Nie wieder Angst vor Mieterhöhungen
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Die ehemalige Betriebsküche in der Dresdner Friedrichstadt ist eins von sechs Hausprojekten des Mietshäuser Syndikats in der sächsischen Landeshauptstadt.
© Quelle: Mietshäuser Syndikat
Dresden. "Selbstorganisiert wohnen, solidarisch wirtschaften, bezahlbar und unverkäuflich" steht auf einer Fahne im kleinen Besprechungsraum der "Betriebsküche" an der Berliner Straße. Auf den 560 Quadratmetern Wohnraum in der Friedrichstadt leben zwölf Erwachsene und vier Kinder für nicht einmal sechs Euro Miete pro Quadratmeter in dem alten Betriebsküchengebäude der ehemaligen Reichsbahn. Möglich wurde das mit Hilfe des Projektverbundes Mietshäuser Syndikat, der 2014 gemeinsam mit einem neu gebildeten Hausverein eine GmbH gründete, woraufhin der Verein die Immobilie erwarb. Mittlerweile deuten nur noch ein stillgelegter Speiseaufzug und mehrere große Esszimmer auf die frühere Nutzung als Arbeiterküche hin. Heute ist das dreistöckige Haus eine überdimensionale Mehrgenerationen-WG mit riesigen Gemeinschaftsräumen.
In 63 deutschen Städten existieren bereits ähnliche Hausprojekte des Mietshäuser Syndikats. Stolze 6,2 Millionen Euro wurden dafür von den Bewohnern der Projekte für den Kauf von Dresdner Immobilien aufgebracht: Über 100 Menschen leben in sechs Hausprojekten verteilt in Pieschen, Leubnitz, Übigau, Oberpoyritz und in der Friedrichstadt.
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Wohnungssyndikat Dresden Betriebsküche
© Quelle: E-Mail-LVD
Kristina ist eine davon und Betriebsküchen-Bewohnerin der ersten Stunde: „Als ich noch in Marburg studiert habe, erzählte mir eine Kommilitonin, dass sie sich zusammen mit ihrer Wohngemeinschaft das Haus, in dem sie wohnte, gekauft hatten - und das, obwohl sie als Studierende selbst gar kein Einkommen besaß“, erinnert sie sich an den ersten Kontakt mit dem Wohnmodell, der sie verblüffte und davon überzeugte, selbst Teil eines Hausprojektes zu werden.
Mehr als nur günstiger Wohnraum
„Einfach nur günstig wohnen reicht uns nicht“, betont Johanna, die im Hausprojekt „2n40“ in Leubnitz wohnt. Der Betriebsküche Friedrichstadt e.V. beispielsweise will mit Selbsthilfewerkstätten, Atelierräumen, Gemeinschaftsgarten und einem Vereinsraum als Nachbarschaftstreffpunkt für Café, Konzerte sowie Film-, Tanz- und Leseveranstaltungen das Stadtteilleben bereichern. Darüber hinaus wird gegenseitige Hilfe und konsensorientierte Entscheidungsfindung in allen Projekten des Mietshäuser Syndikats groß geschrieben: Probleme und Aktionen des Hauses werden vor einem Entschluss ausführlich im Plenum diskutiert. Dabei kann es durchaus passieren, dass die neuen Fliesen und ihre Anordnung im Bad einen munteren Meinungsaustausch verursachen, verrät Kristina schmunzelnd.
Von Hausverein zu Hausverein variieren Organisation und gemeinsame Aktionen der Bewohner. Der in allen Projekten gelebte Lebensentwurf scheint dennoch immer mehr Menschen anzulocken: „Der Bedarf ist immens. Es kommen zahlreiche Mieter zu uns, die Unsicherheit empfinden sobald der erste Makler einmal durch ihr Haus spaziert ist“, berichtet Kristina. Die Interessenten sind bunt gemischt. „Rentner, Vollzeitbeschäftigte, Studenten und Hartz-IV-Empfänger wohnen in den Syndikatsprojekten unter einem Dach“, erzählt David, der seit vielen Jahren im Hausprojekt Robert-Matzke-Straße 16 in Pieschen lebt.
Oftmals scheitern interessierte und anfänglich enthusiastische Gruppen an der späteren Umsetzung, da die gesamte Summe des Kaufs und der Sanierung von den Bewohnern selbst aufgebracht werden muss. Dazu kommt viel zeitaufwendige Eigenleistung in der Gebäuderestaurierung sowie verantwortungsvolle Bürokratiearbeit, die für gewöhnlich eine Hausverwaltung übernimmt – manchen Interessenten ist das nicht von Anfang an bewusst. „Im städtischen Raum gibt es viele interessierte Gruppen, im ländlichen Raum aber viele mögliche Häuser“, fasst David ein weiteres Hindernis kurz zusammen. Oftmals scheitern interessierte Gruppen in der Stadt deshalb an fehlenden Grundstücken oder Häusern.
Finanzierung und Verwaltung ohne städtische Hilfe
Im Vergleich zu anderen Städten wie beispielsweise Leipzig gibt es in Dresden keine städtischen Ansprechpartner für die Umsetzung von Hausprojekten des Mietshäuser Syndikats. Bei den Bewohnern Kristina, Johanna und David stößt das auf Unverständnis: „Die Leistung der Projekte ist vielen gar nicht bewusst. Menschen aller Altersklassen kümmern sich gegenseitig umeinander“, argumentiert Johanna. Als Konkurrenzmodell zum kommunalen und sozialen Wohnungsbau der Stadt wollen sie dabei aber nicht wahrgenommen werden. „Der Gedanke, dass ein Stadtrat wirklich die gesamte Stadt repräsentiert, ist utopisch. Wieso nicht Projekte und Ideen stärken, die andere Teile einer Stadtgesellschaft einbringen?“, fordert Kristina mehr Zusammenarbeit und Dialog mit den städtische Ämtern, der sich in den letzten Jahren bereits deutlich verbessert hat.
