Neue Alben von Jan Delay, Pink, Ayron Jones und Co.: auf den Spuren von Lenny Kravitz und Queen
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Pink bei einem Auftritt.
© Quelle: imago/Future Image
Das erste Soloalbum von Birds-of-Chicago-Sängerin Allison Russell muss man gehört haben. Sie erzählt von einer schrecklichen Kindheit und fasst ihr Trauma in wunderschöne Songs. Auch Ayron Jones aus Seattle hatte es in seinen ersten Lebensjahren schwer, kam aber mit der Musik in Berührung und legt nun ebenfalls ein kraftvolles Debüt vor. Die Steel Woods tragen hingegen Trauer: Ihr bislang bestes Southern-Rock-Album ist zugleich das letzte mit Bandgründer Jason Cope. Der Gitarrist starb im Januar im Schlaf. Auch sonst: Viel gute Musik kommt dieser Tage auf den Markt.
Wir werfen einen Blick auf die aktuell veröffentlichten Musikalben:
Ayron Jones: Neuer Gitarrenmann aus der Rock-City Seattle
Ayron Jones stammt aus der Smaragdstadt am Puget Sound im Nordwesten der USA, und als Erstes meißelt er auf seinem Albumjuwel „Child of The State“ den Song „Boys from The Puget Sound“. Offenbar war das eine Band, die Fenster aus dem Rahmen rockte – ein Denkmal für den Rock’n‘Roll.
Die Kindheit von Jones war traumatisierend. Der Vater verließ die Familie, die Mutter ließ den Sohn im Stich. Seine tiefreligiöse Tante adoptierte den Vierjährigen, über ihre Liebe zum Gospel kam er an die Musik, lernte Klavier, Schlagzeug und Gitarre, kaufte sich eine Stratocaster. Der erste Song, den er sich draufschaffte, war nicht von ungefähr Lenny Kravitz‘ „Fly Away“.
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Denn den Kravitz (und damit Jimi Hendrix, Cream, Prince und die Grunge-Ära) hört man diesem riffträchtigen Debüt durchweg an – was als Kompliment gemeint ist. Ein lodernder, souliger, zorniger Gesang erklingt da, ein groovender Bass und ein mächtiger, rollender Gitarrensound. Die psychedelische Seite von Kravitz‘ Debüt „Let Love Rule“ (1989) ist bei Jones, der von Rapper Sir-Mix-A-Lot entdeckt wurde, nicht so ausgeprägt. Es geht mehr in Richtung funky Hardrock à la „Are You Gonna Go My Way“ (der Riff in „Supercharged“ ist da mehr als eine Verbeugung).
Und der 34-Jährige aus Seattle singt auch nicht nur Bluesgeschichten über die Fallstricke der Liebe („My Love Remains“, „Emily“), er rechnet in „Take Me Away“ mit seiner Mutter ab („der Tag an dem meine beschissene Mutter mich aufgab / war der Tag an dem ich lernte, was Lüge bedeutete / sie küsste mein Gesicht und sagte, sie käme gleich wieder / bevor sie wegging und weinte.“) Und in „Mercy“ schaut Jones auf die USA der Trump-Jahre und sieht die Flagge eines rassistischen Landes brennen. Am Ende stehen Trost und Umarmung – in „Take Your Time“, einer der lebendigsten Rockballaden der jüngsten Zeit. Prophezeiung: Große Zukunft!
Ayron Jones – „Child of The State“ (Big Machine Records)
Allison Russell: Bittere Biografie, anrührend schöne Roots-Songs
Der Stiefvater verging sich an ihr, seit sie fünf Jahre alt war, die Mutter schaute weg. Als Teenager floh Allison Russell, Sängerin beim Folktrio Po‘ Girls, später bei den Birds of Chicago, von zu Hause, schlief zwischen Grabsteinen, spielte nächtelang Schach mit alten Leuten, war das „Outside Child“, wie nun auch ihr Solodebüt heißt.
Weil ihr Peiniger ihr weiterhin auf den Fersen war, zog Russell von Montreal nach Vancouver, wo sie sieben Jahre lang Sozialarbeit leistete, Prostituierte betreute. Später kam der Mann, der ihre Kindheit zerstörte, vor Gericht, dabei aber mit einer geringen Haftstrafe davon. Die Heilung dauerte länger und die neuen Songs gehören zu diesem Prozess. Russell, inzwischen glücklich verheiratet und Mutter einer Tochter, erzählt auf ihrem Album die bittere Geschichte eines geschändeten Kindes.
