Hinter den Konsumversprechen
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Britta Thie als Serienfigur „BB“ floatet zwischen überwältigenden Einkaufstempeln, langweiligen Ausstellungseröffnungen und frustrierenden Model-Castings.
© Quelle: Michael Klipphahn
Dresden. Kommen Sie nur, treten Sie ein. Wir bieten alles. Schnäppchen, Sonderangebote, Rabatt, es muss alles muss raus. Lassen Sie sich verführen von unserem Tempel der Waren, der Schönen, der Guten. Wir verwöhnen Sie mit Fashion-Luxus, Beauty-Rooms und Spa-Lounges. Sie glauben mir nicht? Die Macher rund um Stephanie Kelly treiben es wirklich auf die Spitze, sie bauen einen Einkaufstempel mitten in die Galerie, legen ihn mit Waren aus, füllen ihn mit Versprechungen. Doch Vorsicht. Sie versprechen alles und nichts. Sie führen die Räume der Galerie nur zurück in das, was sie eigentlich gedacht sind – in eine attraktiv gelegene Einzelhandelsfläche. Und die füllen sie dann mit Kunst, womit sonst.
Dominik Schäfers monumental-minimalistischer Einbau sticht sofort ins Auge. Würde er in einem Luxustempel stehen, fiele er nicht sonderlich auf. Jedes Luxushaus leistet sich solch ein gutes Stück. Ein bisschen Bühne, ein Hauch von Architektur, ein skulpturales Etwas. Der gebürtige Mainzer (Jg. 1983) und seit 2012 Student der hiesigen Hochschule für Bildende Künste folgt damit der Ästhetik zeitloser Warenauslage und dies ausgesprochen überzeugend. Die Grenzen verschwinden, lösen sich auf, er foppt unsere Sinne. Was sehen wir? Eine Installation, die uns teure Waren anpreisen soll, oder eine Installation, die den großen musealen Auftritt verlangt?
Man könnte ersteres vermuten, es sprechen Anzeichen dafür. Fetischobjekte der Fashionwelt stehen in der monumentalen Ablage, feinste Gebilde von Schuhen. Doch irgendwas stimmt nicht an dieser Wahrnehmung. Diese Schuhe, gleichwohl sie aus einem wasserdichten, reißfesten High-Tech-Synthetikstoff sind, widerstehen jedem Versuch, sie auch nur anzuziehen. Sie würden sofort zerreißen, obwohl sie aus diesem Super-High-Tech-Stoff sind. Alex Gehrke entzieht so seinen Objekten die Identität. Gehrke, 1986 in Frankfurt/O. geboren, seit 2010 Student an der HfBK, spielt mit dem Widerspruch, dass diese Schuhe kostengünstig und reproduzierbar sind und dennoch ihr Versprechen nicht halten. Der Meisterschüler inzwischen – ein Freund der Fakes und Plagiate? Wer weiß.
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Die ausgefallenen Taschenkreationen von Stefan Kern wecken Besitzwunsch und Kaufdrang, sie sind trotzdem nutzlos.
© Quelle: Adina Rieckmann
Auch Stefan Kern aus Hamburg (Jg. 1966) liebt das Spiel der Verwirrung. Er studierte 1988 bis 1993 an der Städelschule in Frankfurt/M. Auch er vergreift sich an Luxusgütern der Fashionwelt, formt Handtaschen radikal um und erhöht sie so zu einer Skulptur. In beißenden Farben blinken die Stücke nun in diesem Einkaufstempel, aber sie sind sperrig, schwer, und schneiden kann man sich auch daran. Diese Handtaschen aus Aluminium führen uns an der Nase herum, ein schönes Bild dafür, dass wir längst dem Konsumrausch verfallen sind... Oder wie viele Handtaschen besitzen Sie, wie viele Schuhe, ein, zwei, drei oder doch 20?
Der letzte Beitrag in dieser Ausstellung stammt von Britta Thie (Jg. 1987). Sie kommt aus Minden und lebt und arbeitet in Berlin. Studiert hat sie an der Universität der Künste Berlin und an The Cooper Union of Science and Art New York. Sie überzeugt mit eindrucksvollen digitalisierten Milieustudien. Mit der von ihr selbst verkörperten Serienfigur „BB“ führt sie das immer stärker werdende Verlangen nach Selbstdarstellung ins Abseits und lässt so den überwältigenden und auch grotesken Schrei nach immer mehr Rausch, immer mehr Konsum zwingend verstummen. Ihre „BB“ zeichnet ein unglaublich dichtes Porträt ihrer Generation, allein für diese Videoarbeiten schon lohnt sich der Besuch dieser Ausstellung bei Stephanie Kelly, am Dresdner Neumarkt.
Was im Dezember 2015 mit einem gewaltigen Auftritt von Dresdner Kunststudenten und -absolventen begann, setzte sich überzeugend fort. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die eindrückliche Performance des Künstlerduos Hopmann & Lisek, wie die Bikergang ihre Motoren laut aufheulen ließ und der Fanfarenzug in den Räumen zum Marsch blies, oder jüngst an die Ausstellung „Vanitas“ mit Lena Kemmler, Susan Donath und Marten Schech, dieses riesige Kreuz aus Schnecken geformt, dieses lebensecht wirkende Fleischbild. Für alle Ausstellungen aber gilt das Tandemprinzip: junge lokale Künstlerinnen und Künstler werden mit überregional, auch international Agierenden zusammengebracht, um Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen auszutauschen.
Die Ladenfläche wird seit Ende 2016 von dem Team um Kerstin Flasche, Michael Klipphahn, Lucia Klysch,Theresa Rothe, Dominik Schäfer, Winnie Seifert und Josephine Schulz als quasikommerzieller Projektraum für zeitgenössische Kunst bespielt, Diese Kunst versteht sich nach dem selbstaufgelegtem Selbstverständnis als jung, quer und fluide.
Soweit so gut und schön. Und dennoch, auch in dieser Galerie, die ja bis heute nichts anderes als ein noch nicht vermieteter Einkaufsraum ist, geht es schlussendlich auch um Geld. Bis dato durften die ehrenamtlich arbeitenden Ausstellungsmacher die 250 Quadratmeter große Fläche temporär und auch kostenfrei nutzen - dank des großzügigen Bauherren und Investoren Christoph Rabe. Inzwischen ist das Objekt allerdings einem neuen Eigentümer übergeben worden. Der hat mit diesem Ladenlokal natürlich etwas anderes vor, verlangt als erstes wenigstens Betriebs-Versicherungs- und Instandhaltungskosten. Und sucht natürlich Mieter, die den Neumarkt-Aufschlag zahlen können. Bisher macht das Team um Stephanie Kelly weiter und sucht verstärkt Sponsoren und Unterstützer. Und vielleicht kann die Galerie doch noch den neuen Eigentümer von ihren innovativen Ausstellungsideen überzeugen. Eine international agierende Galerie wertet schließlich ein Quartier auch auf. Man kann es ihnen nur wünschen. Solch ein engagiertes und kluges Programm braucht eine kunstaffine Stadt wie Dresden.
Kommen Sie nur, treten Sie ein. Schauen Sie selbst. Diese Galerie verdient es. Auch dass sie dort bleibt, wo sie jetzt ist - in der Landhausstraße 8.
Ausstellung bis 2.Juni, Do-Fr 16-20 Uhr, Sa 14-18 Uhr
www.stephanie-kelly.de
Von Adina Rieckmann
DNN