Schauspielerin Vicky Krieps in Cannes: „Schönheit ist eine Währung“
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Vicky Krieps bei den César-Awards im Februar 2022.
© Quelle: Getty Images
Vicky Krieps hat sich mit ihrem Filmehemann Daniel Day-Lewis in dessen letztem Film „Der seidene Faden“ (2017) gezofft. In der Serie „Das Boot“ (2018–2020) ging sie als Widerstandskämpferin in die französische Résistance. In den deutschen Kinos war die 1983 geborene Luxemburgerin jüngst in dem Beziehungsdrama „Bergman Island“ zu sehen. Und nun hat sie gleich zwei Auftritte beim Filmfestival in Cannes.
Frau Krieps, Sie spielen hier in Cannes in zwei Filmen Hauptrollen, in der Liebesgeschichte „Mehr denn je“ von Emily Atef und in „Corsage“ von Marie Kreutzer. Wie wichtig sind Ihnen Auftritte bei diesem Festival?
Mit jedem einzelnen Film ist es eine große Ehre, hier zu sein. Ich bin cinephil aufgewachsen und als Jugendliche regelmäßig in die Cinémathèque in Luxemburg gegangen. Cannes war für mich immer ein Sehnsuchtsort.
„Corsage“ eröffnet im Juni das Münchner Filmfest und startet bereits Anfang Juli in den Kinos: Sie spielen die mit ihrer welkenden Schönheit hadernde Elisabeth, Kaiserin von Österreich-Ungarn, besser bekannt als jauchzend-jugendliche Sisi in den Romy-Schneider-Filmen: Wollen Sie diese Frau von ihrem Zuckerimage befreien?
Nein, die Filme sind ja wunderschön. Ich habe sie Weihnachten bei unseren Nachbarn geschaut, weil es das bei uns nicht gab. Ich fand es exotisch, dass man Prinzessinnenfilme gucken darf. Deshalb habe ich schon als Teenager eine Biografie über Elisabeth gelesen.
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War das etwa die Initialzündung für „Corsage“?
Gewissermaßen. Als ich mit meiner Regisseurin Marie Kreutzer 2015 „Was hat uns bloß so ruiniert“ gedreht habe, haben wir überlegt, bald wieder zusammenzuarbeiten. Ich habe ihr einen Film über Elisabeth vorgeschlagen. Sie hat gelacht und gesagt, niemand in Österreich würde sich für diese Frau interessieren. Alle würden an Kitsch denken. Dabei hatte ich Elisabeth als rätselhaft in Erinnerung. Sie ließ sich weder malen noch fotografieren, dafür aber Fitnessgeräte in ihre Gemächer einbauen. Sie war unglaublich figurbedacht. Die Frage war bloß: Warum?
Ja, warum?
Drei Jahre später schickte Marie mir ein fertiges Drehbuch mit einer Postkarte dabei. Da stand drauf: „Ich bin noch mal ins Archiv gegangen. Du hast recht gehabt.“ Wir wollen den Mythos um Sisi nicht zerstören, sondern ihm auf den Grund gehen. Elisabeth war gewissermaßen das erste Opfer der Celebrity-Kultur. Ganz ohne Instagram.
Wieso war die Kaiserin ein Opfer?
Als junges Mädchen geriet sie durch ihre Heirat mit Franz Joseph in eine Maschinerie, die sie nicht verstand. Ganz Europa entschied, dass sie die Schönste ist. Auf ihr lastete ein ungeheurer Druck. Zugleich konnte sie aus dem rückwärtsgewandten Königshaus nicht ausbrechen. Sie konnte lediglich ihren eigenen Körper wie eine Skulptur modellieren. Umso schwieriger war es für sie, dass sie in so vielem ihrer Zeit voraus war.
Woran machen Sie das fest?
