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Sci-fi-Songs mit KI-Hilfe

Neues Album von Angela Aux: Klingt so Folkmusik in 50 Jahren?

Lieder über die Zukunft der Menschheit. Florian Kreier alias Angela Aux veröffentlicht in dieser Woche sein Album „Instinctive Travels on the Paths of Space and Time“.

Lieder über die Zukunft der Menschheit. Florian Kreier alias Angela Aux veröffentlicht in dieser Woche sein Album „Instinctive Travels on the Paths of Space and Time“.

Einen Song „Yesterday“ zu nennen, ist immer noch äußerst gewagt. Denn an dem meistgecoverten Beatles-Lied kommt man einfach nicht vorbei, auch nicht 58 Jahre später. Für alle Zeiten werden alle Menschen bei der Nennung von „Yesterday“ an jenen Song denken, der 1965 den Kosmos von John, Paul, George und Ringo um Kunstmusik erweiterte. „Yesterday … all my troubles seem so far away …“

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Auch das neue „Yesterday“ ist ein überragend schöner Song

Und vermutlich wird in ferner Zukunft niemand als Erstes sagen: Hey, das war doch dieses coole Lied von Angela Aux, der – nein es erklingt hier trotz des Namens keine Frauenstimme – mit dieser Lloyd-Cole-Stimme von der „einsamen verrückten Maschine“ sang. Einem Roboter, der „morgens in der Gasse eine Taschenlampe aufleuchten ließ und unaufhörlich weinte.“ Was schade wäre, denn auch dieses andere, neue „Yesterday“ ist eine überragende Schönheit von Song.

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Bei der Angela Aux dann noch die Chuzpe hat, im Refrain eine Harmonie aus „Dear Prudence“ einzubauen, einem anderen Beatles-Lied, und das Ganze vom Bass her ein wenig so klingen zu lassen, als träume Lou Reeds „Walk on the Wild Side“ in einem geligen Fluidum. In Aux‘ „Yesterday“ geht es, so will es scheinen, um die derzeit in aller Munde befindliche, Träume und Albträume durchwehende Künstliche Intelligenz.

Und diese K. I. hat sich möglicherweise bereits der menschlichen Konkurrenz entledigt: „The humans are dead, remain dead, we killed that beast“, heißt es in dem Song. Schon länger schwant uns Babyboomern ja, dass künftige Generationen eines Tages auf den Gräbern von uns Ressourcenverschwendern und Allesverderbern tanzen werden. In diesem Song gibt es indes nicht mal mehr jemand Menschlichen, der tanzen könnte.

Das Album sieht nach kalter Maschinenmusik aus – stattdessen gibt es warme Folksongs

Angela Aux ist ein Kunstwesen, dahinter verbirgt sich der Politologe, Künstler, Songwriter und Musiker Florian Kreier, der früher auch mal bei Sportsfreund Hip-Hop gemacht hat und seit 2012 bei der Münchner Band Aloa Input singt und Bass spielt. Sein fünftes Soloalbum „Instinctive Travels on the Paths of Space And Time“, es ist schon das fünfte des 1983 in Traunstein geborenen Musikers, hatte man, nachdem es mit der Post ins Homeoffice kam, erstmal ein paar Tage umkreist.

Grund: Grafisches Cover-Artwork in Barbie-Pink und Ken-Blau zu so einem Titel lassen schon seit den Siebzigerjahren auf kalte Synth-Instrumentals schließen, wofür man sich erstmal in seine Jean-Michel-Jarre-Stimmung hineinmeditieren müsste. Aber es sind dann zur Überraschung richtige warme Songs drauf. Ein akustisches Gepräge kreist in Doppelhelix mit einem elektronischen. Immer wieder denkt man an Pink Floyd, als die zwischen ihren psychedelischen Anfängen und „The Dark Side of The Moon“ ja auf „Atom Heart Mother“ (1970) und „Obscured by Clouds“ (1972) einen sanften spacigen Folk pflegten.

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„Eine Komposition von Robocop Dylan für eine Gruppe von Avataren“

„Inspiriert hat mich vor allem der Gedanke wie eine Folkplatte in 50 Jahren sein könnte“, beschreibt Aux seinen Antrieb gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Eine Komposition von Robocop Dylan für eine Gruppe von Avataren.“ Solche „Vorahnungen“ seien für ihn „der spannendste Bereich in der Kunst, auch in Folkerzählungen.“ Neil Young hatte 1983 mit seinem elektronischen Album „Trans“ etwas Ähnliches versucht. „Ein völlig unterschätzes Meisterwerk“, nennt Aux die 40 Jahre alte Future-Folk-Scheibe des Kanadiers. „Es war für mich eine Art Mondbasis, die ich immer mal wieder besuchte.“

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Die Stimme von Aux ist vielfältig, dabei immer sanft und umarmend, selbst wenn sie durch einen Vokoder gezerrt wird wie in „Oh Camille“, dessen pinkfloydeske Kennzeile „Go tell the morning, I‘ll be waiting at the gates of dawn“ in der Umsetzung nach den zuckrigsten Chorgesängen der Süßholzpopper Münchener Freiheit klingt (in deren Reihen bis 2011 immerhin Amon-Düül-2-Sänger Stefan Zauner mitgespielt hatte). Letztere finden auf dem Waschzettel der Plattenfirma als Bezüge aber ebensowenig Erwähnung wie Canned Heat, an dessen Sänger Alan Wilson Aux‘ Falsett im shuffelnden „Pearly Gates“ erinnert.

