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Mieter in Dresden

Warum der SPD-Finanzbürgermeister den Woba-Totalverkauf kritisch sieht

Die kunterbunten Fassade der Plattenbauten der so genannten "Strassburg" am Straßburger Platz. Sie gehörte einst der Woba.

Die kunterbunten Fassade der Plattenbauten der so genannten "Strassburg" am Straßburger Platz. Sie gehörte einst der Woba.

Dresden. Ohne den Woba-Totalverkauf hätte sich Dresden in den vergangenen Jahren nicht derart erfolgreich entwickelt, heißt es oft. Finanzbürgermeister Peter Lames (SPD) widerspricht vehement: Die Woba-Millionen hätten träge gemacht und notwendige Konsolidierungen verhindert. Seine These: Angesichts niedriger Zinsen wäre es auch auf andere Weise möglich gewesen, die Stadt zu entschulden.

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Frage: Wenn die Woba heute zum Verkauf gestellt werden sollte und sie wieder Fraktionsvorsitzender wären: Wie würden Sie entscheiden?

Peter Lames: Ich würde an meinem damaligen Nein zum Totalverkauf der Woba festhalten.

Der Totalverkauf war nicht alternativlos

Trotz all der positiven Folgen für die städtischen Finanzen, von denen Sie als Finanzbürgermeister profitieren?

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Der Totalverkauf der Woba hat in der Tat einen Konsolidierungseffekt von 70 Millionen Euro pro Jahr gebracht. 30 Millionen davon waren der Tilgungsanteil. Ich betone den Begriff Totalverkauf, denn dieser war nicht alternativlos. Das kommt mir in der Debatte viel zu kurz. Man hätte auch eine Minderheitsbeteiligung an der Woba verkaufen oder aber Wohnungsbestände aus dem Unternehmen herauslösen und auf den Markt bringen können. Statt 47 000 Wohnungen hätte die Stadt beispielsweise 27 000 Wohnungen verkaufen und 20 000 behalten können. Das würde uns heute erheblich bei den Problemen helfen, die wir zu bewältigen haben.

Balance nicht gewahrt

Balance nicht gewahrt: Peter Lames kritisiert den Woba-Totalverkauf.

Aber der Totalverkauf hat Dresden entschuldet. Ist eine schuldenfreie Großstadt nicht deutschlandweit einmalig?

Deutschlandweit einmalig ist aber auch eine Stadt vergleichbarer Größe ohne nennenswerten eigenen Wohnungsbestand. Auch das sollte uns zu denken geben.

Wäre Dresden mit einem Teilverkauf heute schuldenfrei?

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Das wäre weitgehend erreichbar gewesen. Man hätte damals mit dem Erlös eines Teilverkaufs einen Teil der Schulden tilgen können. Es wäre die Aufgabe geblieben, den verbleibenden städtischen Schuldenbestand weiter schrittweise zu reduzieren. Das hätte zu der Notwendigkeit geführt, weitere Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen, von denen man in der Folge abgesehen hat. Zudem wäre uns – was damals aber niemand vorhersehen konnte – die Absenkung des Zinsniveaus zugute gekommen. Beim heutigen Zinsniveau begründet die Schuldenfreiheit keinen nennenswerten Wettbewerbsvorteil. Ansonsten hat sich der Konsolidierungseffekt, was die aktuelle Haushaltsdiskussion angeht, weitgehend verflüchtigt.

Wie stehen Sie zum Wert der Schuldenfreiheit?

Da habe ich in den vergangenen 13 Jahren meine Meinung geändert. Ich habe damals die Schuldenfreiheit einer Kommune als weniger wertvoll eingeschätzt, weil Schulden ökonomisch gesehen nicht unvernünftig sind. Mit 13 Jahren politischer Erfahrung mehr und aus der Sicht des heutigen Amtes habe ich aber Zweifel, ob unter den aktuellen Bedingungen der politischen Kultur ein vernünftiger Umgang mit den Möglichkeiten und Gefahren, die in einer Verschuldung liegen, vom aktuellen politischen Betrieb zu erwarten ist. Deshalb verteidige ich die erreichte Schuldenfreiheit mit großer Intensität, auch wenn das nicht beliebt macht.

„Wir holen auf, brauchen aber Geduld und einen langen Atem.“

Hätte sich Dresden ohne Woba-Verkauf das Kraftwerk Mitte, den Kulturpalast oder das Sanierungsprogramm für die Schulen leisten können?

Im Rahmen des Konsolidierungskurses wären auch erhebliche und nachhaltige Investitionen in die Zukunft möglich gewesen. Die Erzählung, dass allein ein Konsolidierungseffekt aus dem Woba-Verkauf die Entwicklung der Stadt und die nachfolgenden Investitionen möglich gemacht hat, ist einfach nicht richtig angesichts der Alternativen, die es gegeben hat.

