Brisantes Nachspiel – Sächsischer Beamter nach Krawallen in Lille vom Dienst freigestellt
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Im Kurznachrichtendienst Twitter war das Foto aus Lille kurz nach der Aufnahme Mitte Juni vielfach geteilt worden. Im Vordergrund hebt ein junger Mann die Hand zum Hitlergruß, andere halten die Reichskriegsflagge hoch. Auch ein Beamter aus dem Dresdner Finanzbeamter (im Bild ganz links) war später auf der Aufnahme identifiziert worden.
© Quelle: Twitter
Dresden. Stühle und Flaschen fliegen, sogar Pyrotechnik. Dazwischen skandieren Männer mit breiten Schultern rechtsextreme Parolen. Binnen Minuten verwandeln deutsche Hooligans eine Gasse in der nordfranzösischen Stadt Lille in ein Trümmerfeld, attackieren Fans aus der Ukraine. Es sind Szenen, die sich am Rande der Fußball-Europameisterschaft im Sommer 2016 in Frankreich abspielten. Und dann gibt es noch ein Foto, auf dem Männer vorm Bahnhof in Lille posieren – mit Reichskriegsflagge und dem Banner „Dresden-Ost“. Das Foto beschäftigt bis heute hiesige Behörden und hatte in diesen Tagen erneut heftige Konsequenzen für einen Beamten der Finanzverwaltung.
Das Foto wäre nach kurzer Empörung über das Benehmen deutscher Gewalttäter wohl im digitalen Nirwana der sozialen Medien verschwunden. Bis Ende 2017 das Antifa-Recherche Team Dresden in einem Blog eine brisante Personalie offenlegte. Denn fürs Gruppenfoto posierte demnach auch ein junger Beamter aus dem sächsischen Finanzministerium. Den hatten die Beobachter der rechtsextremen Szene zuvor schon bei ausländerfeindlichen Demos ausgemacht, rechnen ihn zudem der rechten Fangruppierung „SGD Supporters Bautzen“ zu. Und er gilt als Aktivist der ostsächsischen Naziszene.
Das Sächsische Finanzministerium reagierte umgehend. Nach seiner Ausbildung im Finanzamt Hoyerswerda und seinem raschem Aufstieg ins Ministerium nach Dresden musste der Mittzwanziger das Haus am Königsufer zum Jahresbeginn wieder verlassen und wurde zunächst in eine andere Behörde versetzt. Zeitgleich leiteten die Dienstherren ein Disziplinarverfahren ein. Inzwischen, so bestätigt Ministeriumssprecher Stephan Gößl auf Nachfrage der DNN, ist der betroffene Beamte „vorläufig vom Dienst freigestellt worden“. Seine Bezüge werden zudem teilweise einbehalten.
Disziplinarverfahren ausgedehnt
Zu Details des laufenden Verfahrens will sich der Sprecher des Finanzministeriums nicht äußern und verweist auf den Datenschutz. Um den Fall lückenlos aufzuklären, waren in den vergangenen Monaten weitere Behörden eingeschaltet worden, erklärt Stephan Gößl. Welche, ließ er offen. Aber: „Es wurden alle Behörden beteiligt, denen etwaige Erkenntnisse zur Beurteilung der gegenständlichen Vorwürfe vorliegen können.“
Offenbar gibt es in dem Disziplinarverfahren tatsächlich mehr zu tun, als zunächst gedacht. Bereits in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des sächsischen Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann (Grüne), der sich jüngst nach dem aktuellen Stand erkundigt hatte, hieß es im August, dass sich im Verlauf „weitere Tatsachen für den Verdacht eines Dienstvergehens ergeben“ hätten, weshalb das Verfahren ausgedehnt worden ist.
Der Vorfall in Lille hat in der Zwischenzeit nicht nur die Behörden in Dresden auf den Plan gerufen. Denn das Foto landete nach DNN-Recherchen auch auf den Schreibtischen der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf. Die ist als zentrale Anlaufstelle für Behörden aus dem Ausland geschaffen worden – an die sich Ermittler wenden können, wenn Krawallmacher aus Deutschland jenseits der Grenzen wüten. Eingerichtet wurde die nach der Fußball-Weltmeisterschaft 1998, als ebenfalls in Frankreich deutsche Hooligans den Bereitschaftspolizisten Daniel Nivel fast totgeprügelt hatten.
Auch nach dem Exzess in Lille im Juni 2016 hatten französische Ermittler die Behörde in Düsseldorf kontaktiert und gewissermaßen um Amtshilfe gebeten. „In diesem Fall sind Unterstützungshandlungen erfolgt“, bestätigt Oberstaatsanwalt Patrick Rieck. Der betroffene Beamte aus dem Finanzministerium habe da zwar keine weitere Rolle gespielt, sagt der Jurist. Dennoch war das martialische Teamfoto nicht uninteressant.
Bengalo in Café gefeuert
Denn daraus resultierten zumindest zwei Vorgänge gegen Beschuldigte aus Ostsachsen, die später zur Weiterbearbeitung an die zuständigen Staatsanwaltschaften im Freistaat weitergegeben wurden. Dabei geht es einerseits um jenen Mann, der auf dem Bild die Hand zum Hitlergruß emporreißt. Zugleich hatten laut Patrick Rieck die französischen Behörden einen Krawallmacher auf dem Foto ausgemacht, der während der Ausschreitungen in Lille auf dem Markt ein Bengalo in ein Café gefeuert haben soll.
Folgen für die Betroffenen hatte das allerdings bis heute nicht. Im Fall des Hitlergrußes ist das einfach zu erklären. „In Frankreich ist das keine Straftat“, sagt Patrick Rieck, eine Anklage chancenlos. So wurde das Verfahren eingestellt. Jedoch auch im zweiten Fall, einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, schlossen die Staatsanwälte in Sachsen die Akten. Warum – das weiß allerdings auch Patrick Rieck nicht zu erklären.
Was sich aus diesen Vorgängen aber deutlich herausarbeiten lässt, sind weitere Konturen einer braunen, extrem gewaltbereiten Szene, mit der sich der Beamte zumindest seinerzeit umgeben hat. Die Treuepflicht für Beamte sieht übrigens vor, dass sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und sich aktiv für deren Erhalt einsetzen.
Auch Politiker fordern deshalb entschlossenes Handeln. „Wir haben es hier nicht mit Bagatelldelikten zu tun“, erklärt der Bautzener Landtagsabgeordnete Heiko Kosel (Linke). „Ich erwarte, dass das Finanzministerium dies mit aller gebotener Ernsthaftigkeit berücksichtigt“, sagt der Politiker. Der Grünen-Abgeordnete Valentin Lippmann aus Dresden drängt auf ein rasches Verfahren. „Es ist kein Zustand, dass das so lange dauert.“ Sollten sich die Vorwürfe als zutreffend erweisen, so gibt es für ihn nur eine logische Konsequenz: „Der Betroffene muss so schnell wie möglich aus dem Staatsdienst entfernt werden.“
Von Sebastian Kositz
DNN