Ohrfeige gegen das Vergessen: Graphic Novel über „Nazijäger“ Klarsfeld
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Auf dem Weg zur Ohrfeige, die Deutschland bewegte: Beate Klarsfeld (rechts) beim CDU-Bundesparteitag 1968. Panel-Ausschnitt aus der Graphic Novel „Beate & Serge Klarsfeld: Die Nazi-Jäger“.
© Quelle: Carlsen
Es ist der 7. November 1968, die CDU hält ihren Parteitag in der Berliner Kongresshalle ab. Eine junge Frau, die mit einem befreundeten Journalisten hereingekommen ist, will hinter dem Podium durchgehen und wird nach einigem Hin und Her von einem Sicherheitsmann durchgelassen. So kann sie sich dem dort sitzenden deutschen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger nähern und ihm – „Klatsch!“ – eine Ohrfeige verpassen. „Nazi!“, ruft sie laut, während man sie wegzieht und am Boden neutralisiert, „Nazi!“.
Die Ohrfeige für Kiesinger machte Beate Klarsfeld berühmt
Die Aktion machte Beate Klarsfeld berühmt und führte den Deutschen vor Augen, was keineswegs unbekannt, aber verdrängt worden war: Ihr Kanzler war ein ehemaliger NS-Funktionär, der mit dem Reichspropagandaministerium von Joseph Goebbels zusammengearbeitet hatte. Mit ihrer Ohrfeige rüttelte Klarsfeld die Öffentlichkeit auf.
Die Geste stand am Anfang ihres lebenslangen Kampfes gegen das Vergessen: Gemeinsam mit ihrem jüdischen Mann Serge, dessen Vater von Nizza nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden war, spürte sie frühere NS-Schreibtischtäter auf, brachte sie vor Gericht, sorgte mit Artikeln und spektakulären Aktionen dafür, dass Wegschauen nicht mehr so einfach möglich war.
Die Graphic Novel ist wie ein Abenteuerroman
Ausgehend von dem autobiographischen Buch „Erinnerungen“ erzählt die Graphic Novel „Beate und Serge Klarsfeld – Die Nazi-Jäger“ die Geschichte des ungewöhnlichen Paars. Nun ist der Comicband von Pascal Bresson und Sylvain Dorange auch in deutscher Sprache erschienen. Er liest sich wie ein mit mehreren Zeitsprüngen versehener Abenteuerroman, der auf wahren Begebenheiten basiert: Von der Ohrfeige für Kiesinger bis zur versuchten Entführung des ehemaligen Pariser Gestapo-Chefs Kurt Lischka, der für die Deportation von mindestens 73.000 Juden nach Auschwitz mitverantwortlich war.
Nach dem Krieg lebte Lischka unbehelligt in Köln, bis er dort doch noch vor Gericht kam und verurteilt wurde – dank der Hartnäckigkeit der Klarsfelds. Beschrieben wird auch die romantische Begegnung des deutschen Au Pair-Mädchens und des französischen Studenten an einem Metro-Bahnsteig in Paris – genau an jenem Tag, an dem Adolf Eichmann in Buenos Aires aufgespürt wurde.
Beate Klarsfeld: „Man beschimpfte uns als Nestbeschmutzer“
Und es geht um die langwierige Verfolgung von Klaus Barbie, dem „Schlächter von Lyon“, der dort als Gestapo-Chef Juden und Widerstandskämpfer gefoltert, ermordet und in die Todeslager der Nazis geschickt hatte und später unter dem Namen Klaus Altmann in Bolivien lebte. Die Amerikaner hatten ihm dabei geholfen unterzutauchen und die deutschen Behörden hatten mit dem Fall Barbie abgeschlossen, obwohl er in Frankreich zweimal in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden war.
Wie war das möglich? „Damals saßen viele ehemalige Nazis im deutschen Bundestag, und nicht nur dort“, antwortet die in Paris lebende Beate Klarsfeld im persönlichen Gespräch auf diese Frage. „Das waren meistens Akademiker, mit denen man Deutschland nach dem Krieg wieder aufbauen wollte. Dass wir deren Taten im Dritten Reich anprangerten, haben viele nicht verstanden. Man beschimpfte uns als Nestbeschmutzer.“
Im Comic wird Beate Klarsfeld dagegen als furchtlose Kämpferin für Gerechtigkeit dargestellt, die sich von nichts aufhalten lässt – weder von Morddrohungen noch von einem Bombenaufschlag auf ihr Auto. „Wenn man sich auf seine Aktionen konzentriert, vergisst man die Angst“, erklärt die 82-Jährige, die 2012 für Die Linke als Bundespräsidentin kandidierte.
Bis heute mischen sich die Klarsfelds in Debatten ein
Noch heute mischt sich das Ehepaar Klarsfeld, das in Deutschland unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und in Frankreich als Ritter der Ehrenlegion ausgezeichnet wurde, aktiv in die politischen Debatten ein. „Die Stärke der Rechtsextremen in beiden Ländern bereitet uns große Sorgen“, sagt Beate Klarsfeld. „Wir nehmen alle Gelegenheiten wahr, junge Leute über Rassenhass aufzuklären.“
Das Buch endet mit einem Interview mit einer Journalistin, in dem die Klarsfelds die hartnäckige Arbeit in Archiven und mit Zeugen, ihre Kämpfe für eine internationale Strafjustiz und für die Anerkennung eines jeden einzelnen Opfers Revue passieren lassen.
„Man meint, die Geschichte liegt hinter uns und dass es sich nicht lohnt zurückzuschauen“, sagt Serge Klarsfeld darin. Das sei ein Fehler. In der letzten Szene würdigt die Journalistin die beiden für ihre Opferbereitschaft, Überzeugungskraft, ihr Gefühl für Gerechtigkeit. Am Schluss sagt sie einfach nur: „Danke.“
Pascal Bresson und Sylvain Dorange: „Beate & Serge Klarsfeld: Die Nazi-Jäger“, übersetzt von Christiane Bartelsen. Carlsen Verlag, 28 Euro.