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Und das in ausnehmend schönen Songs, die zwischen Blues, R&B, Country und Folk changieren. Im angejazzten Opener „Montreal“ wird die verlorene Heimatstadt zurückerobert. „Ich bin der verwundete Vogel / Ich bin der schreiende Falke“, singt sie im souligen „Nightflyer“ (was für eine Melodie!), flüchtet sich in „Hy-Brasil“ in die Fantasie einer verlorenen, sagenhaften Insel, und benennt im mystischen „The Hunters“ ihre Peiniger („Oh Mama, oh Papa, ich bin gekommen, eure Klingen zu brechen“).
Das in Nashville entstandene Album ist poetisch, im Sound „rootsy“, ohne jedoch altmodisch zu wirken. Russells volltönende Stimme mit dem heiseren Hinterschwingen klingt eindringlich, aber ohne Zorn. Wurlitzer und Mellotron, Pedal Steel und Slide tragen zur Laid-back-Stimmung bei. Russell selbst lässt ihr Banjo plinkern und ihre Klarinette verleiht ihren Liedern Nobilitas. Chapeau!
Allison Russell – „Outside Child“ (Fantasy)
St. Vincent und die Plattensammlung des Vaters
„Daddy’s Home“ ist der Ausruf aller Väter, die abends nach getanem Job durch die Haustür kommen. An jedem Bein hängt ein begeistertes Kind, der Hund hechelt ebenfalls begeistert und die Ehefrau verkündet, dass just im Moment das Abendessen fertiggeworden ist. Das war in vielen alten US-Fernsehserien ein Ritual, das auch Einzug in deutsche Familien hielt. Annie Clark alias St. Vincent war längst erwachsen, als ihr Papa nicht mehr nach Hause kam, weil er für zehn Jahre hinter Gitter musste. Kein Gewaltverbrechen – Wertpapiermanipulationen.
Trotzdem hat Annie unter der Abwesenheit gelitten. Und wie die (geheim gehaltene) Absenz des Vaters ihre Musik wütend und unterkühlt machte, legt sie nun, nachdem der Vater 2019 wieder freikam, ein warmes, nicht minder waghalsiges und zugleich entspanntes Album vor – destilliert aus der Plattensammlung ihres Erzeugers. Daddy ist zu Hause und auch die Tochter ist angekommen.
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Bei sich und in den Siebzigerjahren von Steely Dan (das jazzrockige „Daddy’s Home“) und Joni Mitchell (das lyrische „At the Holiday Party“). Bei den Koryphäen der damaligen Popzukunft, bei den groovenden und den rockigen Sounds jener versunkenen Tage, als die Elterngeneration jung war und die Welt noch golden glitzerte (bevor der Punk dreinschlug).
In „Pay Your Way in Pain“ funkelt Bowies „Fame“ (nicht nur im Wort „Shame“), in der Ballade „Live in the Dream“ träumt insgeheim John Lennon mit Clark zu zarten Soul-Sitarbögen und einem gilmouresken Gitarrensolo. „So schade, die Party verpasst zu haben / hallo, auf der dunklen Seite des Mondes“, singt die 38-Jährige in der Slomotionblase „The Melting of The Sun“ – einer ihrer philanthropischen Geschichten von Leuten, die irgendwie mit dem Leben zurechtzukommen versuchen (nicht die letzte Pink-Floyd-Reminiszenz auf diesem Album produktiv eingewobener Reminiszenzen).
Sheena Eastons „9 to 5“ von 1980 etwa wird zu „My Baby Wants A Baby“ und Spurenelemente von „500 Miles“ der Journeymen (1961!) finden sich in „Candy Darling“. All das ergibt kein nostalgisches Abarbeiten an Papis Hitparade, sondern eine Perlenschnur grandioser, zeitloser Songs. Eins der Muss-man-haben-Alben des Jahrgangs 2021. Hallo St. Vincent, wir sind zu Hause!
St. Vincent – „Daddy’s Home“ (Caroline/Universal)
Sharleen Spiteris Texas: Schlagerhaft schlichte Melodien
Trüffelschweine im Melodiefinden – das waren Texas aus Glasgow schon immer. Klang das Debüt „Southside“ noch schwer nach Americana, so lieferten die Schotten bald verlässlich chartsaffinen Poprock. Wem Melodien das Wichtigste an Popmusik waren, der wurde von Sharleen Spiteris wonniger Altstimme und dem gitarrenlastigen Sound ihrer Band aufs Innigste umarmt. Das neue, zehnte Album verdankt seine Existenz der Beschäftigung mit Outtakes des Albums „White on Blonde“ (1997), ihres Meisterwerks – all killers, no fillers. Als Texas die vergessenen Songs hörten und aufarbeiten wollten, fanden sie die Inspiration zu neuen Liedern.