KI kann „zur großen Hilfe oder zur finalen Katastrophe mutieren“

Ein anmutigeres Popamalgam hat man 2023 kaum gehört. Als hätte Aux einer KI einiges aus dem Oeuvre von Beatles, Lou Reed, Everly Brothers, Simon & Garfunkel und ELO eingetrichtert respektive eingeprompted und gesagt: „Mach aus diesen Gemmen mal die bestmöglichen Songs und führe immer wieder natürliche Klänge in synthetische Sounds über, damit auch Raumschiff drin ist.“ Das Ergebnis ist luftig, luzide, wunderbar zeitlos, wertig. „KI-Tools waren beteiligt, aber man wird sie nicht hören“, versichert Kreier, der selbst „Folkmystiker wie Bob Dylan, Leonard Cohen aber auch Bob Marley, Grace Jones, Frank Zappa, John Lennon und natürlich Bowie“ als Einflüsse anführt.

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Künstliche Intelligenz sieht Aux ambivalent. „Es ist als Technologie erst mal neutral, aber in den Händen der richtigen oder falschen Menschen kann es zur großen Hilfe oder zur finalen Katastrophe mutieren.“ Denker wie der israelische Historiker Noah Yuval Harari, die deutsche Physikerin Sabine Hossefelder oder der amerikanische Philosoph Sam Harris warnten nicht umsonst davor, so der Musiker.

„Es bringt die klassischen Fragen der Menschheit wieder ins Zentrum: Was ist wichtiger: die Interessen von wenigen Menschen oder die der Allgemeinheit?“, fragt Aux und rät allen Zeitgenossen zu Teilhabe. „Alle Menschen geht das an, man sollte sich für diese Themen interessieren, denn sie werden diesen Planeten umpflügen wie nichts zuvor.“

Initialzündung für das Album war die Geschichte der Atomkraft

Als „Konzeptalbum“ sieht Aux seine „Instinctive Travels ...“. „Initialzündung war für mich die Feststellung, dass Atomenergie von Militaristen entwickelt wurde, die dann logischerweise die schrecklichste Waffe aller Zeiten bauten. Diese Bombe ist die größte Hypothek auf diesem Planeten. Bei der Erschließung von Maschinellem Lernen und Biotechnologie darf sich das nicht wiederholen. Möglichst viele Menschen müssen sich dafür interessieren und Einfluss nehmen.“

Die Songs freilich stünden jeder für sich. „Man kann einiges erfahren und entdecken: zu Themen wie Alienbesuchen, Biotechnolgie, Gott als vom Menschen erschaffene Superintelligenz, dem Himmel als Multiverse und unsere Persönlichkeitsanteile als Avatar eines selbst erzeugten Universums.“ Und man könne ein paar Wochen in der Platte versinken – da gibt sich Aux selbstbewusst.

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Zumal die Texte oft so rätselhaft sind wie die Musik schön. Als Hilfe bekommt der geneigte Hörer immer einen kleines Erkläressay über ihre Entstehung und Hintergründe zur Seite gestellt, ein Service, den es früher öfter gab (man denke an Wolfgang Niedeckens Bap-Song-Plaudereien).

Aux‘ Ausgriffe in die Zukunft sind oft beunruhigend, unheimlich – aber es findet sich auch erlösender Witz. Die Munchie Men genannten Fremdweltler im fast fröhlichen, jazzelnden „Alien Porridge“ sind friedliche Weltraumreisende wie im Klaatu-Song „Calling Occupants (of Interplanetary Craft)“. Sie sind weise, rauchen einen, kochen außerirdischen Brei für Homo sapiens sapiens und – „love was all around“.

Das Pseudonym Angela Aux geht auf eine Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts zurück

Dass Aliens aus dem All heranrauschen könnten, um uns auszulöschen, hält Kreier, der durchaus auch Humor hat, für typisch menschliche Selbstüberschätzung, wie er im Begleittext zum Song schreibt. Der Mensch kommt des Öfteren schlecht weg. „Alles was wir versucht haben, ist diesen Seelenzustand zu durchbrechen“, heißt das Mantra gegen Ende von „Start a Fire“, einem Lied über die Menschheit, die bewusst Feuer entfacht und sich dann hinsetzt und auf Regen hofft. Statt sich aufzuraffen und – beispielsweise – die Klimakrise gemeinsam anzugehen. Jenseits des Inhalts ist der Song ein echter Ohrwurm – wie so viele auf „Instinctive Travels …“

Und wieso das weibliche Pseudonym? „Meinen Namen habe ich, seit ich die Frauenrechtlerin Anita Augspurg entdeckt habe“, sagt Aux. Die Fotografin, Pazifistin und erste promovierte Juristin des Deutschen Kaiserreichs (1857-1943) sei für ihn eine der wichtigsten Denkerinnen der letzten 150 Jahre. „Mir und vielen anderen Menschen gaben ihre feministischen Ideen die Möglichkeit freier und selbstbestimmter zu leben“, sagt Aux. „Alle Menschen sollten sie kennen.“

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Wie im Übrigen auch den Aux-Song „Yesterday“.

Angela Aux – „Instinctive Travels Through Space And Time“ (Inselgruppe), erscheint am 5. Mai. Das Album ist ein Teil von drei Kunstwerken – es gehört noch Aux‘ Roman „Nach dem Ende der Zeit“ dazu und sein zwei Jahre altes Theaterstück „Introduction to the Future Self“, das zum Release des Albums noch einmal an den Münchner Kammerspielen aufgeführt wird.





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