Sie wollte ihre Kinder selbst erziehen, interessiertes sich mehr für Gedichte als für die Bibel, reiste lieber, als bei Empfängen dekorativ herumzustehen, interessierte sich für Politik, auch wenn das ihrem Mann nicht gefiel. Sie war eine der ersten Monarchinnen, die sich gegen die Monarchie aussprach – und wurde absurderweise von einem Anarchisten erstochen.
Elisabeth hat jeden Tag ihre Wespentaille von 42 Zentimetern vermessen und wollte nicht mehr als 50 Kilo wiegen: Haben Sie Ihr eigenes Gewicht plötzlich anders wahrgenommen?
Ich habe mir viel Mühe gegeben, dass das nicht passiert. Wir haben zu Hause auch gar keine Waage. Aber ich konnte wegen meines Kostüms kaum essen, weshalb ich dauernd übers Essen nachgedacht habe. Beim Drehen musste ich das Korsett von früh morgens bis spät abends tragen, viel länger, als man es gewöhnlich tat.
Was waren die Folgen?
Es war interessant, dass es eine Traurigkeit auslöste, wenn ich eingeschnürt wurde. Wenn ich das Korsett ausziehen konnte, verging dieses Gefühl wieder.
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Wie hätte Elisabeth wohl auf den allgegenwärtigen Moderummel in Cannes geschaut?
Ich glaube, Sie hätte mitgemacht. Das ist ja das Krankhafte an ihrem Modezwang gewesen: Er hatte sich tief in ihre Persönlichkeit eingeschrieben.
In Cannes drehen sich Frauen jeden Abend vor Kameras: Hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts womöglich gar nicht so viel geändert?
Jedenfalls noch längst nicht genug. Ich komme gerade von einem Fitting (Anprobe für den roten Teppich, d. Red.). Da sagte mir eben eine Kollegin, bei einer bestimmten Hose müsse ich aufpassen. Sie mache – wie das auf Französisch heißt – einen Bauch. Ich antwortete, dass das doch schön sei. Da haben mich alle komisch angeschaut
Das müssen Sie erklären.
Na, unser Bauch ist doch unsere Superpower. Im Bauch entstehen Kinder. Da kann keine Maschine, kein Internet und erst recht kein Mann mithalten. Und trotzdem verstecken wir den Bauch? Das ist so, als würde ein Superheld seine Superkraft verstecken.
Aber Sie spielen doch auch mit beim Modezwang. Tragen Sie hier in Cannes auf dem roten Teppich die erwünschten High Heels?
Meistens habe ich keine an. Das kann aber schon mal schwierig sein. Wenn ich ein besonderes Kleid anziehe, und das ist entsprechend lang, muss ich Absätze tragen. Ich kann leider nicht das Kleid um fünf Zentimeter kürzen. Ansonsten bevorzuge ich Turnschuhe.
Mag es der Modekonzern, mit dem Sie bei solchen öffentlichen Auftritten zusammenarbeiten, wenn Sie so offen über diese Zwänge reden?
Das öffentliche Reden darüber ist mir wichtig. Ich sage ganz offen, wenn mir die Füße wehtun. Und dann ziehe ich die Schuhe aus.
Wie wichtig ist Schönheit für Frauen heute?
Schönheit ist eine Währung. Heute gilt sie nicht mehr nur auf dem Heiratsmarkt, sondern auch bei einer Bewerbung. Überall finden sich Bilder von uns, bei Instagram und Co. Das kommt der permanenten Kontrolle in einer Art öffentlichem Spiegel gleich.
Klingt wenig hoffnungsvoll.
Ist es auch nicht.
Sie drehen bereits Ihren nächsten Kinofilm, in dem Sie Ingeborg Bachmann spielen. Wie ging die Schauspielerin mit Schönheit und Älterwerden um?
Sie war zwiegespalten. Einerseits war Ingeborg Bachmann absolut emanzipiert, andererseits abhängig von dem Bild, das sich die Öffentlichkeit von ihr machte. So ähnlich wie Sisi hatte sie das Etikett „hübsches Mädchen“ aufgepappt bekommen. Davon konnte sie sich nie wieder befreien. Sie hat sehr gelitten.
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