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Und so klingen Texas auf „Hi“ – 35 Jahre ist die Band alt, 53 ihre Sängerin – so jung wie lange nicht mehr. Das Spektrum reicht von Hip-Hop-Pop (der Titelsong ist ihr zweites Teamwork mit dem Wu-Tang-Clan nach der Rapversion von „Say What You Want“ von 1998) über Philly-Soul („You Can Call Me“) und Blondie-Reminiszenzen („Falling“) bis zu Glamrock („Moonstar“).
Und immer wieder leuchtet der Girlpop der 60er-Jahre aus den Songs („Mr. Haze“, „Heaven Knows“). Geradezu unverschämt widerstandslos strömen diese elf perfekten Singalong-Preziosen ins Herz – null Herausforderung für den Hörer. Man wird Texas nicht zu seiner liebsten Band küren, aber man kann nicht anders, als diese Lieder allesamt zu mögen. Das reicht Spiteri: „Just wanna be liked“ heißt einer der Königssongs von „Hi“. Hat sich also nichts geändert seit ihrem ersten Hit, wo sie sang: „I don’t want a lover, I just need a friend.“ Und das wollen wir gerne sein, liebe Sharleen.
Texas – „Hi“ (BMG) – ab 28. Mai
Steel Woods: Abschied von Jason „Rowdy“ Cope
Die fertigen Mixe von „All of Your Stones“ waren gerade zum Abnicken zu Gitarrist Jason „Rowdy“ Cope geschickt worden. Ob er sie je gehört hat, wird nie geklärt werden. Der Mitbegründer der Steel Woods starb im Januar im Schlaf. Was genau geschah, ist nicht geklärt, die Gruppe veröffentlicht ihr drittes Album entsprechend in Trauer.
Wer Southern Rock liebt, der sieht in dieser Band aus Nashville die Übernahme des Staffelstabs von den großen Alten – den Allman Brothers und Lynyrd Skynyrd. Vor allem die Letztgenannten sind im Sound der Steel Woods präsent – nicht nur in der exzessiven Siebeneinhalb-Minuten-Coverversion von Skynyrds „I Need You“ (mit Ashley Monroe als Gesangspartnerin und zwei Leadgitarren), sondern weil Co-Gründer Wes Bayliss‘ Stimme der von Ronnie van Zant frappierend ähnelt.
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Die Traditionalisten machen aus der Tradition dabei ein spannendes Etwas – voller Rhythmuswechsel und exquisiter Gitarrensoli. Rockige Nummern wie „Baby Slow Down“ stehen dabei neben akustischen Stücken wie „Run on Ahead“. In der schweren Blueswalze „Out of The Blue“ erzählt Songwriter Cope von den Dämonen, die er untergekriegt hat, und wie er seinen Finsternissen entkommen ist. Angesichts seines frühen Todes im Alter von 42 Jahren bekommt der Song ebenso eine neue Bedeutung wie Bayliss‘ Ballade „Ole Pal“ über einen vermissten Freund. An sechs der hier versammelten Gemmen hat Cope mitgeschrieben. All das ist der Stoff, aus dem Konzerte sind, und von Bayliss war zu hören, dass die Steel Woods in jedem Fall Konzerte planen. Es lebe die Band.
The Steel Woods – „All of Your Stones“ (Woods/Thirty Tigers)
Die Black Keys huldigen dem Mississippi-Blues
Zwischenzeitlich wandelten die Black Keys aus Akron, Ohio, mit „Gold on The Ceiling“ sogar in den Glamrockstiefeln von Marc Bolan. Aber sie kamen vom Blues, gaben ihm ein krachendes Indierock-Gepräge, haben ihm nie komplett den Rücken zugewandt und kehren zum 20. Bandgeburtstag sinnigerweise mit einem besonderen Album zur großen musikalischen Liebe ihrer Teenagerzeiten zurück. Coverversionen von Klassikern des Mississippi Hill Country Blues sind auf „Delta Kream“ enthalten. Die sechsfachen Grammygewinner Dan Auerbach und Patrick Carnes machten bei den Aufnahmen Spontaneität zum obersten Gesetz. In einer ungeprobten Session mit Kenny Brown und Eric Deaton nahmen sie das Album binnen zweier Nachmittage in Auerbachs Studio auf.
