Thielemann und die Staatskapelle bringen Wagners „Ring des Nibelungen“ nach Dresden
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Christian Thielemann im Orchestergraben der Semperoper am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden.
© Quelle: Matthias Creutziger
Dresden. Sachsen entdeckt Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ wie nie zuvor: Die Opern in Chemnitz, Dresden und Leipzig stellen sich diesem Zyklus. An der Semperoper dirigiert Christian Thielemann die zwischen 2001 und 2003 herausgekommene Inszenierung von Regisseur Willy Decker mit einer Traumbesetzung. Dresden wird also wieder Wagner-Stadt. Michael Ernst sprach mit dem Chefdirigenten. Der 58-jährige Maestro äußert sich über seine Liebe zu Wagners Musik und seine Treue zur Sächsischen Staatskapelle.
Frage: Christian Thielemann, Sie haben das Jahr 2017 mit einem Rückblick auf 100 Jahre Ufa beschlossen und dafür heftig Kritik einstecken müssen. Wie blicken Sie selber darauf zurück?
Christian Thielemann: Wenn eine selbsternannte Kunstpolizei die Kunst so polizeilich-publizistisch bearbeitet, dann fällt das doch eher auf die Leute zurück, die das schreiben. Wir haben unser Programm ausschließlich nach Qualitätsmaßstäben ausgesucht. Es ist ganz klar, das ist eine tolle Musik, die zu teilweise üblen Anlässen gespielt wurde. Nichtsdestotrotz ist es ehrlich und überhaupt nicht naiv, auch solche Titel aufzuführen. Manchen Menschen würde ich wirklich mehr Toleranz in der Beurteilung solcher Dinge wünschen.
Ich bin sehr froh, dass wir das gemacht haben, und würde das jederzeit wieder tun. Dem Orchester hat es einen großen Spaß gemacht. Es war ein tolles Zeichen, wie sich die Kapelle auf diese nicht so ganz einfache Musik einstellen kann. Ich wüsste nicht, was daran so verwerflich wäre.
Mit dem Blick nach vorn: Welche Vorsätze haben Sie für 2018?
Ich habe nie Vorsätze. Hab ich nie gehabt, wieso sollte das jetzt plötzlich anders sein? Der einzige Gedanke ist immer, dass wir alle gesund bleiben. Denn ohne Gesundheit ist alles nichts.
Nach Nico Dostal, Theo Mackeben, Marek Weber und anderen steht nun Wagners „Ring“ an. Zwei Zyklen in einer Starbesetzung, ein ziemlicher Genresprung?
Wir haben den „Ring“ ja peu à peu „aufgewärmt“ und, wie ich denke, gut vorbereitet. Gudrun Wagner hat mir früher immer gesagt, der Dirigent muss da „Strecke machen“. Ich hab das ja in Bayreuth fünf Jahre lang gemacht und weiß, wie mühevoll das sein kann. Schon aufgrund der physischen Anstrengung muss man ganz einfach lernen, sich da gut einzuteilen.
Wenn man den „Ring“ öfter dirigiert, weiß man halt, welche Stellen einem wichtig sind. Ich kann ja hier auf einen ziemlich großen Teil von Musikern zurückgreifen, die ich schon aus Bayreuth gut kenne. Neu ist da nichts - und neu ist alles. Das ist wie eine Expedition, man weiß nie, was einem unterwegs zustößt. Das hat mit der eigenen Verfassung zu tun, aber je besser man vorbereitet ist, umso souveräner geht man das an. Trotzdem bleibt jeder „Ring“ auch ein Abenteuer.
Die mehr als 15 Jahre alte Inszenierung von Willy Decker ist recht philosophisch angelegt. Wie nahe ist Ihnen dieser Ansatz?
Die Musik steht für sich und ist absolut komplex. Weder stört mich das Philosophische, noch inspiriert es mich beim Musizieren. Ich finde, die Decker’sche Inszenierung hat ihre Stärken und ihre Schwächen. Stärken sind, dass sie sehr minimalistisch ist und Raum zur Phantasie lässt, ohne die Musik zu bevormunden. Eine Schwäche allerdings ist, gerade beim „Rheingold“, dass es manchmal recht unpraktisch wirkt. Für die Sänger eine ziemliche Turnerei. Das muss man gut probieren, ist aber eine schöne Herausforderung.
Was meinen Sie, hat Wagners „Ring“ heute noch aktuelle Bezüge?
Der „Ring“ passt immer. Es geht ja um das menschliche Leben im weitesten Sinne. Es kommt darin alles vor, was man sich so vorstellen kann, Sex and Crime, von Inzest bis Mord. Was bewirken das Geld und die Gier danach. Insofern ist das auch eine Bestandsaufnahme. Am Ende vom „Ring“ sind wir da, wo er wieder anfängt, darum heißt er ja Ring. Mit teilweise unverändertem Personal. Das Gold überlebt, Alberich überlebt, die Rheintöchter überleben …
Das Potential, wieder etwas Neues zu zünden, ist immer da. Solange es Menschen gibt, wird es auch dieses Spannungsgefüge geben. Das haben schon die alten Griechen in ihren teils sehr drastischen Tragödien erkannt. Dem spürt Wagner ja nach - und das fasziniert die Menschen bis heute. Zumal die Musik mit ihren Spannungsbögen so wahnsinnig effektvoll ist.
