Warum ist Ihre Generation so dekadent, Sophie Passmann?
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Sophie Passmann.
© Quelle: Patrick Viebranz/Kiepenheuer & Witsch
Frau Passmann, wann waren Sie zum letzten Mal auf einer Party?
Im Januar 2020, nach einer Buchpremiere. Wahnsinn, wie lange das her ist. Ich war aber damals nicht das letzte Mal betrunken, falls das die nächste Frage sein sollte.
Sollte es eigentlich nicht. Aber gut. Wann war das denn?
Vorgestern. (lacht) Glaub ich jedenfalls. Ich lebe ein ganz normales Lockdownleben.
In Corona-Zeiten sind Partys ja per Verordnung untersagt. Vermissen Sie sie?
Ich mag Partys ganz gerne, aber dann doch nicht so, dass mich ihr Fehlen in meinem Lebensglück beschränkt. Am schlimmsten fand ich die Phase im ersten Lockdown, als man ständig zum Zoom-Bier eingeladen wurde. Ich betrachte diesen Versuch, Partys ins Lockdownleben zu verlagern, als gescheitert. Es macht einfach keinen Spaß.
„Ich freue mich auf jede neue Ministerpräsidentenkonferenz“
Was prägt Ihr Leben in der Pandemie?
Ich treffe wenige Menschen, bei jeder Begrüßung strecke ich erst die Hand aus und ziehe sie dann wieder zurück. Ansonsten beobachte ich jeden Morgen neue Hochrechnungen und Statistiken und freue mich auf jede neue Ministerpräsidentenkonferenz, wie ich mich im Leben noch nie auf Ministerpräsidentenkonferenzen gefreut habe.
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Ihre schlagfertigen Texte bei Twitter haben die Autorin, Moderatorin und Satirikerin Sophie Passmann bekannt gemacht, ebenso wie ihre Auftritte beim „Neo Magazin Royale“. Auf Instagram, wo sie auch schon mal mit Salzstreuern Politik erklärt, hat sie mittlerweile mehr als 220.000 Follower, auf Twitter sind es rund 160.000. Sophie Passmann, 1994 im niederrheinischen Kempen geboren, aufgewachsen in dem baden-württembergischen Städtchen Ettenheim, hat in Freiburg Politik und Philosophie studiert, Poetry geslammt und zuvor bei einem Radiosender in Offenburg volontiert. Am Theater Freiburg moderierte sie über zwei Spielzeiten mit Tobias Gralke eine Late-Night-Show. Seit Januar 2018 ist Passmann Moderatorin beim Radiosender 1 Live. Sie arbeitet aber nicht nur fürs Radio: Seit 2019 schreibt sie auch die monatliche Kolumne „Alles oder nichts“ für das „Zeitmagazin“. Ihr 2019 erschienenes Buch „Alte weiße Männer“, für das sie Gespräche beispielsweise mit Grünen-Co-Chef Robert Habeck, Sternekoch Tim Raue und dem ehemaligen „Bild“-Chef Kai Diekmann geführt hatte, wurde zwar kontrovers besprochen, war aber erfolgreich. So stand es wochenlang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Ebenfalls 2019 kam ihr Buch über den Musiker Frank Ocean auf den Markt. Passmanns aktuelles Buch „Komplett Gänsehaut“ ist vor wenigen Tagen im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen, hat 192 Seiten und kostet 19 Euro.
© Quelle: www.imago-images.de
In Ihrem Buch gehen Sie mit Partys, auf denen Angehörige der Millennialgeneration stundenlang in der Gegend herumstehen und sich an Getränken festhalten, hart ins Gericht. Warum?
(lacht) Weil die Erzählerin es zum Kern ihrer Aufgabe gemacht hat, alles besser zu verstehen und alles doof zu finden. Das ist nicht automatisch mein Blick auf die Welt. Aber diese Person will bei allem dabei sein, aber auch alles ein bisschen hassen.
„Komplett Gänsehaut“ ist eine Abrechnung mit einer Wohlfühlgeneration, die Sie irgendwo zwischen Rückengesundheit, Stehlampen im Bauhausstil und Biometzger verorten. Ist Ihre Generation wirklich so dekadent?
