Amtshalbzeit für OB Hilbert – 80 Prozent der Ziele umgesetzt
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Bergfest: Oberbürgermeister Dirk Hilbert hat die Hälfte seiner Amtszeit absolviert.
© Quelle: Dietrich Flechtner
Dresden. Bergfest für Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP): Die Hälfte seiner Amtszeit hat er absolviert. Wie viel er umsetzen konnte und ob er in dreieinhalb Jahren wieder zur Wahl antritt, erklärt er im DNN-Interview.
Frage: Zur Hälfte Ihrer Amtszeit: Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Dirk Hilbert: Ich messe es daran, was in meinen Herzensangelegenheiten aus dem Wahlkampf von 2015 erfüllt ist. Meine These lautet: 80 Prozent davon sind in die Tat umgesetzt oder auf den Weg gebracht.
„Langweilig wird mir in diesem Amt nie“
Langweilen Sie sich in der zweiten Hälfte, wenn Sie nur noch 20 Prozent erledigen müssen?
Langweilig wird mir in diesem Amt nie. Ich bin ja 2015 eher zurückhaltend mit großen Versprechungen in den Wahlkampf gegangen. Wir hatten gerade erst zwei große Kulturprojekte und riesige Investitionen in die Bildungsinfrastruktur beschlossen. Da blieb eigentlich keine Luft mehr nach oben. Dass wir jetzt doch über große Vorhaben reden können, liegt an der Superkonjunktur im Land.
Dresden liegt wieder souverän an der Spitze beim Pro-Kopf-Gewerbesteueraufkommen in Sachsen. Das verleiht uns Spielräume. Deshalb können wir über Investitionen nachdenken, die 2015 in keinem Programm standen. 140 Millionen Euro für ein neues Verwaltungszentrum, 40 Millionen Euro für das Heinz-Steyer-Stadion oder auch sieben Millionen städtischer Eigenanteil für den Fernsehturm sind nur drei Beispiele.
Welche Vorhaben haben Sie noch nicht umgesetzt?
In meiner Amtszeit hat es noch keinen Bürgerentscheid gegeben. Ich habe gesagt, dass ich dafür stehe, bestimmte Fragen in Bürgerentscheiden zu thematisieren. Ich habe auch oft darüber nachgedacht, welche Thematik sich eignen könnte, aber noch keine gefunden. Dann habe ich mir 2015 vorgenommen, das Thema Förderung von Wohneigentum voranzubringen. Auch da sehe ich noch großes Potenzial.
„Die Verwaltung schafft keine Arbeitsplätze.“
Lassen wir Zahlen sprechen: Wie hat sich die Arbeitslosenquote seit Ihrem Amtsantritt entwickelt?
Sie ist von 7,9 Prozent auf 5,6 Prozent gesunken. Ich hatte Vollbeschäftigung bis 2022 versprochen, wir nähern uns diesem Ziel an. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist von 247.000 auf 266.000 gestiegen. Das ist ein Plus von 19.000. Wir hatten zuletzt einen Zuwachs von 7000 Arbeitsplätzen pro Jahr.
Wie viel Dirk Hilbert steckt in dieser Bilanz und wie viel ist einfach nur Glück wegen der Konjunktur?
Die Verwaltung schafft keine Arbeitsplätze. Das ist ein Produkt von Unternehmergeist. Aber wir können die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Ein Beispiel: Mit der Innovationsrichtlinie fördern wir Unternehmen und Projekte aus der Wissenschaft heraus. Besonders schön ist es, wenn Projekte dabei sind, die einen Mehrwert für die Stadt generieren wie die Museums-App. Wir bringen aber auch Flächen für die Unternehmen auf den Markt. Die Universellen Werke werden zum Zentrum für Leichtbau und Werkstoffforschung, das Nanoelektronikzentrum ist nahezu ausgebucht. Der Gewerbehof in der Freiberger Straße wächst, wir haben schon die Pläne für die nächste Erweiterung herausgeholt.
Haben große Unternehmen Dresden für sich entdeckt?
Bosch ist mit seiner Milliardeninvestition das beste und aktuellste Beispiel. Dies war ein großer Coup und katapultiert uns an die Weltspitze der High-Tech-Standorte.