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Klingt nach einem der vielen hochinteressanten Corona-Überbrückungsalben, die es ohne die Not der Pandemie nicht gegeben hätte. Aber „Delta Kream“ wurde schon im Dezember 2019 eingespielt. Das Livegefühl bei den Aufnahmen kommt rüber, nicht nur in manchen langsam ausfransenden Songs oder im Palaver der Bandmitglieder. Doch die einst kantige, brachiale Übernahme des Blues, das spezifisch Black-Keys-Artige, ist hier eminent zurückgenommen.
Man hatte erwartet, dass die Black Keys die Gemmen der schwarzen Altväter massiv verwandeln, aber die Ehrfurcht herrscht vor. Vielleicht weil Deaton Bassist von Junior Kimbrough war, aus dessen Oeuvre rund die Hälfte der Songs hier stammt, und Brown der Gitarrist von R. L. Burnside, Schöpfer von zwei der auf „Delta Kream“ versammelten Lieder.
Spielfreude und Spielkunst entfalten sich in den Stücken – darunter John Lee Hookers „Crawling King Snake“ und Burnsides „Poor Boy A Long Way From Home“. Am deutlichsten wird der Unterschied, wenn man das Black-Keys-Cover von Kimbroughs „Do The Rump“ vom Debütalbum „The Big Come Up“ (2002) gegen die als „Do The Romp“ verzeichnete Neueinspielung hält. Damals waren die Black Keys Stürmer und Dränger, hart und vorwärts, heute klingen sie lässig und laid back. Beides hat was.
The Black Keys – „Delta Kream“ (Nonesuch/Warner)
Für Nachteulen, gegen Nazis: Jan Delay bittet zum Tanz
Fanfaren zu Beginn. Jan Delay ist wieder da, „viel zu lange weg“ sei er gewesen, rapnäselt er zu Offbeats und Reggaebläsern im Opener „Intro“. Es seien „finstere Zeiten“, aber „das muss gar nicht sein“, er will „die Wolken vertreiben“ – „Ich habe Sonne dabei“.
Tja, darauf hatten wir gehofft, Jan, auf dein „Alles wird gut!“ Und zumindest trifft das für sein Album „Earth, Wind & Feiern“ zu. Der Nachfolger von „Hammer & Michel“ (2014) ist ein Ausbund an funkiger Lässigkeit, eine Aufforderung zum Tanz. Delay huldigt mit „Eule“ den mondsüchtigen Nachtvögeln der Clubs und in der Ballade „Alexa“ der digitalen Assistentin, der er sein Zuhause und sein Leben gegeben habe, die ihm zuhört und die ihn kennt wie niemand sonst, und die ihm hoffentlich eine „kurze Affäre mit Siri“ verzeiht. Ironische Betrachtung der digitalen Zeiten und Sitten.
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„Zurück“ ist ein luzides Lied über Vaterschaft, „Lächeln“ ein Gesang gegen die Gier nach Materiellem (und nach freiem WLAN – ein echtes Menschheitsproblem). „Saxofon“ ist ein Ska über Kindheit, Mütter und den immerwährenden Sieg der Musik, „Gestern“ ein Calypso gegen die nervigen Nostalgiker („Tut mir leid, Brüder und Schwestern / nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“). Der Song „Spass“ dagegen ist keiner, verstärkt durch ein Rap-Intermezzo vom Hamburger Kollegen Denyo watscht Delay zu elektronischer Grundierung die rechten Spießbürger mit Samthandschuhen ab und kennt den Grund für deren Fremdenhass: „Sie hatten alle noch nie Spaß“. So einfach ist das am Ende? Apropos: Am Ende will Delay „Nicht nach Hause“. Wir auch nicht, wir wollen mehr „Feiern“. Am besten auf „Replay“ drücken.
Jan Delay – „Earth, Wind & Feiern“ (Vertigo)
Die abstrakten „Showtunes“ von Lambchop
Muddy Waters, Bob Dylan, die Temptations – jetzt haben also auch Lambchop ihren „Rolling Stone“-Song. „Papa was a Rolling Stone Journalist“ heißt er und ist eigentlich „nur“ ein feierliches Instrumental – über dem Piano schweben die Instrumente des Winds des Trompeters C. J. Carminieri, und man erwartet irgendeinen verbalen Witz, der dann ist, dass keiner kommt. „Showtunes“ hat Bandleader und Avantgardist Kurt Wagner das 14. Album seiner personell changierenden Gruppe Lambchop genannt und eine (freilich nicht zu große) Nähe zum „Great American Songbook“ festgestellt.
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Nun – die acht hier versammelten Nummern sind definitiv keine „Showtunes“, jedenfalls keine klassischen, schmissigen Musicalnummern mit Ohrwurmrefrains. Fred Astaire und Ryan „La La Land“ Gosling lassen nicht grüßen. Aber entfernt denken wir bei den am Midi-Piano entstandenen experimentellen, geradezu abstrakten Stücken schon an den Sinatra der „In The Wee Small Hours“-Phase und immerzu an Tom Waits.
