Wie das Abba-Comeback Konzerte verändern könnte
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Die digitale Kopie: So werden Björn Ulvaeus (l.-r.), Agnetha Fältskog, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad als Abbatare zu sehen sein.
© Quelle: Industrial Light And/PA Media/dp
Abba sind zurück – und irgendwie doch nicht. Die vier schwedischen Poplegenden haben an diesem Freitag ein neues Album herausgebracht, das erste seit 40 Jahren und eine Platte, die doch so klingt, als lägen die 40 Jahre gar nicht dazwischen.
Doch das ist gar nicht unbedingt das Bemerkenswerte an diesem neuen Stück Popkultur. Bemerkenswert ist viel mehr, dass die Band da ist, ohne da zu sein. Natürlich: Seit der Erfindung des Grammophons 1887 müssen Musikerinnen und Musiker nicht mehr vor Ort sein, um ihre Arbeit erklingen zu lassen. Seitdem sind wir es gewohnt, ihnen durch Schallplatten, Kassetten, CDs und zuletzt Streams zu lauschen, ohne Präsenz. Doch treibt Abba diese Entwicklung weiter, viel weiter.
Große Tournee? Für Abba nicht das liebste Hobby
Zwar gibt es neue Musik von Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad. Doch als Band mit aufwendiger Promotour, mit gemeinsamen Auftritten, mit Musikvideos und nicht zuletzt mit großer Livetour: Das wird es nicht geben. Zumindest nicht so, wie es bisher ungeschriebenes Gesetz war: Monate unterwegs in Tourbussen und Flugzeugen, mehrere Lkw-Wagen Bühnentechnik, stets gleichsam wirkende Hotelzimmer in immer weniger unterscheidbaren Städten. „All I do is eat and sleep and sing – Wishing every show was the last show“, sang Anni-Frid Lyngstad bereits 1980 in „Super Trouper“. Dass das ständige Unterwegssein nicht nur aufregend, sondern anstrengend ist, sagt Björn Ulveus in einem Interview mit dem „Spiegel“ zu der Idee, eine Welttournee mit 120 Konzerten zu machen: „Sie können sich vorstellen, dass uns das umbringen würde. Das wäre so schlimm gewesen.“
Schon bei ihrer Ankündigung Anfang September saßen lediglich Björn Ulvaeus und Benny Andersson, inzwischen 76 und 74 Jahre alt, auf der Bühnencouch. Die beiden Frauen, sie fehlten. Im Interview mit dem „Spiegel“ sagte Ulveus, dass sie das Rampenlicht nun meiden würden – sie seien wahre Künstlerinnen: „Diese kreative Arbeit, das Singen und das Musikmachen, lieben die beiden. Der Rest interessiert sie überhaupt nicht. Nur muss jemand über diese Platte sprechen. Also haben Benny und ich gesagt: Wir machen das.“
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Björn Ulvaeus (l.) und Benny Andersson von der schwedischen Popgruppe Abba arbeiten im Aufnahmestudio.
© Quelle: Ludvig Andersson/Universal Music
Abba blieb ohne neues Material im Gespräch
Abba versteht das Musikgeschäft bis ins Detail, schließlich haben sie es geschafft, auch nach dem Band-Aus 1982 im Gespräch zu bleiben. Sie haben zwei erfolgreiche Musicals auf den Markt gebracht, zwei dazugehörige starbesetzte Filme und haben ein Abba-Museum aufgezogen. Sie wissen, dass Musikerinnen und Musiker nicht vor Ort sein müssen, um ein Gefühl der Nähe zu vermitteln.
Auf die Spitze getrieben haben sie dies mit ihrem Tourkonzept: Ewig junge, mit einem ewigen Vorrat an Energie, ewig auf den Punkt performende Avatare stehen an ihrer Stelle auf der Bühne, gestaltet nach dem Vorbild der Band von 1979. Die vier echten Abbas haben in lustigen Anzügen eine Konzertshow aufgenommen, die die „Abbatare“ dann in der eigens dafür gebauten Arena in London abspulen. 2022 läuft die Show von Mai bis Dezember, in der Regel an vier Tagen die Woche. Und wer sich jetzt fragt, wer dafür zwischen etwa 62 und 300 Euro ausgibt, ohne dass er oder sie tatsächlich die vier Schweden live seht, dem sei gesagt: offensichtlich eine Menge Leute. Denn für die ersten Monate sind kaum mehr Tickets verfügbar.
