Regisseur Dresen und sein Berlinale-Film über den Guantanamo-Gefangenen Kurnaz: „Die Welt ist veränderbar“

Zu sehen bei der 72. Berlinale: Alexander Scheer und Meltem Kaptan in einer Szene des Films „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.

Zu sehen bei der 72. Berlinale: Alexander Scheer und Meltem Kaptan in einer Szene des Films „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.

Er gehört zu den renommiertesten Regisseuren in diesem Land: Andreas Dresen erzählt in Werken wie „Sommer vorm Balkon“ oder „Halt auf freier Strecke“ mit viel Mitgefühl für seine Kinofiguren. Jetzt hat der 1963 in Gera geborene Filmemacher die Geschichte von Murat Kurnaz verfilmt – aus einer ungewöhnlichen Perspektive.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Herr Dresen, nach „Nachtgestalten“, „Halbe Treppe“ und „Als wir träumten“ folgt nun Ihr vierter Auftritt im Berlinale-Wettbewerb: Ist die vierte Einladung noch so aufregend wie die erste?

Aber ja. Die Berlinale ist eine der größten Bühnen, die man sich vorstellen kann – auch wenn das Ganze unter Pandemiebedingungen stattfindet. Wie wird das sein, wenn der Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ seinem Publikum begegnet? Das werde ich am Sonnabend am Potsdamer Platz erleben.

Der beste Startplatz des Festivals. Da läuft sonst immer Hollywood.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wir waren regelrecht baff. Das ist ein Statement. Die Berlinale hat uns wirklich liebevoll eingeladen.

Wie groß ist die Vorfreude, sich inmitten der Corona-Pandemie mit 800 Menschen in den Berlinale-Palast zu setzen?

Ich habe keine Angst – und bin natürlich geimpft: Noch wichtiger finde ich aber, dass wir ein Zeichen setzen: Die Kultur lebt! Wir haben uns unter Pandemiebedingungen zwei Jahre lang durch den Filmdreh gekämpft, und jetzt meistern wir auch die Berlinale. Kultur ist systemrelevant. Und wir alle brauchen dringend Nahrung für unsere angeschlagenen Seelen. Momentan ist sowieso die ganze Gesellschaft ein Superspreader. Ich halte die Berlinale für verantwortbar.

Ist das denn überhaupt eine richtige Berlinale – so ganz ohne Festival-Brimborium?

Ich war noch nie Fan von Partys und Empfängen – und auch kein Fan vom roten Teppich. Ich begebe mich lieber über den Hintereingang ins Kino. Diese Berlinale ist gewissermaßen auf das Wesentliche zurückgeworfen: auf die Filme. Aber klar, ich freue mich auch, wenn es hoffentlich bald mal wieder geselliger wird.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

War der Aufbruch in die USA etwas Neues für den Heimatfilmer Dresen?

Diese Geschichte hat das Reisen ganz einfach erfordert. Gerade das türkische Filmteam hat mir viel Laune gemacht und war extrem lustig. In den USA hingegen ist alles so überreglementiert, dass es einen in die Verzweiflung treibt. Alle haben zu mir „Yes, Sir“ gesagt. Ich musste plötzlich hierarchisch auftreten und den Regisseur raushängen lassen. Sonst hätte das nie geklappt. In Washington lag der Sturm aufs Capitol gerade mal drei Monate zurück, die CIA war deswegen permanent an unserer Seite. Und der Supreme Court war abgesperrt. Die Filmbilder vom Gericht sind alle digital hergestellt. Absurd!

Es gibt schon ein autobiografisches Buch von Murat Kurnaz und auch einen Spielfilm über ihn: Wieso drehen Sie nun noch einen?

Wir erzählen ja aus einer völlig anderen Perspektive: Wie ergeht es einer Mutter, deren Sohn verschwindet und die Monate später feststellen muss, dass er im Guantanamo-Gefangenenlager sitzt? Und dann zieht sie in einen aussichtslos scheinenden Kampf um ihren Sohn.

Hatten Sie das von Anfang an so geplant?

Ursprünglich wollte ich von Murat Kurnaz selbst erzählen. Ich habe aber schnell festgestellt, dass ich an die Grenzen meiner Vorstellungskraft stoße. Die Zustände in Guantanamo kann ich mir mit meiner bescheidenen ostdeutschen Alltagserfahrung nicht vorstellen. Murat hat mir detailliert erzählt, wie er gefoltert wurde. Das hätte man im Kino gar nicht ausgehalten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Und dann?