Das Buch rechnet, wenn überhaupt, dann mit einem Milieu innerhalb dieser Generation ab. Leute in meinem Alter und das Milieu in diesem Buch zeichnet aus, dass wir zwischen zwei Welten stehen. Wir sind zu alt für die Generation Greta, die sehr klimabewusst lebt und sehr darauf aus ist, die Welt besser zu machen. Wir sind aber auch anders als die Leute ein paar Jahre über uns, die noch eine gewisse Art von Selbstgenuss, Hedonismus, vor sich hertragen.
„Es sagt viel mehr über einen Menschen aus, was er gut findet“
Sie schreiben: „Ich habe eine ganze Liste von Dingen, für die ich nicht gehalten werden möchte.” Was steht da bei Sophie Passmann ganz oben drauf?
(Pause) Weltfremdheit. Es gibt Leute, die tragen eine gewisse Weltfremde oder sogar Weltekel vor sich her und machen das zum Kern ihres Charakters. Dabei finde ich relativ uninteressant, was jemand doof findet. Es sagt viel mehr über einen Menschen aus, was er gut findet.
Das überrascht mich jetzt. Die Erzählerin in Ihrem Buch findet ja wirklich ziemlich viel sehr doof.
Das ist ja das Schöne an Literatur, dass ich da eine Person erfinden kann, die zwar gewisse Eigenschaften mit mir teilt, aber nicht deckungsgleich ist. Die Erzählerin hat definitiv eine Form von Weltekel. Ihr innerer Monolog ist eine Wutrede gegen das Milieu, in dem sie lebt. Das ist die inhaltliche Ebene. Aber auf der Ebene der Textstruktur habe ich das immer wieder aufgebrochen. Da zerbröselt die toughe Selbstsicherheit dieser Frau, da wird deutlich, wie sehr sie Teil des Milieus ist. Mich hat dieser Habitus des absoluten Verstehens, des Alles-kaputt-Reflektierens, des Bescheidwissens und trotzdem Mitmachens interessiert. Das hätte sich in einem Sachbuch oder einem Essay nicht so gut aufschreiben lassen.
Es gibt, auch sprachlich, sehr harte Passagen. Sie sprechen beispielsweise von einem „sortenreinen Kiez”, in dem die Erzählerin lebt. Was meinen Sie damit?
In größeren Städten gibt es Stadtteile, die eine gewisse Weltoffenheit, Toleranz, ein linksliberales Verortetsein vor sich hertragen. Gleichzeitig sind sie so wahnsinnig homogen. Alle sind weiß, alle sind in dritter, vierter, fünfter Generation deutsch, alle haben zwei bis drei Kinder, dieselben Chiffren, dieselben Codes. Das meine ich mit sortenrein.
Die Erzählerin wirft es ihrem Milieu, der einkommensstärksten und vermögendsten deutschen Erbengeneration sogar vor, Nazi-Geld zu erben.
Der Satz kommt in einer Passage vor, in der die Erzählerin ihre Straße beschreibt. Natürlich gibt es da auch einen hippen Weinladen. Sie macht eine Weinprobe, wird immer betrunkener, immer obszön-doofer in der Art, wie sie über andere urteilt. In ihrem Suada-Eifer ist sie plötzlich davon überzeugt, dass die Großeltern der Leute um sie herum alle während des Dritten Reichs Geld gescheffelt haben. Aber die Erzählerin ist Teil dieser Weinprobe. Ihr scheint zu reichen, dass sie dazugehört, aber härter aburteilt.
„Überlegt doch mal bitte, woher das Geld kommt, das ihr irgendwann erbt“
Wie sähe eine gute Aufarbeitung aus?
Es gibt zahllose Unternehmen, die im Dritten Reich große Profiteure waren und heute ein völlig harmloses Image haben. Ich finde irritierend, wie schnell das ging. Das ist keine 100 Jahre her. Da fehlt eine Debatte. In meiner Generation redet man sehr viel über das Reflektieren von Privilegien: Überlegt mal, woher ihr kommt, was ihr macht, wer ihr seid. Dazu gehört aber ganz selten: Überlegt doch mal bitte, woher das Geld kommt, das ihr irgendwann erbt.
