Sieg der Arbeitsnomaden und des Kinos: „Nomadland“ gewinnt die wichtigsten Oscars
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Schauspieler und Filmproduzent Peter Spears (von links nach rechts), Schauspielerin Frances McDormand, Regisseurin Chloé Zhao, Filmproduzentin Mollye Asher und Produzent Dan Janvey mit dem Oscar für den besten Film für „Nomadland“.
© Quelle: Chris Pizzello/Pool AP/dpa
Los Angeles. Das gab es noch nie: eine Oscarverleihung in einem Bahnhof. In der altehrwürdigen Union Station von Los Angeles lief der Zug- und U-Bahn-Verkehr unbemerkt weiter, während mittendrin eine auf Distanz platzierte Hollywoodrunde auf blauen Sofas die Nacht der Nächte nach Corona-Regeln beging. Eine höchst ungewöhnliche Ansage von Regisseurin und Schauspielerin Regina King eröffnete denn auch die Gala: „Masken runter, wenn die Kamera läuft, Masken rauf, wenn nicht.“
An ein Filmset sollte die von Regisseur Steven Soderbergh („Ocean’s Eleven“) choreografierte Show erinnern. Das war ein bisschen zu viel versprochen angesichts dieser nüchternen, manchmal gar trockenen Präsentation. Die Show dürfte kaum dazu beigetragen haben, die sinkenden Oscareinschaltquoten rund um den Globus aufzufangen – sieht man mal von der hüftschwingenden Glenn Close bei einem Musikquiz ab.
Immerhin: Leibhaftige Stars in teuren Roben hatten sich versammelt. Das war besser als all die Videoehrungen der vergangenen Monate bei den Golden Globes und Co., bei denen sich die Prominenz im Pyjama zuschalten ließ.
Hollywoods Wille, diverser zu werden
Vor allem aber gab es eine würdige Siegerin, deren Triumph beispielhaft für den ernsthaften Willen Hollywoods steht, diverser zu werden: Den Preis für den besten Film gewann die in den USA lebende Chinesin Chloé Zhao. Die 39-Jährige erzählt in „Nomadland“ von in Wohnwagen umherziehenden Arbeitsnomaden – und zugleich von dem, was vom amerikanischen Freiheitstraum geblieben ist.
Zhao holte sich auch den Regieoscar als (kaum zu glauben) erst zweite Frau nach der US-Amerikanerin Kathryn Bigelow 2010. Die Regisseurin widmete ihren Preis ganz unaufgeregt all jenen, die an das Gute in sich und in allen anderen Menschen glauben. Mit Zhao wurde ebenso Hauptdarstellerin Frances McDormand ausgezeichnet – bereits zum dritten Mal in ihrer Karriere.
Bei den Männern siegte der 83-jährige Anthony Hopkins für seine grandiose Vorstellung im Demenzdrama „The Father“. Viele hatten dennoch auf den jung verstorbenen Chadwick Boseman und seinen letzten großen Auftritt in „Ma Rainey’s Black Bottom“ getippt.
Rassismus und Polizeigewalt Thema
Diese 93. Oscarshow hatte gesellschaftspolitische Aktualität, weil auch die Filme diese haben. Beispielhaft dafür standen die Worte von Daniel Kaluuya, ausgezeichnet als bester Nebendarsteller in „Judas and the Black Messiah“: Er sei dankbar, überhaupt am Leben zu sein, bemerkte Kaluuya – und spielte damit gleichermaßen auf den von ihm verkörperten und vom FBI 1969 ermordeten Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton an wie auf die Schwarzen, die durch Polizeigewalt bis heute sterben.
Es ging noch direkter: Der oscargepriesene Kurzfilm „Two Distant Strangers“ erzählt von der tödlichen Begegnung eines Schwarzen mit einem weißen Polizisten. Drei Menschen werden nach der Statistik täglich in den USA getötet, wie sie Oscarsieger Travon Free und Martin Desmond Roe auf der Bühne erklärten.
Viele Nichtweiße machten das Rennen bei den so ungewöhnlichen Oscars 2021. Kaum jemand nahm den Preis mit so viel Charme entgegen wie die Südkoreanerin Youn Yuh-jung, die Großmutter aus dem Einwanderungsdrama „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“, die sich bei den Nebendarstellerinnen gegen hochkarätige Konkurrentinnen wie Olivia Colman durchsetzte: „Vielleicht habe ich einfach mehr Glück“, bemerkte sie trocken – und flirtete mit Laudator Brad Pitt, dem es sogar gelungen sei, ihren Namen richtig auszusprechen.
„Ich vermisse und ich liebe sie“
Und der bewegendste Moment? Der Auftritt des dänischen Regisseur Thomas Vinterberg, der vier Tage nach Drehbeginn von „Der Rausch“ seine Tochter Ida bei einem Autounfall verloren hatte. Nun gewann die Tragikomödie den Auslandsoscar. „Ich vermisse und ich liebe sie“, sagte ein zu Tränen gerührter Vinterberg. „Wir haben diesen Film für sie gemacht. Ida, das hier ist für dich.“ War dieser Augenblick zu intim für ein Millionenpublikum?
Immer wieder fiel an diesem Abend der Name des Streamingdienstes Netflix, der 35 Mal nominiert war und mit „Mein Lehrer, die Krake“ sogar den Preis für den besten Dokumentarfilm gewann. Doch für die große Netflix-Hoffnung „Mank“, ein Drama über den „Citizen Kane“ – den Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz –, blieben nur die Oscars für Kamera (Erik Messerschmidt) und Production Design. Eine ernüchternde Ausbeute.
So hat das Kino auch im Jahr der geschlossenen Kinos die Nase vorn. Was „Nomadland“-Siegerin McDormand zu der Bitte brachte: „Schauen Sie sich unseren Film ganz bald auf der größten Leinwand an, die Sie finden.“