Comeback der Fächer: vom Begleiter exaltierter Menschen zum modischen Accessoire für Pragmatiker
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Modisches Accessoire: An heißen Tagen helfen Fächer bei der Abkühlung.
© Quelle: Daniel Apodaca/Unsplash
Lange galt er als so antiquiert wie Reiten im Damensattel oder Spitzenklöppeln: der Fächer. Nur dem Modezaren Karl Lagerfeld, der sich wahlweise damit schmückte oder dahinter versteckte, verzieh man dieses im Grunde recht nützliche Accessoire seinerzeit. Wer es dem Designer jedoch nachtat und damit durch die Gegend wedelte, wurde, im Gegensatz zu ihm, nicht als elegant angesehen, sondern für überspannt gehalten. Nun ist Lagerfeld seit drei Jahren tot, aber der Fächer lebt.
Mit steigenden Temperaturen nicht nur in südlichen Regionen, sondern selbst in der norddeutschen Tiefebene, hat der Fächer plötzlich wieder Fans. Das ist schön und sonderbar zugleich. Denn was einem bisher allenfalls auf Urlaubsreisen in Souvenirläden als Kuriosum auffiel oder als Wandschmuck in asiatischen oder spanischen Restaurants ins Auge stach, sieht man nun auch im Alltag in der Straßenbahn oder in stickigen Theatersälen: Faltfächer aus Plastik- oder Bambusstäben, über die sich eine bunte Fläche aus Papier oder Stoff spannt.
Die Menschen, die sich damit an heißen Tagen Luft zuwedeln, sehen selten aus wie modische Hipster oder Möchtegernaristokraten. Es sind vielmehr pragmatische Typen, die einfach nicht in der Sommerhitze brüten wollen oder schnell Kreislaufprobleme bekommen, wenn die Luft dick ist. Der Fächer sorgt für eine frische Brise. Und mancher und manche, der oder die sich zunächst belustigt fragt, ob gleich eine Flamencoeinlage kommt, wenn jemand dieses Folklorerequisit aufklappt, wird früher oder später neidisch. Denn der Fächer ist nicht nur schöner als ein notdürftig aus einer Broschüre gefaltetes Provisorium oder gar ein surrender Handventilator. Er ist auch tatsächlich sehr effizient.
Einst Accessoire mit Statementcharakter
Schon vor 5000 Jahren wusste man Fächer zu schätzen. Bei den Ägyptern, Assyrern, Persern und Indern galten langstielige Modelle aus Palmblättern als hoheitliches Symbol. Der handliche Faltfächer entstand im 15. Jahrhundert in Korea, verbreitete sich in China und eroberte 100 Jahre später Europa. Bemalte Seide, gespannt über Holz- oder Elfenbeinstäbe, löste die bis dahin üblichen Federwedel ab. Was heute die It-Bag ist, war vor allem am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in Versailles der Fächer. Nicht nur die Damenwelt schmückte sich damals mit aufwendig verzierten und bemalten Modellen. In den Fächer integriert waren zuweilen auch Brillen, Puderdosen oder Spiegel – vieles, was man heute in einer Handtasche mitschleppt. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden auf die Flächen auch Ereignisse, etwa im Zusammenhang mit der Französischen Revolution, dargestellt. Damit hatten die Fächer sozusagen auch Statementcharakter.
Lektüre der besonderen Art schuf der Maler Oskar Kokoschka für seine große Liebe Alma Mahler-Werfel mit einer Reihe von Fächern, deren Motive „Liebesbriefe in Bildsprache“ waren. Ob es über solche speziellen Fälle hinaus jemals eine eigene Fächersprache gab, ist nicht eindeutig belegt. Überlieferungen, nach denen etwa ein übers Herz gehaltener Fächer „Ich liebe dich“ bedeutete, gelten Historikern und Historikerinnen zufolge eher als Erfindung von Fächerherstellern.
Apropos Marketing: Diors Kreativchefin Maria Grazia Chiuri hat die Zeichen der Zeit erkannt und mit dem Fächer „Toile de Jouy“ aus Holz und mit Pfingstrosen bedruckter Baumwolle für diesen Sommer ein Accessoire geschaffen, das nicht nur bei Hitze hilft, sondern es mit jeder It-Bag aufnehmen kann. Lagerfeld wäre wohl neidisch gewesen.
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