Dann habe ich Murats wundervolle Mutter Rabiye in Bremen kennengelernt. Und nun ist sie unsere Identifikationsfigur, über die sich dieses schwere Thema erzählen lässt. Rabiyes Humor, Kraft und Vitalität machen es leichter. Und das Ganze ist ja auch eine hoffnungsvolle Geschichte. Es gelingt Rabiye zusammen mit dem Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke, Murat nach fünf Jahren aus Guantanamo herauszuholen.

Wie haben Sie Ihre wunderbare Hauptdarstellerin Meltem Kaptan gefunden?

Wir haben den gesamten deutsch- und auch türkischsprachigen Raum nach Schauspielerinnen abgegrast. Das ist Meltems erster Spielfilm in einer tragenden Rolle, von Haus aus ist sie Comedienne. Sie birst vor Energie, hat aber gleichzeitig eine große Durchlässigkeit. Man schaut in ihr Gesicht und mitten in die Seele hinein. Sie hat viel mit der Original-Rabiye geredet. Sie vertrauten einander. Unsere Verantwortung gegenüber der Mutter Rabiye und auch dem Anwalt Bernhard war groß: Wir wollten ihre Geschichte so fein wie möglich erzählen.

Sie selbst sind Laien-Verfassungsrichter im Land Brandenburg: Hat Ihr Gerechtigkeitssinn Sie angetrieben?

Als 2008 alles begann, habe ich diese Aufgabe noch gar nicht ausgeübt. Aber klar, als ich Murats Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ gelesen hatte, war ich zornig. So einen Horror verortet man doch nicht in unserer demokratischen Gegenwart. Und noch immer sind 39 Gefangene in Guantanamo weggesperrt. Es gibt viele Leidensgeschichten wie die von Murat. Bis heute hat sich bei ihm noch keiner der verantwortlichen Politiker entschuldigt und gesagt: Wir haben da einen Fehler gemacht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Künftige Wirkungsstätte: Filmregisseur Andreas Dresen vor der Rostocker Hochschule für Musik und Theater.

Filmemacher Andreas Dresen.

An welche Politiker denken Sie?

Da fällt mir eine ganze Reihe ein, in den USA, in der Türkei und auch in Deutschland. Damals war die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder am Ruder. Sie unternahm nicht nur nichts, sondern verzögerte sogar seine Befreiung. Unser jetziger Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat da eine unglückselige Rolle gespielt. Man muss aber auch sagen: Es gibt eine zweite starke Frau in dieser Geschichte, und das ist Angela Merkel. Vor ihr ziehe ich meinen Hut. Sie war es, die kurz nach Amtsantritt als Bundeskanzlerin den Fall Kurnaz in den USA angesprochen und ihn rausgeholt hat. Kann es sein, dass Frauen bei Menschenrechtsverletzungen sensibler sind als Männer?

Haben Sie mit den Verantwortlichen von damals gesprochen?

Nein, meine Drehbuchautorin Laila Stieler und ich haben allerdings das gesamte verfügbare Material gewälzt, auch aus den Untersuchungsausschüssen. Aber wir wollten kein Politiker-Bashing: Wir wollten zeigen, dass es auch für ganz normale Menschen möglich ist, etwas gegen die vermeintlich so übermächtigen politischen Kräfte zu erreichen. Am Ende hält Rabiye ihren Sohn wieder in den Armen.

Sie setzen auf das Prinzip Hoffnung?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In dem Film ist zu sehen: Ich kann etwas tun. Ich muss nicht abends vor den Nachrichten sitzen und mich hilflos fühlen. Die Welt ist veränderbar.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat den Supreme Court zwischenzeitlich nach seinem politischen Gutdünken umbesetzt: Ob das oberste US-Gericht immer noch zugunsten der Guantanamo-Gefangenen entscheiden würde?

2004 jedenfalls hat die Gewaltenteilung funktioniert. Der Supreme Court verpasste der US-Regierung eine schallende Ohrfeige. Ob die Welt seitdem schlechter geworden ist? Auch wenn man dieser Ansicht ist, sollte man keinesfalls resignieren. Sonst überlässt man den Spielball Kräften, die alles kaputt machen. Die Demokratie muss verteidigt werden.

Kommen die echte Mutter Kurnaz und der echte Anwalt Docke zur Berlinale-Premiere?

Ja, und ich wünsche mir sehr, dass sie gefeiert werden. Sie haben über fünf Jahre Unglaubliches geleistet.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Haben Sie auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeladen?

Das sollten wir vielleicht noch machen. Ich befürchte aber, dass er nicht kommen würde – so wie er sich bisher in dieser Geschichte verhalten hat. Schon gar nicht am Abend vor seiner geplanten Wiederwahl.

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken