Film über „Mission Lifeline“ kommt in die Kinos
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Über 1000 Menschen brachte die „Lifeline“ ans sichere Festland, ehe das Schiff 2018 beschlagnahmt wurde.
© Quelle: Hermine Poschmann
Dresden. Und nach knapp zwei Wochen auf hoher See bricht er an, der Tag X, man hat ihn schon erwartet. Das Aufblitzen am Horizont ist zunächst nur mit dem Fernglas zu beobachten, doch dann werden die Konturen eines Holzbootes immer deutlicher. Die Besatzung der „Lifeline“ wird an Deck gerufen, das kleine Beiboot fertig gemacht.
Der 25. September 2017, er soll ein schicksalhafter Tag werden für die Mission Lifeline. Welche Ironie, dass es gerade ein Montag ist, an dem die Dresdner Organisation erstmals Menschen vor dem Ertrinken rettet.
Markus Weinberg hat die erste Rettungsmission miterlebt. Zwei Wochen lang gehörte der Filmemacher aus Dresden zur Bordcrew der „Lifeline“, zwei Wochen lang hielt er den Alltag der Seenotretter mit seiner Kamera fest. Entstanden ist ein Film, den Weinberg „Die Mission der Lifeline“ getauft hat und der ab dem 23. Mai in deutschen Kinos zu sehen ist.
Odyssee im Mittelmeer
Der Dokumentarfilm thematisiert die Entwicklung des Mission Lifeline e.V. und beginnt chronologisch bei dessen Gründung im Mai 2016. Im September 2017 kaufen die Ehrenamtlichen um den Vorsitzenden Axel Steier in Malta ein Schiff und stechen erstmals in See, Mitglieder der Mission Lifeline sowie zweier spanischer Hilfsorganisationen sind an Bord. Weinberg fängt das Zusammenleben der Crew ein, die trotz Sprachbarriere zu einer Einheit verwächst, einfach weil Menschlichkeit keiner erklärenden Worte bedarf.
Ihren dramatischen Höhepunkt findet „Die Mission der Lifeline“ vor der libyschen Küste, als ein entdecktes Flüchtlingsboot zu sinken droht – zusammen mit rund 150 Insassen. „Paradoxerweise lassen sich Flüchtlinge auf diese gefährliche Überfahrt nach Europa ein, um ihr Leben zu retten“, sagt Filmemacher Weinberg. Zurück nach Libyen will keiner, das Land ist politisch instabil und vom Bürgerkrieg zerrüttet. In den Auffanglagern leben viele Migranten unter unmenschlichen Bedingungen. Fälle von Misshandlungen, Vergewaltigungen und Folter sind bekannt. „Libyen ist weit davon entfernt, ein sicherer Ort zu sein“, meint Weinberg.
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Ein Szenenbild aus dem Film „Die Mission der Lifeline“.
© Quelle: Markus Weinberg
Als die Geretteten von der „Lifeline“ an ein italienisches Schiff übergeben werden, das auch die libysche Flagge trägt, springt plötzlich ein Geflüchteter ins Wasser und schwimmt zurück – aus Angst. „Ich will da nicht hin“, sagt er in gebrochenem Englisch zu einem Seenotretter im Beiboot. „Es ist sehr schrecklich da.“
Ein Film der Kontraste
Die „Lifeline“ schippert in unruhigem Fahrwasser. Zwischendurch zieht ein Sturm auf überm Mittelmeer. Und nicht nur dort: Die Bordcrew bekommt sehr wohl mit, wie das politische Klima in der entfernten Heimat allmählich umschlägt. Die Pegida-Proteste halten an, der Tonfall verschärft sich. Die Seenotretter müssen als Zielscheibe der Rechtspopulisten herhalten, bisweilen werden sie als Schlepperbande für kriminelle Nutznießer beschimpft. „Das sind keine Flüchtlinge, das sind Invasoren“, wütet eine ältere Frau vor laufender Kamera, während im Hintergrund der allmontägliche Protestzug vorbeizieht.
„Die Mission der Lifeline“ ist ein Film der scharfen Kontraste. Die Dokumentation offenbart jene gesellschaftlichen Klüfte, die sich in Dresden auftun, und schildert den großen Showdown: Mission Lifeline gegen Pegida, selbsterklärte Retter der Flüchtlinge gegen selbsterklärte Retter des Abendlandes. Doch während in Dresden ein absurder Kampf der disparaten Weltanschauungen ausgetragen wird, ist es im Mittelmeer ein Kampf ums Überleben.
257 Menschen erreichen am 25. September 2017 sicher das europäische Festland. In den kommenden acht Monaten rettet die „Lifeline“ weitere 762 Flüchtlinge. Im Juni 2018 wird das Schiff schließlich nach tagelanger Irrfahrt von maltesischen Behörden in Beschlag genommen. Seither ist die „Lifeline“ am Hafenkai von Valetta vertäut.
Unaufgeregt und ungeschönt
In seiner damaligen Funktion als Journalist begleitete Markus Weinberg die Entwicklungen der Mission Lifeline von Beginn an. Sein Entschluss, den Werdegang filmisch festzuhalten, fand bei der Dresdner Produktionsfirma Ravir Film sofort Anklang. Luise Baumgarten zeichnete für den Filmschnitt verantwortlich, sie führt regelmäßig Regie, dreht Dokumentarfilme und Portraits für Ravir Film.
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Die Dresdner Filmemacher Markus Weinberg und Luise Baumgarten.
© Quelle: Anja Schneider
Drei Jahre hat es gedauert, bis „Die Mission der Lifeline“ endgültig fertig war. Allein der Schnitt beschäftigte Baumgarten und Weinberg fast ein Jahr. Das Duo achtete darauf, möglichst unaufgeregt, unvoreingenommen und ungeschönt zu berichten. Gewiss, ausdrucksstarke Bilder gibt es zuhauf – nackte Kinder in überfüllten Schlauchbooten, riskante Rettungsmanöver und entkräftete Seenotretter, es fallen Schüsse und wallen Emotionen. Meist widerstehen die Produzenten allerdings der Versuchung, Situationen mit stilistischen Mitteln künstlich aufzublähen. Dafür stellen sie die richtigen Fragen: Ist es falsch, Hilfe zu leisten, weil Staatsregierungen nur zuschauen? Und ist die Flüchtlingskrise nicht in erster Linie eine Krise der Flüchtlinge?
Luise Baumgarten selbst sah die Seenotrettung im Mittelmeer lange im Zwielicht. „Die Mission der Lifeline“ hat die Sichtweise der 31-Jährigen geprägt. „Da kentern Boote, da ertrinken Menschen – und das vor den Küsten Europas. Durch die Arbeit am Film bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass die Rettung von Menschenleben das oberste Gebot sein muss.“
Im Februar feierte „Die Mission der Lifeline“ seine Weltpremiere in Graz. Am 12. Mai landete der 72-minütige Streifen beim DOK.fest München auf der Liste der Publikumslieblinge. Erstmals wird die Arbeit nun im Rahmen einer Kinotour einem größeren Publikum vorgestellt, unter anderem in Hamburg, Berlin und Hannover. Am 23. Mai startet die Reise in der Schauburg Dresden.
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Die Crew der „Lifeline“ bei der Seenotrettung.
© Quelle: Markus Weinberg
Die Tragödie geht weiter
Die Dokumentation ist seit Monaten abgedreht, die Geschichte der Mission Lifeline geht indessen weiter. Lifeline-Kapitän Claus-Peter Reisch wurde just vor wenigen Tagen zu einer Geldstrafe von 10 000 Euro verurteilt, Grund dafür war die fehlerhafte Registrierung des Schiffes. Reisch hat Revision gegen das verkündete Urteil eingelegt.
„Die Verurteilung ist sehr bitter – und hat mit einer Lösung herzlich wenig zu tun“, findet Weinberg. „Die Behörden sind mit der Aufgabe überfordert, Problemursachen zu bekämpfen. Stattdessen haben sie sich nun ein Bauernopfer ausgesucht.“
Und weil zivilgesellschaftliche Seenotrettung faktisch kaum noch möglich ist, sind Migranten beim Hasardspiel im Mittelmeer nunmehr auf sich gestellt. Seit Beginn des Jahres kamen laut Internationaler Organisation für Migration auf der zentralen Mittelmeerroute über 300 Menschen ums Leben. „Nur weil die Notlage nicht mehr in den Medien auftaucht, ist sie nicht beseitigt. Das Flüchtlingssterben war und ist weiterhin ein Problem“, sagt Luise Baumgarten. „Die Mission der Lifeline“ sei deshalb keinesfalls nur eine Lehrstunde für Rechtspopulisten, sondern eine Aufforderung zum politischen Handeln – und eine Hymne auf die Menschlichkeit.
„Die Mission der Lifeline“, 23. Mai, 20 Uhr, Schauburg Dresden, in Anwesenheit des Regisseurs Markus Weinberg und des Lifeline-Vorsitzenden Axel Steier.
Von Junes Semmoudi
DNN