Deutschlands beste junge Fotografen stellen in Dresden aus
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Anna Tiessen hat die große, durch ins Feuer gekipptes Altöl entstandene Stichflamme festgehalten
© Quelle: Anna Tiessen
Dresden. Vor ziemlich genau drei Jahren gab sich eine preisgekrönte junge deutsche Fotografenriege erstmals in Dresden die Ehre. Nun ist der aktuelle Siegerjahrgang des Wettbewerbs „Gute Aussichten“ mit seinen Arbeiten wieder in der Stadt, wieder in den erbevollen Räumen der Technischen Sammlungen, diesmal aber zweigeteilt im Haus, was dem Umfang der gezeigten Arbeiten entspricht. Die neun Gewinner des mittlerweile 15. „Gute Aussichten“-Jahrgangs lassen sich dabei, grob gerastert, in zwei Richtungen verorten: in der Hinwendung zum Abstrakten und – tatsächlich – der Neugier am Journalistischen.
Besonders Letzteres fällt auf. Nicht nur, aber auch wegen der Mischung aus Zweifel und Selbstvergewisserung, die journalistische Arbeit heute mehr und mehr umweht. Die wohlgemerkt künstlerische Arbeit, die ausgestellt ist, wird dabei, ähnlich dem journalistischen Vorgehen, von einer ähnlich ungebrochenen Arbeitslust getragen, die – auch das eine Parallele zum Journalismus – auf Forschungsdrang und Wissbegier fußt.
Die Wege der Geflüchteten
All das vereint Malte Sänger, der Spuren von Flüchtlingen nachzeichnet, aber auf ungewöhnlich subtile Weise. Als würden Leben verwehen. Sänger ist im Internet auf zahlreiche Fotos gestoßen, die Flüchtlinge unterwegs machten und die noch mit Metadaten versehen waren, so dass die Orte der Aufnahmen auf einer Karte gezeigt werden können. Dafür hat Sänger wiederum Satellitenaufnahmen genutzt. Dort, wo die Fotos der Flüchtlinge entstanden, sind als Marker Stecknadeln mit kleinem Silberkopf gesetzt, fast unsichtbar. Das haben sie mit den Menschen gemeinsam, aus deren kleinen Fluchtgeschichten der Künstler schöpft. Sänger hat außerdem die von ihm gefundenen Bilder der Flüchtenden auf nicht fixiertes, lichtempfindliches Fotopapier gebracht. Das Gezeigte, meist profane Szenen, verblasst und verschwindet. Eine Parallele zu denen, die unterwegs sind, ohne je irgendwo anzukommen.
Reise in eine schmerzhafte Vergangenheit
Ankunft ist auch die treibende Kraft in der Arbeit Sina Niemeyers. „Für mich – A way of reconciliation“ hat sie etwas überschrieben, das eine Reise in ihre Vergangenheit darstellt. Beides, Reise und Vergangenheit, sind schmerzhaft. Denn Niemeyer betreibt nicht weniger als Traumaverarbeitung mit künstlerischen Mitteln. Sie ist als Kind von einem Familienmitglied sexuell missbraucht worden – und sucht nun in der Konfrontation so etwas wie eine Erklärung für das Unerklärliche. Ob es so etwas wie Versöhnung für sie gibt, wie sie im Titel vermuten lässt? Das bleibt offen. Fotobuch und Video dokumentieren das Vorgehen, bei dem Niemeyer jedoch nichts ans Licht der Öffentlichkeit zerrt. Collagehafte Verfremdungen präsentieren dem Betrachter eben nicht unverstellt einen Schuldigen und frönen somit auch keinem voyeuristischen Anklageszenario – was durchaus auch rechtliche Gründe haben dürfte...
Auf der Suche nach der Unsterblichkeit
Recherche verlässt in diesen Kontexten naheliegenderweise ihren nachrichtlich ausgeprägten Charakter. Hier wird künstlerisch gearbeitet, verfremdet, überhöht, inszeniert. Das gilt ganz ähnlich auch für die schalkhafte Laila Kaletta, die sich auf nichts weniger gemacht hat als auf die Suche nach Unsterblichkeit – und im fernen Japan bei einem Forscher fündig wurde.
Erinnerungen an die Kindheit
Steve Luxembourg steigt dagegen hinab in die Erinnerungen seiner Kindheit. In dem Kurzfilm „Der Schatten“, der unter anderem in den Wäldern um Kandern entstand, einem Flecken in Baden-Württemberg, spürt er seinen früheren Ängsten nach, die mit dem Umgebensein von katholischen Ritualen beim Aufwachsen zu tun haben. Seine Bildsprache ist subtil-bedrohlich. Hinter der Idylle lauert etwas.
Schließlich hat sich auch Anna Tiessen dorthin aufgemacht, wo Heimat auf dem Ortsschild stehen könnte. Bei ihr ist es ein Dorf bei Dithmarschen in Schleswig-Holstein. Ihre Fotoserie „Kommando Korn!“ zeigt unverstellt die Jugend auf dem Land. Ein Jahr lang hat sie „die Jungs“ begleitet, Mädchen sind in der Statistenrolle. Es ist ein forschendes Zurückkommen Tiessens, die erzählt: „Ich bin von dort geflüchtet, es war nicht meins.“ Eine Art Sozialreportage.
Zwischen Entfremdung und Abstraktion
Loraine Hellwig holt den eigenartigen Entfremdungszustand ihrer Generation Y vor die Optik – ohne die Bilder menschenleer werden zu lassen, wie es sonst oft genug bei diesem Thema gehalten wird. Sie stellt aus, wie Intimes öffentlich wird – und dass die Grenzen jeder für sich selbst suchen muss. Gesetzt werden keine. Ein Fluch.
Die abstrakten Arbeiten von Robert ter Horst und Patrick Knuchel bilden in dieser Umgebung fast eine kleine Gegenwelt. Als wollten sie Buhnen sein gegen die erwähnte Recherchewelle.
Erin Barnett, der Sammlungs- und Ausstellungschefin des International Center of Photography in New York, wird der Satz zugeschrieben, dass Fotografie eine Möglichkeit sei, sowohl korrekturbedürftige Dinge zu zeigen als auch schätzenswerte. Man kann das als gähnende Banalität lesen. Oder man sieht in einer Zusammenschau wie „Gute Aussichten“ eine Umsetzung dieses Zitats, die weit abseits des Banalen angesiedelt ist.
Kunst mit Kwatsch und Kuchen
Am 2. März findet im Rahmen der Ausstellung „gute aussichten junge deutsche fotografie 2018/19“ der Tag der jungen Fotografie statt. Zwischen 13 und 18 Uhr finden in den Technischen Sammlungen Präsentationen zu den neun ausgezeichneten Arbeiten statt.
Es werden Bilder und Filme gezeigt, dazu gibt es Snacks und Drinks sowie eine musikalische Begleitung von Steve Luxembourg, der selbst mit einem Kurzfilm vertreten ist. Im offenen Gespräch stellen die Preisträger ihre Arbeiten vor den anderen Ausstellern vor, darunter auch die Kuratoren Josefine Raab und Stefan Brecht. Und es gibt ein Diskussionsforum zum Stand der jungen Fotografie.
Bis 17.3., Junghansstr. (Eingang Schandauer Str.), geöffnet Di-Fr 9-17, Sa & So 10-18 Uhr
Von Torsten Klaus
DNN