituation nicht beschützen könnten.

Für Thomas Berthold von der Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, wenn es zu Abschiebungen mit Zwangsmitteln kommt. „Dann ist vorher etwas schief gelaufen.“ Schon im Vorfeld müsse die Jugendhilfe als Partei der Kinder in die Entscheidungen eingebunden werden. Das Zeitargument für die nächtlichen Abschiebung ließ Berthold (auf Einladung der Linken im Ausschuss) nicht gelten. Mit den geplanten Anker-Zentren werde die Arbeit der Jugendhilfe noch wichtiger, weil darin die Ankunft und die besonders für Kinder angsteinflößende Ausreisebedrohung noch stärker verknüpft würden.

Jugendhilfe als „Vollstreckungshelfer“

„Es gibt keine sanfte Abschiebung“, stellte Jurist Thomas Meysen vom SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies (Heidelberg) fest und erntete allgemein Zustimmung. „Es lohnt sich deshalb nicht, darauf zuzuarbeiten“, fügte der von der Verwaltung eingeladene Experte nüchtern hinzu. Seit 2015 sei es verboten Abschiebungen anzukündigen. „Das kann ein Beschluss im Jugendhilfeausschuss auch nicht ändern.“

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Der Zusammenhalt der Familien sei ein Gebot, dass eine Abschiebung inakzeptabel machen könne. „Nachts abholen ist für Kinder ein No-Go“, stellte er klar. Er mahnte aber: „Will die Jugendhilfe wirklich dabei sein?“ Er würde sich das gut überlegen, es drohe Vereinnahmung, das Bild des „Vollstreckungshelfers“ stellte er in den Raum. Aber die Jugendhilfe hätte im Prinzip „keinen Einfluss darauf“.

„Mit Anker-Zentren kommt etwas auf Sie zu“

„Mit den Anker-Zentren kommt was auf Sie zu“, mahnte er die Jugendhilfevertreter. Die Unterbringung unbegleiteter Minderjähriger Ausländer in diesen Zentren „scheidet aus“, das sei nicht kindswohl-fördernd. Sollte die Rechtslage geändert werden, könnte das der Kinderrechtskonvention widersprechen. Auch bei begleiteten Kindern könnte es mit den Anker-Zentren Probleme geben, weil sie nach drei Monaten Anspruch auf den Zugang zu Bildung haben. Meißen empfahl den Ausschuss-Mitgliedern: „Unterstützen Sie dort, wo Sie sich darauf verlassen können, gehört zu werden, tun sie es nicht, wenn das ausgeschlossen ist.“

Damit legte Meysen, der auf die bundesweite Beachtung für die Anhörung im Dresdner Ausschuss verwies, den Finger in die Wunde. Welchen Einfluss hat die Jugendhilfe auf die Ausländerbehörde? Bei einem Anteil an minderjähringen Flüchtingen von 45 Prozent 2017, ist die Bedeutung dieser Frage immens. Eine Pflicht der Ausländerbehörde zur Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe stellte keiner der Experten fest. So bleibt es bei Appellen. Da wird auch der OB nichts ändern können.

Von Ingolf Pleil

DNN

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