Wärme von innen

Abwarten und Tee trinken

Es ist Zeit, sich an die gute alte Wärme von innen zu erinnern – etwa durchs Teetrinken.

Es ist Zeit, sich an die gute alte Wärme von innen zu erinnern – etwa durchs Teetrinken.

Wo haben Sie zuletzt eine Tasse Tee getrunken? Im Büro? Im Hotel? Zu Hause zum Frühstück? Von der Menge des Verbrauchs mögen andere Länder Deutschland weit übertreffen – Irland und Großbritannien etwa – doch ist Tee längst auch in Deutschland fester Bestandteil der Heißgetränkekultur. Wenn auch nur an zweiter Position, und dies sogar mit weitem Abstand. Was sich schon im Sprachgebrauch zeigt: Wer unterwegs einen Tee trinken möchte, muss meist ausgerechnet dorthin gehen, wo man sich mit dem Namen eines ganz anderen Getränks brüstet – in ein Café, ein Kaffeehaus oder einen Coffee Shop.

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Während die Deutschen 2021 durchschnittlich 169 Liter Kaffee tranken, waren es nur 28 Liter Schwarz- und Grüntees und 44 Liter Kräuter- und Früchtetees. Damit haben Tees hierzulande zwar über die Jahre leicht zugelegt; an die Beliebtheit des Kaffees aber reichen sie – von regionalen Besonderheiten wie in Ostfriesland abgesehen – bei Weitem nicht heran. Laut den Daten des Onlinedienstes Statista besteht diese Kluft seit vielen Jahren. Warum eigentlich?

Decke statt heizen

Oft haben wir im Zuge des russischen Angriffskrieges vom Energiesparen geredet. Vom Aufwärmen und Frieren, der logischen Konsequenz aus den rapide veränderten Rahmenbedingungen: Die Preise für Gas, Öl, Benzin und Diesel haben zuvor nie für möglich gehaltene Höhen erreicht. Viele sitzen abends lieber mit der Decke auf dem Sofa, als dass sie die Therme noch mal eben ein Grad höher stellen.

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Es ist eine Zeit, die wie geschaffen scheint, sich auf den Tee zurückzubesinnen. Denn der ist nicht nur irgendein Getränk. Tee bedeutet Wärme und Entspannung zugleich. Zumindest, wenn man sich der Magie dieses Getränks hingibt.

Die heilende Kraft der Teepflanze

Christoph Peters hat eine einfache Erklärung dafür: „Da Tee, damit er gut schmeckt, eben eine gewisse, nicht automatisierbare Sorgfalt bei der Zubereitung benötigt, wirkt er schon durch die Entschleunigung, die damit verbunden ist, erst mal beruhigend auf den ganzen Menschen.“ Der Teeexperte und Autor des Buches „Diese wunderbare Bitterkeit – Leben mit Tee“ (Arche-Verlag, 144 Seiten, 15 Euro) legt größten Wert auf die korrekte Zubereitung, wie er im Gespräch erklärt. Dazu komme, dass Tee eine Vielzahl positiver Auswirkungen auf den gesamten Organismus habe. „Ich denke, dass unser Körper unbewusst mit Wohlgefühl auf das reagiert, was ihm guttut“, sagt Peters. „Insofern hängt die Entspannung beim Teetrinken vielleicht auch mit der heilsamen Kraft der Teepflanze zusammen.“

Autor und Teekenner: Christoph Peters.

Autor und Teekenner: Christoph Peters.

Glaubt man den zahlreichen Studien, die immer mal wieder veröffentlicht werden, ist Tee tatsächlich ein wahrer Gesundheitsförderer. Einige Sorten sollen demnach helfen, unterschiedlichen Krebsarten vorzubeugen. Andere wirken angeblich gegen Erkältungen, wieder andere sollen sich positiv auf den Schlaf auswirken. Die Universität Singapur veröffentlichte vor einigen Jahren im Fachblatt „The Journal of Nutrition, Health & Aging“ Studienergebnisse, wonach der Konsum von Schwarz-, Grün- oder Oolong-Tees die Gefahr von Alzheimer bei erblich bedingten Risikopatienten sogar um 86 Prozent senken soll. Zuallererst aber hilft dieses Getränk, den täglichen Bedarf an Flüssigkeit zu decken – und es hat von Natur aus keine Kalorien, sofern man es nicht süßt. Kein Wunder also, dass andere Länder Deutschland im Teekonsum weit voraus sind.

High Tea und Afternoon Tea in England

In Großbritannien etwa ist Tee ein derartiges Kulturgut, dass er zum Namensgeber für ganze Mahlzeiten geworden ist. Der Afternoon Tea mit Tee, Scones und Sandwiches wurde einst beim Adel zelebriert und ist heute gern und oft angebotenes Event in besseren Hotels. Der High Tea war ursprünglich die Antwort der Arbeiter darauf – sie kombinierten das Teetrinken gleich mit dem Abendessen. Und bis heute findet sich der Cream Tea als deutlich abgespeckter Nachmittagssnack in den meisten Regionen Englands auf den Speisekarten von Cafés. Auch das ist eine Besonderheit: Weil in Großbritannien Teetrinken anders als in Deutschland sehr wohl lange Zeit beliebter war als der Kaffee, hießen Cafés hier vielerorts „Tea Room“.

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Tee? Der spielt beim Afternoon Tea nur eine untergeordnete Rolle - echt ist er nur mit Scones, Sandwiches und Gebäck.

Tee? Der spielt beim Afternoon Tea nur eine untergeordnete Rolle – echt ist er nur mit Scones, Sandwiches und Gebäck.

Tee ist eine der tragenden Säulen der Zivilisation in diesem Land.

George Orwell, britischer Schriftsteller

Während sich die Briten damit abgefunden haben, dass heutzutage überwiegend Teebeutel in den Kännchen zu finden sind, gilt dort bis heute als Glaubensfrage, was zuerst in die Tasse gehört: der Tee oder die Milch? Denn englischer Schwarztee wird traditionell mit einem Schuss Milch getrunken. Es haben sich zwei Fraktionen gebildet, die „Milk in first“- und die „Tea in first“-Fraktion. „Mif“ oder „Tif“, diese Frage beschäftigte 1946 sogar den Schriftsteller George Orwell, der in einem Essay für den „Evening Standard“ unter anderem darlegte, dass zuerst der Tee in die Tasse gehöre. Seine elf Regeln für eine „schöne Tasse Tee“ werden bis heute gern hervorgeholt, wenn es um das Heißgetränk geht. „Tee“, schrieb Orwell, sei „eine der tragenden Säulen der Zivilisation“ in Großbritannien.

Teezeremonien in China

Auf der anderen Seite der Erde schüttelt man über solche Glaubensfragen bis heute den Kopf: in China. Von dort stammen die ältesten Hinweise auf den Tee. Unter der Qin-Dynastie soll er bereits 221 vor Christi Geburt besteuert worden sein. Und mit rund drei Millionen Tonnen jährlich ist China bis heute unangefochten Exporteur Nummer eins. Doch es sind nicht nur die reinen Zahlen, die das Land zur Teenation machen. Es ist die Art und Weise, wie dieses Getränk hier gewürdigt wird: in einer Zeremonie, die ihren Namen zu Recht trägt.

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Es gibt dabei einen Zeremonienmeister, der oder die den Tee am Tisch zubereitet und eingießt. Da wird eine Kanne mit heißem Wasser übergossen, bevor es in die Kanne über die losen Teeblätter kommt. Es gibt etwa beim Oolong-Tee mehrere Aufgüsse. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wärmen sich an den Bechern, sie schlürfen den Tee, und selbst anfangs skeptische Menschen freuen sich schließlich über jeden neuen Aufguss. Teetrinken nach chinesischer Art hat nichts mit Eile zu tun. Es ist ein Ritual, an dessen Ende sich jeder entspannt und aufgewärmt fühlt. Eine Art Meditation für den ganzen Körper.

Tee-Ernte

Arbeiterinnen pflücken bei der Ernte auf einer Plantage im chinesischen Chongqing Teeblätter.

„Rituale sind oft einfach entstanden, weil sich bestimmte Zubereitungsformen bewährt haben, die einer gewissen Aufmerksamkeit bedürfen“, erläutert Teeexperte Peters. „Dann optimiert und ritualisiert man über Generationen solche Zubereitungsabläufe, und da die meisten Dinge, die man mit Konzentration und Hingabe oder Liebe tut, auch für den Geist nutzbringend sind, beeinflussen sich Bewegungsabläufe, Atmosphäre, Gemeinschaft und Kulinarisches wechselseitig.“ Deshalb hätten sich rund um den Tee weltweit die verschiedensten Ritualformen entwickelt. „Ich denke, sie tun den Menschen auf allen Ebenen gut – und dem Tee auch.“

Ostfriesland: Weltmeister im Teetrinken

Auch in Ostfriesland – mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 300 Litern unangefochtener Weltmeister unter den Regionen – gibt es ein festes Ritual fürs Teetrinken. Doch ansonsten wird auf die Art der Zubereitung hierzulande wenig Wert gelegt. Teetrinken bedeutet für viele, sich in der kleinen Küche im Büro einen Teebeutel in einen Becher zu hängen und ihn mit mehr oder weniger heißem Wasser aus dem Boiler zu übergießen. Während wir mit Cafés opulente und gemütlich eingerichtete Räumlichkeiten verbinden, nennen wir diesen oft trostlosen Teil vieler Firmen „Teeküche“.

Wie eine Wolke steigt die Sahne im Ostfriesentee wieder nach oben.

Wie eine Wolke steigt die Sahne im Ostfriesentee wieder nach oben.

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Meist ist es Schwarztee, der da anschließend am Schreibtisch getrunken wird, meist spielt das aber auch kaum eine Rolle. Es könnte auch Cola, Wasser, Kaffee oder anderes sein. Wo bleibt da der Genuss?

„Der größte Fehler in vielen Cafés ist inzwischen, dass sich irgendwann vor zwei oder drei Jahrzehnten die Meinung durchgesetzt hat, das Wichtigste beim Tee sei die Ziehzeit“, ärgert sich Autor Christoph Peters. Der Teebeutel werde neben dem nicht mehr kochenden Wasser serviert und könne so nicht mehr seinen Geschmack entfalten. „Für alle Sorten Schwarztee ist die Temperatur viel zu niedrig: Egal ob man den jetzt zwei oder 20 Minuten ziehen lässt, da kommt nur noch eine fade Plörre bei heraus.“

Ausdauer und Neugier fürs Teetrinken

Die Deutschen und der Tee, ist diese Beziehung noch zu retten? „Ich würde schon sagen, dass es in Deutschland ein sehr gutes Teeangebot gibt“, räumt Peters ein. Die Schwierigkeit bestehe eher darin, in der großen Fülle das zu finden, was einem wirklich gut schmeckt. „Viele Tees sind, wenn man sie mit ein bisschen Sorgfalt zubereitet, ganz gut – wenn man aber das absolut herausragende Geschmackserlebnis sucht, braucht man Ausdauer, Neugier und muss einfach vieles ausprobieren.“

Der Deutsche Tee- und Kräuterteeverband gibt sich in seinem „Teereport 2022″ immerhin optimistisch: „Teetrinken ist hierzulande beliebt wie nie zuvor“, heißt es darin. Und dies schlage sich in den Zahlen nieder. Mit gut 20.000 Tonnen Schwarz- und Grüntee sei der Teeverbrauch in Deutschland auf einem Rekordniveau angelangt.

Vor allem jüngere Zielgruppen entdeckten Tee als Lifestylegetränk für sich. „Stärkeres Ernährungsbewusstsein, auch ausgelöst durch ein Umdenken während der Corona-Pandemie, mehr Achtsamkeit im Alltag, viel Bio und die Lust auf Neues sind Trends, die den Absatz von Tee beschleunigen.“

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Autor George Orwell hielt offenkundig eher nicht so viel von Trends. In seinen elf Regeln für eine „schöne Tasse Tee“ riet er dazu, Tee aus Indien oder Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, zu verwenden – also schon damals klassische Sorten. Chinatee hingegen sei nicht sehr anregend. „Man fühlt sich nach dem Trinken nicht klüger, mutiger oder optimistischer.“

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