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Björn Ulvaeus (l.-r.), Agnetha Fältskog, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad, in den Anzügen, in denen sie die Bewegungen für die „Voyage“-Show aufzeichnen.
© Quelle: Baillie Walsh/Industrial Light a
Können Hologramme echt wirken?
Sie entkoppeln die Person, das Lebendige von den Fans und lassen nur noch Musik und Algorithmus sprechen. Andererseits kann man sich fragen, inwieweit ein Besucher oder eine Besucherin bei einem Superlativkonzert überhaupt viel von der Livepräsenz mitbekommt, wenn er oder sie die Band nur daumennagelgroß aus der Distanz miterlebt – und eigentlich nur durch die Bildschirmübertragung mitbekommt, was da in diesem Bühnenkasten vor sich geht. Ist es da nicht sowieso die Stimmung der Fans, der kollektive Rausch, die Bühneneffekte, die Überwältigungsshow, die solch ein Event prägen?
Abba sind nicht die ersten, die Hologramme auf die Bühne schicken – vielleicht aber die ersten, die schon zu Lebzeiten dies im großen Stil nutzen wollen. Der 1996 erschossene Rapper Tupac Shakur war 2012 als digitaler Geist beim Coachella-Festival auf der Bühne an der Seite von Snoop Dogg zu sehen. Die verstorbene Musiklegende Roy Orbison ging 2018 gar als Hologramm auf Welttournee. Whitney Houston gab in Großbritannien als digitales Replikat bis kurz vor Start der Corona-Pandemie Konzerte. Und die Reaktionen? Gespalten. Während sich befragte Fans nach den Konzerten begeistert äußern, dass dies die einzige Möglichkeit sei, ihre Idole bei einer Show zu erleben – und es absolut liebten – gibt es auch kritische Stimmen. Der „Billboard“-Autor Jason Lipshutz, selbst ernannter Tupac-Fan, schrieb 2012 nach dem Hologramaufritt, dass er kein Problem mit der Nutzung der Technologie habe, sich aber der choreographierte Auftritt inkorrekt angefühlt habe. „Es fühlte sich falsch an, als ob der Versuch, die Energie, die Tupac in seinem Leben und seinem Rap ausstrahlte, einzufangen, vergebliche Mühe wäre.“
Kann ein Algorithmus wie das Original wirken?
Natürlich liegt bei Abba die Lage anders: Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad haben die Show selbst eingespielt, die Bewegungen der „Abbatare“ sind die ihren. Das Showkonzept, die Setlist, das Design – all das wurde nicht nachträglich von Choreographen, Veranstaltern und Bühnendesignern entwickelt: Es ist Abba. Trotzdem wird sich erst im Mai 2022 schlussendlich zeigen, ob die Hologramme wie starre Kopien wirken oder tatsächlich echt wirken, original wirken.
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Agnetha Fältskog (l.) und Anni-Frid Lyngstad bei den Albumaufnahmen.
© Quelle: Ludvig Andersson/Universal Music
Dass es keine neuen Liveshows der vier geben würde, haben sie über die Jahre immer wieder deutlich gemacht. Sie schlugen die Gage von einer Milliarde US-Dollar aus, die ihnen für eine Welttournee geboten wurde. Für ein Comeback scheinen also andere Gründe gesprochen zu haben. Laut Ulvaeus standen die vier einfach wieder im Studio, hatten wieder Lust auf neue Songs. Aus einem Song wurden mehrere, wurde ein Album, wurde ein digitales Showkonzept. Die Arbeit für die vier ist also getan: Jetzt übernimmt die digitale Kopie.
Damit trennen die vier Musikerinnen und Musiker ihre Person, ihre Präsenz von der Musik. Sie machen es möglich, in allererster Linie für sich selbst, in der Popmusik mitzumischen, ohne aber mit dem Rampenlicht umgehen zu müssen, ohne sich mit den irdischen Dingen wie Reisen, Hotels, Cateringessen zu beschäftigen – und das ist nicht weniger revolutionär als die Erfindung der Schallplatte.