Ihre Erfahrung mit diesem Werk ist sehr vielfältig und reicht von Berlin über Bayreuth bis Wien. Wo liegt der Reiz für den Dresdner „Ring“, entdecken Sie da noch Neues?
Auf jeden Fall! Mein erster kompletter „Ring“ ist an der Deutschen Oper Berlin gewesen. Aber ich kenne das Werk natürlich schon länger, habe es als Korrepetitor gründlich studiert, es ist mir - zumal nach fünf Jahren „Ring“ in Bayreuth mit sämtlichen Proben! - wirklich sehr präsent. Eine Grundvoraussetzung, wie ich finde. Inzwischen entdecke ich mehr Gelassenheit für mich und lasse mehr geschehen. Dieses Orchester hier ist sehr Wagner-geübt. Wenn man an einem Abend Friedrich Hollaender und dann Richard Wagner spielt, ist das doch ein schönes Zeichen, wie vielseitig die Kapelle sein kann. Und nicht zuletzt auch der Dirigent.
Der „Ring“ drängt sich einem geradezu auf, er ist ja kein Stück, das sehr diskret daherkommt. Man muss sich ihm mit Haut und Haar verschreiben, sonst ist alles aus. Ein lärmendes Ungefüge, in dem man für sich eine Ordnung herzustellen versucht. Da gibt es immer noch einzelne Stellen, die mir mal etwas mehr auffallen als sonst. Obwohl das jetzt etwa mein vierzigster kompletter „Ring“ ist.
Wie haben Sie diese erstklassige Besetzung dafür gefunden?
Indem ich die Leute teilweise selbst angerufen habe. Wir kennen uns und haben ja schon miteinander gearbeitet. Man kann nur mit sehr guter Besetzung da rangehen. Bei Wagner sitzen wir immer in einem Boot. Je anstrengender ein Stück ist, desto besser ist die Atmosphäre unter allen Beteiligten. Das hat mit Stargehabe überhaupt nichts zu tun, eben wirklich ein Gesamtkunstwerk.
Was auffällt: 2018 gibt es in Sachsen gleich drei „Ringe“, mehr als zum 200. Geburtstag von Richard Wagner vor fünf Jahren...
Respekt, dass es in Sachsen drei „Ringe“ gibt. Das ist ein Knaller! In Chemnitz macht es der Kollege Calvo, den ich aus Wien sehr gut kenne. Ich freue mich sehr für ihn, dass er das jetzt machen kann.
Guillermo García Calvo schwärmt sehr von Ihrer einstigen Zusammenarbeit. Der Spanier liebt Richard Wagner. Wie international ist dessen Musik?
Mit international hat das gar nichts zu tun. Da können Sie vom Mond kommen - wenn Sie sich Wagner nicht unterordnen, funktioniert die Sache nicht. Calvo ist talentiert und weiß sehr genau, was ein Kapellmeister zu tun hat. Er macht das so ähnlich wie ich, wir ordnen uns Richard Wagner unter. Jeder, der sich da überhebt, verhebt sich.
Der Vorverkauf deutet darauf hin, der Dresdner „Ring“ wird ein Fest?
Das ist in jedem Haus ein Fest. Dresden hat in den vergangenen Jahren eine gewisse Abstinenz gehabt, was den „Ring“ betrifft. Er ist ja auch immer eine Orchesterparade.
Verdient solch eine „Parade“, wie Sie es nennen, nicht eine Konservierung?
Jetzt spielen wir uns erst einmal, und dann schauen wir weiter. Ein paar Zyklen, um dann mit immer weniger Proben schneller an neue musikalische Resultate zu kommen. Mein nächster „Ring“ wird definitiv in Dresden sein.
Welche musikalischen Vorhaben gibt es für Sie in diesem Jahr neben dem „Ring“?
Ich werde zum ersten Mal Mahlers 3. Sinfonie angehen. Dann natürlich „Tosca“ in Dresden und Salzburg, in Bayreuth der neue „Lohengrin“, womit ich dann einmal durch alle Stücke dort durch wäre. Dazu natürlich das wunderschöne Tagesgeschäft, das ich hier mit der Staatskapelle in Dresden und auf Tourneen habe. Im Mai steht wieder eine Europa-Tournee an. Ich bin meinem Orchester sehr treu.
Und was ist mit dem Ruf aus Wien, wo Sie 2019 das Neujahrskonzert der Philharmoniker dirigieren werden?
So eine Einladung lehnt man natürlich nicht ab, das hat noch niemand getan! Meine erste Sorge war nur, was macht dann Dresden? Da haben wir inzwischen einen sehr namhaften Kollegen gefunden, über den sich das Publikum garantiert freuen wird.
Von Michael Ernst
DNN