Witz, komm raus

Worüber darf man lachen? Über Humor in woken Zeiten

Worüber darf man noch gefahrlos witzeln? Die Bühne des Komikers ist die kulturelle Gefahrenzone der Stunde.

Worüber darf man noch gefahrlos witzeln? Die Bühne des Komikers ist die kulturelle Gefahrenzone der Stunde.

Konstantin Kisin ist ein britisch-russischer Komiker. Unicef buchte ihn mal für einen Auftritt bei einer Wohltätigkeitsgala in London. Vor seiner Show sollte Kisin ein Papier unterzeichnen. In dieser „Verhaltensvereinbarung“ hieß es: „Durch die Unterzeichnung stimmen Sie unserer Nulltoleranzpolitik in Bezug auf Rassismus, Sexismus, Klassismus, Altersdiskriminierung, Ableismus, Homophobie, Biphobie, Transphobie, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie oder Antireligion und Antiatheismus zu.“

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Kisin unterschrieb nicht. Er sagte ab. Nicht, weil er ein leidenschaftlicher Rassist oder Sexist wäre. Sondern weil er um die Freiheit der Kunst fürchtete. „Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen“, sagte er. „Und dieses Schreiben wäre genau die Art von Brief, den ein Komiker dort erhalten hätte.“

„Politische Korrektheit hat die Comedy getötet“

Da war sie wieder: die Witzpolizei. Sie hat mächtig zu tun in diesen Zeiten. Ihre Streifen sind pausenlos im Einsatz. Digitale Räumbataillone patrouillieren in den sozialen Netzen. Unermüdlich, unerbittlich, moralisch integer, schnell beleidigt, leicht entflammbar und vor allem besorgt brandmarken sie alles angeblich Unsagbare und entscheiden selbstgerecht, worüber zu lachen und wovon bitte schön zu schweigen sei. „Politische Korrektheit hat die Comedy getötet“, sagt US-Humorist Steve Harvey. Das Kulturmagazin „Socalo“ schreibt gar von einem „Krieg gegen die Comedy“. Die Bühne des Komikers ist die kulturelle Gefahrenzone der Stunde. In Diktaturen riskieren Humoristen Gefängnis oder Tod. In Demokratien drohen immerhin Pranger und Karriereknick.

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Die Witzpolizei ist da: In seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ ließ Jan Böhmermann den Komiker Sebastian Rüdiger den Kabarettisten Dieter Nuhr parodieren.

Die Witzpolizei ist da: In seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ ließ Jan Böhmermann den Komiker Sebastian Rüdiger den Kabarettisten Dieter Nuhr parodieren.

Gerade erst hat sich Jan Böhmermann mit der Satireparodie „Nuhr im Zweiten“ als Chefmoralist der Nation an der Reizfigur Dieter Nuhr abgearbeitet. Man muss Nuhrs Humor, seinen nölig-altväterlichen Predigerton und sein Fremdeln mit dem Zeitgeist wahrlich nicht mögen, um angesichts von Böhmermanns Tugendfuror ein ungutes Gefühl zu entwickeln. Denn eine wirklich freie Gesellschaft, das weiß auch Böhmermann, muss auch Dieter Nuhr oder die ebenfalls böse parodierte Lisa Eckhart nicht nur aushalten, sondern noch dazu jederzeit ihr Recht verteidigen, sich zu äußern – selbst wenn einem die Stoßrichtung ihrer Comedy ein Gräuel ist. Wohlfeiler Applaus aber war dem Polizistensohn sicher.

Humor ist eine hoch subjektive Angelegenheit. Für die Erkenntnis, dass nicht alle alles witzig finden, genügt ein Blick in jede Familien-Whatsapp-Gruppe. Mancher findet Aprilscherze oder Dieter Nuhr eben lustig, mancher nicht. Oder nehmen wir den – laut einer britischen Studie – „lustigsten Witz der Welt“: Zwei Jäger sind im Wald, plötzlich bricht einer zusammen. Der erste ruft in Panik den Notruf an: „Ich glaube, mein Freund ist tot. Was soll ich tun??“ Der Notdienst antwortet: „Beruhigen Sie sich und gehen Sie erst mal sicher, dass er tatsächlich tot ist.“ Stille. Dann ertönt ein Schuss. „Okay“, sagt der Jäger zurück am Telefon – „und was jetzt?“ Ein Witz über Mord! Eine Gewalttat! Wo bleibt der Aufschrei der Anständigen? In Wahrheit ridikülisiert der Witz natürlich nicht den Mord, sondern das übertrieben sachorientierte Verhältnis des Jägers zu Leben und Tod.

Verhaftet von der Witzpolizei für „obszöne Sprache“: US-Komiker Lenny Bruce nach einer Festnahme in einem Comedy-Club in San Francisco im Oktober 1961.

Verhaftet von der Witzpolizei für „obszöne Sprache“: US-Komiker Lenny Bruce nach einer Festnahme in einem Comedy-Club in San Francisco im Oktober 1961.

Der Witz steht unter Beschuss. Dabei gehört der Grenzgang zum Humorhandwerk. Rebellion und Subversion sind der Grundgestus der Komik. Sigmund Freud schrieb vom „ersparten Hemmungsaufwand“: Der Witz, auch der hässliche und garstige, ist demnach eine Pause der Konvention, ein berauschender Moment der Enthemmung – also ein Augenblick der Entlarvung. Stand-up-Legenden wie Lenny Bruce, der sich in den Fünfzigern in New Yorker Nachtclubs mit der Kirche und der bürgerlichen Bigotterie anlegte, oder Richard Pryor in den Siebzigern waren glänzende Pioniere des Unsagbaren. Ihre Komik bezog ihre kathartische Wirkung auch aus der Bereitschaft, das „Unmögliche“ auszusprechen. Beide bekämen heute wieder mächtig Gegenwind – nur nicht mehr von den Konservativen, sondern von überbesorgten Bilderstürmern.

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Natürlich darf „War doch nur ein Witz!“ keine Universalentschuldigung fauler Scherzbolde sein für Antisemitismus, Homophobie oder miese Gags auf Kosten anderer. Auch ist der Unflat etwa von Chris Tall von Lenny Bruce so weit entfernt wie Oliver Pocher von Otto Waalkes. Und natürlich ist es albern, dass US-Komiker Joe Rogan einen „anti-woken“ Comedyclub in Texas eröffnet hat, in dem Besucher ihre Handys am Eingang abgeben, damit niemand die Gags posten kann – ein „Safe Space“ also für rechtstendenziöse Reaktionäre. Das ist absurd. Aber: Politische Korrektheit als oberste, heilige und einzige Regel für alles Komische ist ebenso absurd.

Selbst böser Humor kann heilen

Selbst böser Humor kann heilende Kraft entwickeln. In der Historie gebaren schwierige Zeiten stets die besten Witze. Heutzutage herrscht statt Witz vor allem passiv-aggressive Betroffenheit, zu besichtigen auf Poetry-Slam-Festivals, in ichbezogenen Blogs oder bei Böhmermann. Hat die Generation Woke ein Humorproblem? Sicher ist: Sie hat mit bestimmten Lebensformen des Humors ein Problem. Das jedoch ist, Verzeihung, ihr Problem, nicht das des Humors. Es ist in liberalen Gesellschaften unzulässig, persönlichen Geschmack zum Maßstab dessen zu erheben, was Satire darf und was nicht. Und sei die Absicht auch noch so hehr.

In der Komik kommt es auf dreierlei an: auf den Witz, den Kontext und den Absender. Jede Minderheit habe ein Recht auf Diskriminierung, scherzte einst Serdar Somuncu. Als türkischstämmiger Komiker sendet er damit ein anderes Signal aus, als wenn Chris Tall denselben Gag macht. Ohnehin spielt Selbstverspottung in vielen Gruppen, die Diskriminierung erleben, eine wichtige Rolle als sozialer Kitt. Nicht von ungefähr ist der jüdische Humor weltberühmt. Doch es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Schwuler einen Schwulenwitz macht oder ein Nazi. Wobei die Sache bei einem schwulen Nazi schon wieder kompliziert wird. Aus der eigenen Unsicherheit heraus aber lieber gleich den ganzen Humorzirkus abzublasen, ist grundfalsch.

„Jemand, der vollkommen nett und intelligent ist und sich immer angemessen verhält, ist nicht lustig“: Monty-Python-Mitgründer John Cleese bei einem Berlin-Besuch.

„Jemand, der vollkommen nett und intelligent ist und sich immer angemessen verhält, ist nicht lustig“: Monty-Python-Mitgründer John Cleese bei einem Berlin-Besuch.

Die präzise Entschlüsselung von Humor ist heute eine gefährdete Kulturtechnik. Als die BBC die Folge „The Germans“ der John-Cleese-TV-Serie „Fawlty Towers“ strich, weil die Figur eines rassistischen Army-Majors im Ruhestand darin unter Verwendung des „N-Wortes“ über ein karibisches Cricket herzog, war der Monty-Python-Mitgründer Cleese zu Recht fassungslos: „Wenn du jemandem Schwachsinn in den Mund legst, um dich über diese Figur lustig zu machen, machst du dich nicht mit ihren Ansichten gemein. Du machst dich über sie lustig. Wenn die Leute zu blöd sind, das zu begreifen, weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll.“ Merke: Nicht jeder Witz über Rassismus ist ein rassistischer Witz.

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Mehr als das Gejammer eines Dinosauriers

Gut, könnte man sagen: Die alten weißen Männer heulen einfach dem Privileg hinterher, sich keine Gedanken machen zu müssen. Sie stolpern aus der Zeit, weil niemand mehr lacht über ihre schlecht gealterten Witze aus dem Holozän des Humors. Doch Cleeses‘ Klage lässt sich nicht einfach als Gejammer eines Dinosauriers abtun. Es ist die ehrliche Sorge um die Unterordnung der gesamten öffentlichen Debatte unter ein einziges Diktat: das nämlich des politisch Korrekten. Im „Politically Correct Comedy Club“ in Wien etwa überarbeiten die auftretenden Komiker ihr Programm bereits jetzt vorab mit einer „Sensitivity Readerin“ auf potenzielle Diskriminierungen. So soll zum Beispiel das Wort „crazy“ nicht verwendet werden, weil es psychische Gesundheit verharmlose. Aber – und das sage ich als Betroffener – es bringt die Welt nicht nachhaltig voran, wenn alle immer bloß beleidigt sind. Lieber sollte mancher Comedian sein Programm mal von einem Witzprofi prüfen lassen.

Eine Satire, die jedem gefällt, kann keine gute sein. Humor taugt als potentes Werkzeug, um als Gesellschaft überhaupt über schwierige Themen wie Politik, Schmerz, Krankheit, Tod, Rassismus, Diskriminierung ins Gespräch zu kommen. Wenn eine entwässerte, artige, zahme, zaudernde Comedy jedes potenziell riskant-sensible Thema ausblendet, um bloß niemandem auf den Schlips zu treten, ist sie tot. Mit Wellness-Witzlein ist der Gegenwart kaum beizukommen.

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Lebensklug, warm, friedlich: Die australische Komikerin Hannah Gadsby ist mit ihrem Programm „Nanette“ zum Star geworden.

Grenzen und Tabus sind der Feind jeder Komik – und gleichzeitig ihr wichtigster Treibstoff. Humor braucht Freiheit und Herz. Freiheit ist dabei nicht die Abwesenheit jeglicher moralischer Leitplanken. Herz wiederum bedeutet nicht, dass Humor niemals hartherzig und unversöhnlich sein kann. Der wahre Witz wohnt in der Wahrheit. Und die kann, verdammt noch mal, auch schmerzhaft, böse und garstig sein. Das entbindet den Satiriker freilich nicht von der Pflicht, sich der Wirkung seiner Worte bewusst zu sein.

Gute Satire tritt nach oben, nicht nach unten. Sie bringt hervor, wonach die Zeit verlangt. Hannah Gadsby („Nanette“) etwa zeigt mit enormem Erfolg, dass lebenskluge, warme, friedliche Comedy niemanden verletzen muss. Ihr Recht auf Humor ist deshalb aber nicht größer oder kleiner als das von Chris Tall. Denn wer soll, bitte, entscheiden, worüber man lachen darf? Diese Frage lässt sich nur auf eine einzige Weise präzise beantworten: jeder und jede Einzelne selbst. Moralischer Absolutismus und gesellschaftspolitische Übergriffigkeit helfen niemandem. Wenn tausend Menschen lachen und drei nicht, können diese drei nicht der Maßstab des Erlaubten sein.

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Nur weil du dich beleidigt fühlst, heißt das noch nicht, dass du Recht hast.

Ricky Gervais, britischer Komiker

Natürlich unterliegt auch der Humor, wie jede Spielart der Kommunikation, Veränderungen. Neue Generationen kappen alte Zöpfe. Kaum eine Strömung im akademischen Ableger der Generation Z ist so stark wie die feste Überzeugung, am Ende auch irgendeiner Randgruppe anzugehören, der man mit Zorn und Sprachretusche zu ihrem Recht verhelfen muss. Aber, wie Ricky Gervais sagte: „Nur weil du dich beleidigt fühlst, heißt das noch nicht, dass du recht hast.“

„Satire darf alles – aber nicht alles darf sich Satire nennen“: Kurt Tucholsky 1922 mit der Schauspielerin Gussy Holl.

„Satire darf alles – aber nicht alles darf sich Satire nennen“: Kurt Tucholsky 1922 mit der Schauspielerin Gussy Holl.

Nach der identitären Denklogik sind Mitglieder dominanter Gruppen aus Debatten um dominierte Gruppen sogar vollständig ausgeschlossen. Nur wer dazugehört, darf mitreden und mitlachen. Identität zählt also mehr als Argumente. Das ist tödlich für jede freie Debatte. Zu Ende gedacht führt all das in eine neue kulturelle Apartheid, in der Gruppen unter sich bleiben und nur noch über sich lachen dürfen – und nicht mehr über „die anderen“.

Satire ist die scharfsinnige, böse Schwester des Humors

Satire, die scharfsinnige, böse Schwester des Humors, schmerzt und zündet. Oder sie ist egal. Der Humor – zumal der deutsche – ist ja eher ein gemütlicher, rotbackiger Kumpan, der niemandem wehtun möchte. Die Satire dagegen ist ein fieses, kleines Biest. „Die echte Satire ist blutreinigend“, schrieb Kurt Tucholsky. Als er 1919 sein zu Tode zitiertes Bonmot notierte von der Satire, die alles dürfe, waren Satiriker noch von Gefängnis bedroht. Doch sein Satz geht noch weiter. Er schrieb: „Satire darf alles – aber nicht alles darf sich Satire nennen.“ Was also ist Satire? Sie ist so schwer zu definieren wie Liebe. Sie schafft als nützliches Korrektiv eine Umgebung des Unernsten, in der größere Freiheiten herrschen. Wenn Humor der heitere Himmel ist, ist Satire der Blitz. „Jemand, der vollkommen nett und intelligent ist und sich immer angemessen verhält, ist nicht lustig“, sagt Cleese.

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Witz ist ein taugliches Vehikel für Wahrheiten, die auf anderen Wegen niemals die Gehirne erreichen würden. Der britische Komiker Ricky Gervais glaubt, dass die aktuellen Debatten um die Grenzen des Humors ohnehin nur ein verkappter Generationenkonflikt sind. „Ich möchte lange genug leben“, sagte er in einem Podcast, „um mitzuerleben, dass die jüngere Generation nicht mehr woke genug für die nächste Generation sein wird. So wird es passieren.“ Comedy, hat Mel Brooks mal zärtlich gesagt, sei „der geile kleine Elf, der dem König ins Ohr flüstert und immer die Wahrheit über menschliches Verhalten ausspricht“. Dieser Elf ist in Gefahr. Er ist, wenn man so will, auch nichts anderes als eine schützenswerte Minderheit.

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