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OB Dirk Hilbert (2.v.l.) beim ersten Spatenstich für die Boschfabrik in Dresden im April 2018.
© Quelle: Anja Schneider
Ich habe aber auch 2015 versprochen, dass ich an die Forschungsbereiche von großen Unternehmen herantreten will. Wir haben in Dresden die wissenschaftlichen Einrichtungen. Ich bin mir sicher, dass die Technische Universität den Exzellenzstatus verteidigen wird. Das macht die Stadt attraktiv für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und den Bereich der Industrieforschung. Da gibt es eine ganze Reihe von Planungen und Absichtserklärungen, ohne dass ich jetzt Namen nenne. Wenn wir die Trends setzen, haben wir die Chance, Wertschöpfungsketten in die Region zu holen. Mit Volkswagen und der Telekom kooperieren wir, mit anderen sind wir im Gespräch. Wir wollen Dresden als Piloten für die modernen Technologien präsentieren.
„Einen Rentenbescheid kann ich allerdings nicht ändern.“
Reisen Sie deshalb so viel durch die Welt?
Ich bin von einigen Stadträten dafür kritisiert worden, dass ich zum Beispiel nach Hawaii geflogen bin. Aber dort haben sich Geschäftsführer aus Asien und Amerika getroffen. Wir standen auf der Rednerliste und sind wahrgenommen worden. Dadurch kommt man in den Austausch und steigt in eine andere Liga auf. Wir haben ein Netzwerk aufgebaut und planen spannende Projekte. Das schafft man nicht, wenn man im Rathaus sitzt und Briefe schreibt.
Wie hat sich die Bürgerbeteiligung seit 2015 entwickelt?
Die ersten anderthalb Jahre waren schwierig. Mit dem Thema Dialoge haben wir damit begonnen, die Stadtgesellschaft ins Gespräch zu bringen. Das war das Einstiegsformat, das ich mit den Bürgersprechstunden fortgesetzt habe. Ich habe bis heute 290 Gespräche geführt. Und zwar konsequent sonnabends ein Mal im Monat.
In 40 Prozent der Fälle, die in der Bürgersprechstunde thematisiert wurden, konnte ich eine positive Antwort geben. Einen Rentenbescheid kann ich allerdings nicht ändern. Seit 2015 habe ich mittlerweile 23 Besuche in Stadtteile und Ortschaften absolviert. Diese sind immer mit einem Treffen des Stadtbezirksbeirats oder Ortschaftsrats sowie einer Bürgerversammlung verbunden. Mit der Teilnahme am Wettbewerb Zukunftsstadt fördern wir Projekte aus der Bürgerschaft.
Die Stadtbezirksverfassung und eigene Budgets für die Stadtbezirke sind gravierende Schritte für mehr unmittelbare Demokratie, für die ich vehement eingetreten bin. Ich denke aber auch an die vielen Formate, die Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain anbietet. Es hat sich viel bei der Einbeziehung der Bürger in Entscheidungsprozesse getan.
„Der Stadtrat hat sich zum städtischen Wohnungsbau bekannt“
Ist das Thema bezahlbarer Wohnraum die Daseinsfrage Nummer eins für Dresden?
Zu den Top drei gehört die Thematik auf alle Fälle. Dresden ist eine wachsende Stadt mit einem deutlichen Zuzug. In der Marktwirtschaft bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Wir hatten viele Jahre lang einen Mietermarkt. Jetzt müssen wir als Kommune genügend Wohnraum auch für diejenigen schaffen, die sich nicht auf dem freien Markt versorgen können.
Wie soll das gelingen?
Wir müssen alle Eigentumsformen unterstützen. Damit hatte die linke Seite im Stadtrat lange Zeit ihre Probleme. Zugleich waren die Vorstellungen von kommunalem Wohnungsbau rosarot und hatten mit der Realität nichts zu tun. Es kommt darauf an, alle zu fördern. Die Genossenschaften sind eine ganz wesentliche Größe. Wir haben die Zusage, dass die Genossenschaften 1000 neue Wohneinheiten errichten. Ich halte auch die Neubauten der Vonovia für nicht unattraktiv. Der Stadtrat hat sich zum städtischen Wohnungsbau bekannt, auch mit meiner Stimme. Wir sollten das, was an Fördermitteln zur Verfügung steht, mit Eigenmitteln untersetzen. Das ist ein sinnvolles wirtschaftliches Engagement.