Auf der Suche nach geeigneten Grundstücken und Häusern sind sich die Befürworter der Syndikatsprojekte in Dresden dennoch ihrer Nachteile bewusst: „Da wir basisdemokratisch organisiert sind, dauern Entscheidungsprozesse sehr lange. Wir fordern oftmals mehr Zeit, das mag die Stadt nicht“, sagt David. Gleichzeitig bedauert er, dass die Stadt Dresden den Tatendrang und die soziale Arbeit der Projekte in den jeweiligen Nachbarschaften nicht wertschätzt: „Hier wird zivilgesellschaftliches Engagement erschwert.“
Zielscheibe mehrerer Angriffe
Das Engagement und die politische Ausrichtung mancher Hausprojekte gefallen nicht allen in Dresden. Immer wieder wurden Häuser des Mietshäuser Syndikats in Dresden Zielscheibe von Angriffen. Der wahrscheinlich bekannteste Fall in Dresden spielte sich in Übigau ab, als die Neonazi-Terrorgruppe „Freital“ im Oktober 2015 das Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ mit Steinen, Böllern, Flaschen und Buttersäure attackierte. Auch im Alltag begegnen die Bewohner der Friedrichstädter „Betriebsküche“ nicht ausschließlich nachbarschaftlicher Harmonie, was ein Anwohner beweist, der die neuen Nachbarn in der Vergangenheit mehrfach mit rechten Parolen begrüßte.
Trotz der Entstehungsgeschichte in der linken Hausbesetzerszene sind nicht alle Projekte des Mietshäuser Syndikats automatisch politisch, betonen die drei Bewohner verschiedener Dresdner Hausprojekte nachdrücklich. Umso weniger Verständnis zeigen sie für die erfahrene Gewalt und Vandalismus an den Hausprojekten. Skurril erscheint es zudem, wenn plötzlich Gruppen aus dem politisch rechten Spektrum Interesse an der Verwirklichung eines Hausprojekts mit dem Mietshäuser Syndikat signalisieren.
Die Nachfrage aus verschiedenen politischen Himmelsrichtungen ist trotz klarer Distanzierung des Syndikats von diesen Anfragen ein weiterer Beweis für die Beliebtheit des Wohnmodells. „Die Art des gemeinschaftlichen Wohnens gab es unter anderem bereits vor 100 Jahren in kleineren Dorfgemeinschaften“, merkt Johanna an. Gepaart mit steigenden Mieten in nahezu allen deutschen Großstädten glauben die drei Dresdner Projektbewohner auch deshalb nicht an ein baldiges Ende des hohen Interesses an Projekten des Mietshäuser Syndikats – ganz egal, ob in Dresden oder allen anderen Teilen Deutschlands.
Wie Hausvereine in Dresden und Deutschland bezahlbaren Wohnraum sichern
Das Mietshäuser Syndikat ist eine nicht gewinnorientierte Beteiligungsgesellschaft, die deutschlandweit Immobilien erwirbt und selbstverwaltet in Gemeinschaftseigentum überführt. Nach Gründung Anfang der 90er Jahre in Freiburg haben sich mehr als 130 Projekte und Initiativen dem Verbund angeschlossen.
Gruppen, die Interesse an der Umsetzung eines Hausprojekts haben, bilden im ersten Schritt einen eingetragenen Hausverein. Der Hausverein gründet gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat eine Haus-GmbH mit zwei Gesellschaftern: Zum einen der Hausverein selbst, zum anderen das Mietshäuser Syndikat als eine Art Wächter und Kontrollorganisation.
Das notwendige Stammkapital für eine GmbH-Gründung wird anteilig von beiden Gesellschaftern eingebracht. Die Haus-GmbH ist dabei Kreditnehmer bei der Bank und von Direktkreditgebern, die meist Freunde, Verwandte der Hausbewohner oder Unterstützter des Syndikats sind. Die Kredite werden über die selbst bestimmten Mietzahlungen der Hausbewohner getilgt. So wird ein gewisser Teil der Miete als Solidarbeitrag an die Gemeinschaft der Syndikatshäuser gezahlt und die Beteiligung an neuen Projekten finanziert. Um zu verhindern, dass etablierte oder stark an Immobilienwert gewonnene Hausprojekte von den Bewohnern verkauft werden, liegt der Eigentumstitel der Immobilie nicht unmittelbar beim Hausverein, sondern bei der neu gegründeten GmbH. Im Falle eines Hausverkaufs besitzen der Hausverein und das Mietshäuser Syndikat jeweils eine Stimme, so dass in Grundlagenfragen keiner der beiden stimmberechtigen Parteien überstimmt werden kann. Mit diesem Veto-Recht ist der Verkauf einer vom Syndikat erworbenen Immobilie ohne beidseitige Zustimmung ausgeschlossen.
Will ein neues Projekt in das juristische Modell und in den Projektverbund aufgenommen werden, muss es zuerst die vier Mal jährlich stattfindende, und im Konsens entscheidende Mitgliederversammlung aller Hausvereine von ihrer Projektidee überzeugen.
Von Aaron Wörz
DNN