Sie sind Mitglied der SPD. Wie könnte Ihre Partei helfen?
Ich weiß es nicht. Ich bin keine Generalsekretärin der SPD. Vor allem nicht im Wahljahr.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Freundschaft der Erzählerin mit einem Mädchen. Was haben Kinder, was Erwachsene nicht haben?
Das Mädchen ist schon zwölf, also an der Grenze vom langweiligen Kid zum coolen Teenager. Ich hab für Mädchen dieses Alters eine große Sympathie, einfach, weil ich mich ziemlich gut erinnere, wie man sich fühlt, wie sehr man ein Vorbild braucht. Dass die Erzählerin diese Freundschaft hat, liegt aber auch daran, dass die meisten zwölfjährigen Mädchen cooler sind als die 27-jährigen Mädchen, die ich kenne.
Was wäre Ihr Buch in einem Tweet?
Hmmm, 280 Zeichen ... „Komplett Gänsehaut” handelt von einer Frau, die behauptet zu sein, wie sie gar nicht ist.
Sie gehen im Buch mit Ihren Geschlechtsgenossinnen hart ins Gericht. An guten Tagen, schreiben Sie, „wissen wir, dass uns niemand zwingt, uns anzumalen und diese Strumpfhosen anzuziehen, die den Bauch in Richtung der überlebenswichtigen Organe drücken”. Was ist an schlechten Tagen los?
Es gibt ja diesen alten Heinz-Erhardt-Gag darüber, dass die Frau mal wieder vor dem vollen Kleiderschrank steht und trotzdem nichts anzuziehen hat und der Ehemann sich genüsslich darüber lustig macht. So frauenfeindlich das ist, im Kern steckt darin unfreiwillig eine Beschreibung solcher schlechten Tage. Es geht natürlich nicht um die Klamotten. Es geht um das Lebens-, das Körpergefühl von Frauen, um die Überforderung angesichts der Frage, mit welcher Art von Charaktereigenschaften sie der Welt an diesem Tag begegnen möchten.
„Allein, was Frauen sich an Sexismus anhören müssen, ist schockierend“
Wir führen dieses Interview kurz vor dem Weltfrauentag. Wie erleben Sie die Situation für Frauen in Deutschland?
Es wäre zynisch, unerwähnt zu lassen, dass die Situation sehr viel besser als vor einigen Jahrzehnten ist. Aber es macht mich gleichzeitig wahnsinnig wütend, wie viele Baustellen es noch gibt. Allein, was Frauen sich an Sexismus anhören müssen, ist schockierend. Ja, es gibt einige neue Gesetze, die Benachteiligungen von Frauen aufgehoben haben. Aber die Abwesenheit von Benachteiligung ist für mich nicht das Gleiche wie Gleichstellung. Es gibt aktive, konservative Politiker, die dagegen gestimmt haben, dass Frauen in der Ehe nicht mehr straffrei vergewaltigt werden dürfen, und später hofften, Kanzlerkandidat und CDU-Vorsitzender zu werden. Dass das nicht reicht als Ausschlusskriterium für den Job, zeigt doch, wie tief die Gleichgültigkeit gegenüber Frauenrechten noch ist.
Sie haben für Pro Sieben die von Joko und Klaas initiierte Ausstellung „Männerwelten” moderiert. Dabei ging es auch um Belästigung von Frauen im Netz, Hasskommentare, übergriffige Chatverläufe, das Zusenden sogenannter Dick Pics, Genitalbilder, die Frauen ungefragt im Netz zugeschickt bekommen. Wie oft passiert Ihnen so etwas?
Die Zeiten der Dick Pics sind bei mir vorbei. Ich glaube, das liegt daran, dass ich Mütter recherchiert und ihnen Screenshots von Penisbildern ihrer Söhne geschickt habe. Das hat sich in dem Kreis von Arschlöchern im Internet, die Penisbilder rumschicken, offenbar rumgesprochen. Aber Frauenhass? Natürlich, ständig. Es gibt ganze Forengruppen, die sich damit auseinandersetzen, was ich wann poste und wie daneben ich im Detail bin.
Viele Frauen, die in den Medien arbeiten, berichten das.
Das erlebt ausnahmslos jede Frau, die in der Öffentlichkeit steht. Die Dreharbeiten zu „Männerwelten” haben mir das noch mal vor Augen geführt. Die Moderatorin Jeannine Michaelsen, die Rapperin Visa Vie und das Model Stefanie Giesinger lesen dort Internetkommentare über sich vor. Alle drei sind sehr toughe, sehr gut aussehende Frauen. Das war wichtig in diesem Kontext. Bei jeder finden Männer Sachen, die nach ihren irrelevanten Maßstäben nicht schön genug sind. Ich bin fest davon überzeugt, es gibt keine Frau im Fernsehen, deren Körper so ist, dass er nicht kommentiert wird. Wenn ich mir parallel anschaue, dass Männer im Fernsehen einfach aussehen dürfen, wie sie aussehen, platze ich manchmal wirklich vor Neid. Wenn es mich nicht immer wieder Zeit kosten würde zu überlegen, welcher Vollidiot gerade irgendwelche Hasskommentare bei Youtube über mich postet, wäre ich eine noch bessere Moderatorin, als ich ohnehin schon bin.
Erinnern Sie sich an eine Beleidigung, die Sie getroffen hat?
Klar. Aber die erzähle ich nicht. Das macht es nicht besser.
Was haben Sie am Weltfrauentag vor?
Ich habe einen Fernsehdreh zu meinem Buch und werde parallel schauen, was viele tolle Frauen zum Weltfrauentag schreiben.
Sie haben auf diese Frage einmal geantwortet, Sie wären am Weltfrauentag immer unfreundlich zu Männern.
(lacht) Ja, der Witz hat vielen Männern nicht gefallen.
„Ich bin am Weltfrauentag nicht außergewöhnlich unfreundlich zu Männern“
Und: Sie lassen ihn jetzt?
Ach, das war eine Bemerkung, die man nicht so ernst nehmen darf. Ich nehme sie hiermit zurück. Ich bin am Weltfrauentag in der Regel nicht außergewöhnlich unfreundlich zu Männern.
Ihr Buch ist über lange Passagen hinweg von Selbsthass geprägt. Warum?
Mir war es wichtig, mit einer gewissen Erbarmungslosigkeit aufzuschreiben, was man von sich denken kann. Es ist etwas sehr Frauenspezifisches, wenn so ein blanker Hass den eigenen Körper, das eigene Aussehen trifft. Das wird oft kombiniert mit einem sehr harschen Urteil anderen Frauen gegenüber, verbunden mit der Hoffnung, dass Männer einen dann toller finden. Ich wollte zeigen, wie schnell man in diesen Kreislauf von Selbstzweifel, Selbsthass und Frauenhass gerät.
Sie sind 27 und beziehen sich in Ihrem Buch auf den Club 27, eine Gruppe von Musikern, die mit 27 Jahren gestorben ist – darunter Janis Joplin, Kurt Cobain, Amy Winehouse. Was ist so besonders an dem Lebensjahr, dass es so viele Menschen in eine Sinnkrise stürzt?
Ich glaube, es geht gar nicht um das 27. Lebensjahr, sondern um das Narrativ darum. Es ist wahnsinnig aufregend zu fragen: Ist das Zufall, dass da so viele Ikonen ums Leben gekommen sind, oder gibt es irgendetwas Tieferes? Interessanterweise ist für Leute, die nur sieben, acht Jahre jünger sind als ich, der Club 21 relevant. Es gibt in jüngerer Zeit zwei oder drei Rapper, die mit 21 Jahren gestorben sind. Das zeigt ja: Es geht nur darum, eine Art Mystik um dieses Lebensjahr herum zu erzeugen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung deutscher Frauen lag 2020 bei 83,6 Jahren. Was macht Sophie Passmann Hoffnung für die nächsten 56 Jahre?
Ich schreibe in 25 Jahren den zweiten Teil dieses Buches. Ich hab gehört, das läuft bei Popliteraten ganz gut.