Ist die kooperative Baulandentwicklung mit einem Anteil von 30 Prozent Sozialwohnungen bei privaten Bauvorhaben der richtige Weg?
Wir müssen zu Mischformen mit einem Anteil an Sozialwohnungen kommen. Ich halte die kooperative Baulandentwicklung für einen Weg, um zu einer guten sozialen Durchmischung zu kommen. Das größte Problem der Fördermittel ist aber die Mietpreisbindung für 15 Jahre. Bis 2036 können wir die 10.000 Belegungsrechte bei der Vonovia verlängern. Dann verlieren wir mit einem Schlag sehr viele Sozialwohnungen. Deshalb sollten wir ein ausreichend großes eigenes Portfolio aufbauen. Wir müssen auf eine Größe kommen, die es ermöglicht, eine wesentliche Funktion für die Stadt zu übernehmen.
„Bei uns stehen die Eltern nicht Schlange, wenn eine neue Kindertagesstätte eröffnet“
Hypothetische Frage: Wo stünde Dresden heute, wenn die kommunalen Wohnungen nicht verkauft worden wären?
Wir haben die Stadt mit dem Woba-Verkauf entschuldet und damit die Mittel für die Wachstumsdynamik freibekommen. Wir sprechen von 70 Millionen Euro pro Jahr, 30 Millionen Tilgung und 40 Millionen Zinsen. Das sparen wir jetzt seit 13 Jahren. Die Woba hat einen Erlös von einer Milliarde Euro netto eingebracht. Inzwischen haben wir schon eine Woba gespart. Dresden hat sich seit dem Woba-Verkauf nicht einen Förder-Euro entgehen lassen. Wir konnten Eigenmittel aufbringen, wo andere schon lange passen mussten. Wir haben Volumina an Investitionen in Gang setzen können und damit auch die Wirtschaft in der Stadt gestärkt.
Ich denke nicht nur an die beiden Kulturprojekte. Dresden hat auch die Kita-Plätze so ausgebaut, dass wir den Rechtsanspruch erfüllen können. Bei uns stehen die Eltern nicht Schlange, wenn eine neue Kindertagesstätte eröffnet, weil die Plätze so knapp sind. Wir haben sogar Schulen komplett mit Eigenmitteln gebaut.
Hat sich Dresden all die schönen Dinge auf Kosten der Woba-Mieter geleistet?
Die Woba-Mieter waren vor dem Verkauf nicht Eigentümer der Wohnungen und sind es danach auch nicht. Auch die Woba hat Mieterhöhungen durchgesetzt, da hat es auch Protestschreiben gegeben. Da, wo sich ein Unternehmen nicht an die Regeln hält, hat ein Mieter Rechte, die er wahrnehmen kann. Ich sehe keine generelle Entwicklung zu Lasten der Mieter. Ich hätte mir aber den Firmensitz in Dresden gewünscht. Vonovia hat hier den größten Wohnungsbestand, die Zentrale befindet sich aber in Bochum. Das ist schade.
„Wir sind weit weg von Problemen, die andere Großstädte haben. „
Der Deutsche Städte- und Gemeindetag hat jüngst am Integrationswillen vieler Flüchtlinge gezweifelt. Wie sehen Sie die Problematik als Oberbürgermeister, der Dresden zur Modellstadt in Sachen Integration machen will?
Wir müssen uns vor Augen halten, dass unsere Erwartungshaltung nicht für jeden Flüchtling ein attraktives Angebot ist. Wer mit Mitte 20 hierher kommt und einen Deutschkurs, einen Integrationskurs und danach eine Berufsausbildung absolvieren soll, lebt mindestens fünf Jahre ohne eigenes Einkommen. Damit lässt sich nicht zwingend die große Masse motivieren.