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Dresden saß 2006 auf einem riesigen Berg Schulden. Jetzt steht die Stadt hervorragend da. Wurde nicht vielleicht doch alles richtig gemacht?

Nach 1990 mussten zunächst die Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs aus DDR-Zeiten behoben werden. Die dafür notwendigen erheblichen Investitionen haben nur mit einer gewissen Verzögerung zu einem Anwachsen der Steuereinnahmen geführt. Wir können jetzt seit 2013, 2014 feststellen, dass sich die Möglichkeiten der Stadt deutlich erweitern. Es ist zu einem raschen Aufwuchs des Steueraufkommens gekommen, die Gewerbesteuer hat teilweise Sprünge von 50 Prozent hingelegt. Da sprechen wir von 100 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr. Trotzdem liegen wir bei den Pro-Kopf-Steuereinnahmen gemeinsam mit Leipzig bei den vergleichbar großen Städten in Deutschland immer noch an letzter Stelle. Wir holen auf, brauchen aber Geduld und einen langen Atem. Daran hat der Woba-Verkauf nichts geändert.

Hat sich für die Woba-Mieter mit dem Kauf etwas geändert? War die Woba ein Mieterparadies?

Der Kaufpreis für die Woba ist nicht vom Himmel gefallen. Er muss erwirtschaftet werden und wird erwirtschaftet durch die Bewirtschaftung der Dresdner Wohnungen. Von dem Mieterparadies, das die Woba-Verkäufer 2006 versprochen haben, sind wir weit entfernt. Der Mieterverein hat beispielsweise vor dem Stadtrat sehr eindrucksvoll dargelegt, dass es im großen Umfang bei Mieterhöhungsverlangen der Vonovia zu fehlerhaften Einstufungen der Wohnlagen gekommen ist. Das wurde in zahlreichen Fällen korrigiert, in zahlreichen Fällen aber auch vor Gericht ausgetragen. In 90 Prozent dieser Fälle haben sich die Erhöhungsersuchen als fehlerhaft herausgestellt. Es trifft auf Mieterinnen und Mieter, die oftmals des Kämpfens müde sind. Aber auch die städtische Woba war kein Mieterparadies. Aber immerhin wurden die Verantwortlichen alle fünf bzw. sieben Jahre gewählt. Das geht nicht mehr.

Die Stadt Dresden ist nicht mehr Marktteilnehmer

Was haben die Woba-Mieter konkret verloren?

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Sicherheit. Das wird auch stark so empfunden. Die Sozialcharta bringt in diesem Prozess der verlorenen Sicherheit keinen nennenswerten Schutz über die Regelungen des Mietrechts hinaus. Sie nimmt den Mieterinnen und Mietern erst recht nicht die Last ab, für ihre eigenen Interessen gegen den Vermieter eintreten zu müssen.

Was hat Dresden mit der Woba verloren?

Dresden hat Einnahmen und Konsolidierungseffekte erkauft durch einen erheblichen Verlust an eigener kommunaler Gestaltungskraft. Wir können die Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr selbst verantworten, weil wir nicht mehr Marktteilnehmer sind. Akzente und Impulse in der Stadtentwicklung können wir nicht mehr mit dem Instrument eines leistungsfähigen Unternehmens setzen.

Man sieht das an den engen Grenzen, die Kommunalrecht und Beihilferecht den geförderten Aufbau eines neuen Unternehmens ziehen. Man spricht oft von Tafelsilber, das verkauft worden sei. Das trifft es nicht ganz. Man kann auch mit Edelstahlbesteck prima essen. Dresden ist vielmehr mit einem Handwerksbetrieb vergleichbar, der ein Drittel seines Werkzeugs verkauft hat und jetzt von Tag zu Tag versuchen muss, das notwendige Werkzeug zu mieten, zu leihen oder ohne das Werkzeug auszukommen. Zu einer kommunalen Verantwortung für die örtlichen Lebensverhältnisse gehören leistungsfähige kommunale Unternehmen notwendig dazu.

Was haben Sie aus dem Woba-Verkauf für Lehren gezogen?

Meine persönliche Lehre ist eine Skepsis gegenüber Moden und eine Ausrichtung des eigenen politischen Handelns an einem vernünftigen Maß. Man muss Entscheidungen für Wirtschaft und Haushalt in einem vernünftigen Maß treffen und auch soziale Lasten in der Gesellschaft in einem vernünftigen Maß verteilen. Diese Balance ist durch den Totalverkauf der Woba nach meiner Überzeugung nicht gewahrt worden. Mit dem Woba-Totalverkauf ist ein Bild von Stadt und städtischer Verantwortung gezeichnet worden, das da lautet: Für die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt trägt die Kommune keine Verantwortung. Das regeln der Markt und die Subjektförderung für diejenigen, die sich zu Marktverhältnissen keine Wohnung leisten können. Das sehe ich anders.

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Von Thomas Baumann-Hartwig

DNN

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