Ich bin viel mit unserer Integrationsbeauftragten unterwegs, um diejenigen zu treffen, die in größeren Gruppen nach Dresden gekommen sind. Wir sind dabei, sie zu motivieren, Vereine zu gründen, ihre Sprache und Kultur zu pflegen. Ich bin mir sicher, dass auch nicht jeder Vietnamese die Prüfung nach einem Integrationskurs bestehen würde. Aber jeder Dritte von ihnen ist selbstständig, hat zu einem selbstbestimmten Leben in Dresden gefunden. Von solchen positiven Beispielen sollten wir lernen.
Da lässt sich auch mit anderen Volksgruppen etwas aufbauen, da lassen sich Nischen entdecken, in denen sie ihre Stärken ausspielen können. Wenn uns das gelingt, werden wir besser, als wenn wir nur in unseren deutschen Schemata denken.
Ist Dresden eine sichere und saubere Stadt?
Die meisten, die von auswärts kommen, sagen: Dresden ist sicher und sauber. Wir sind weit weg von Problemen, die andere Großstädte haben. Trotzdem kann es Hausaufgaben geben, denen wir uns stellen müssen, wenn ich an Wiener Platz, Amalie-Dietrich-Platz oder Bereiche in der Neustadt denke.
Chemnitz war im vergangenen Jahr in aller Munde. Glauben Sie, dass in Dresden die Situation ähnlich eskalieren könnte?
Ich würde mich nie in Sicherheit wiegen. Ich glaube schon, dass die Akteure von Parteien, Initiativen, Kirchen oder Vereinen eine wehrhafte Demokratie aufgebaut haben. Es gibt auch ein Grundverständnis, gemeinsam zu agieren, wir sind schneller als früher handlungsfähig. Gerade die Rechtsaußen-Szene ist aber vernetzt und bundesweit aktiv, kann innerhalb kürzester Zeit mobilisieren. Da kann ein Ort schnell missbraucht werden für Auseinandersetzungen, die mit dem Ort gar nichts zu tun haben.
„Viele der vergangenen Ratssitzungen waren keine Sternstunden.“
Wie würden Sie einen ausländischen Spitzenforscher davon überzeugen, mit seiner Familie nach Dresden zu ziehen?
Das würde ich meiner Frau überlassen. Sie ist die beste Botschafterin für Dresden und total begeistert von der Stadt. Wenn eine Koreanerin zur Dresdnerin mit Leib und Seele geworden ist, sagt das mehr aus, als wenn ich etwas erkläre.
Ihre Stimme hat im Stadtrat an Gewicht gewonnen. Wie gehen Sie damit um?
Ich mache keine Entscheidung von irgendwelchen Ideologien abhängig, sondern immer von der Überlegung, was ich für das Beste für die Stadt halte. Mehrheiten im Stadtrat kommen jetzt manchmal zufällig zustande, je nachdem, wie viele Stadträte gerade anwesend sind. Es ist für alle Fraktionen wichtig, stärker den Oberbürgermeister einzubinden. Das hat schon bei den Beratungen zum Haushalt eine große Rolle gespielt.
Wie viel Sacharbeit ist im Stadtrat bis zur Wahl im Mai noch möglich?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Viele der vergangenen Ratssitzungen waren keine Sternstunden.
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.Die Linken verließen am 14. Februar aus Protest die Stadtratssitzung.
© Quelle: Baumann-Hartwig
Ich hoffe, dass einige Stadträte über meine Kritik nachdenken. Jede Fraktion sollte bei einer Debatte zu Wort kommen und ihre Position vortragen. Aber ob das jede Fraktion zehn Mal machen muss, bezweifle ich. So baut sich Frust bei den Bürgern auf. Da bekomme ich Angst davor, dass Protest gewählt wird. Wir sollten über Parteigrenzen hinweg eine Form der demokratischen Aussprache finden, bei der auch mal Schluss ist.
Werden Sie in dreieinhalb Jahren zur Wiederwahl antreten?
Die Entscheidung werde ich ein Jahr vorher treffen. Es wird daran liegen, wie sehr ich das Gefühl habe, die Dinge umsetzen zu können, die ich für richtig halte. Finde ich darauf ein Jahr vor der Wahl eine positive Antwort und spüre ich genug Kraft in mir, dann trete ich an. Das ist ja ein Knochenjob, da braucht man nicht drumherumzureden.
Von Thomas Baumann-Hartwig