Der zuweilen verzerrte, murmelnde Bariton des wohl ungewöhnlichsten Musikers der Countrystadt Nashville (im siebenminütigen „Fuku“ hört man tatsächlich Countryanklänge und Lambchop waren ja auch mal – lange her – ein Alternative-Country-Wunder) ist kontemplativ, dimmt den geneigten Hörer angenehm herunter, was durch die auf der Stelle schwebenden Layer, die seine vorzüglichen Begleitmusiker hier stapeln, verstärkt wird. Die Botschaft dieser jazzverwandten Topografien? Positiv – mit mehr als einem Augenzwinkern: „If it’s the last thing we do together, let’s fall in love“, schlägt der Sänger vor. Schon geschehen, Kurt Wagner!
Lambchop – „Showtunes“ (City Slang)
Paul Weller und die Kraft der Popsongs
In seinem Black-Barn-Studio, ländlich zwar, aber quasi auf Armeslänge von London entfernt, hat Paul Weller sein neues Album „Fat Pop (Volume 1)“ eingespielt. Und dem Titel ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Fetter Pop ist es – von den Discowave-Klängen von „Cosmic Fringes“ bis zum lässigen Rocker „Moving Canvas“. Und Wellers Fleiß erinnert derzeit fast an die 60er- und 70er-Jahre, die gute alte Zeit, als Bands und Künstler sich noch mehrheitlich aufopferten für die Musik und ein Album pro Jahr veröffentlichten. Machte bis Corona kam eigentlich nur noch Heinz Rudolf Kunze. Das Fehlen des Livemarkts führt indes allgemein zu mehr Beschäftigung im Studio. Ungeplante Alben werden zuhauf geboren.
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Und es sind erstaunlich viele von ihnen Werke der Liebe geworden. Am vorgeblichen Ziel, jeden Song zur potenziellen Hitsingle werden zu lassen, ist Weller allerdings komplett vorbeigeschossen. Eine melancholische, Streicher-umflorte Easy-Listening-Ballade wie „Still Glides The Stream“ hätte zum letzten Mal in den Neunzigerjahren eine Chartschance besessen, das Duett „Shades of Blue“ mit Tochter Leah als Duettpartnerin hat ein Herz aus Sixties-Pop (auch nix für die farblosen Magerquark-Charts unserer Tage). Keinerlei Moden sitzt der Modfather auf, er hat seinen – weiten – Kosmos abgezirkelt. Singt im wonnigen à-la-Siebzigerjahre-Ohrwurm „Cobweb Connections“ zu Akustikgitarre, Piano und Handklatschrhythmus über die Veränderungen von Liebe durch die Jahre des Kindererziehens. Und wenn man fast meint „alles herrlich zeit- und harmlos“ kommt mit „That Pleasure“ ein Statement zu „Black Lives Matter“. Ein über den Rassismus unserer Zeit entsetzter Weller hält noch immer daran fest, dass Songs die Welt verändern können, indem sie Köpfe zum Denken bringen.
Paul Weller – „Fat Pop (Vol. 1)“ (Polydor)
Pink: Ein etwas zu schmal geratenes Livepaket mit Hommagen
Zuguterletzt Pink. In die unverblümte, hemdsärmelige Pink und ihre zirzensischen, fröhlichen, kraftvollen Liveshows ist man ja schon ganz lange, ganz doll verliebt. Ebenso in ihre unglaublichen Chartbuster, die – anders als das Gros des Kommerzpop – wirklich in Serie bezwingende Melodien haben. Und dass sie tatsächlich den Text des meistmitgesungenen Liedes der Zehnerjahre – „Just Give Me A Reason“ – vergisst, und den Schaden auch noch auf der Platte belässt, bestätigt nur unsere tiefste Zuneigung zu Alecia Beth Moore.
„All I Know So Far“ ist der Soundtrack zu einer Pink-Doku, die hinter die Kulissen von Pink-Shows und mitten rein in ihr Privatleben führt. Ein wenig ausführlicher hätte man sich die (Live-)Platte allerdings schon gewünscht – schließlich besteht ein Pink-Konzert nicht nur aus 13 Songs.
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Unter den Ausgewählten finden sich aber nicht nur eine wohlfeile Auswahl von Pinks prägnanten Powerpop-Stücken, sondern auch einige ihrer besten Hommagen (eine Akustikgitarrenversion von Cyndi Laupers „Time After Time“, eine Kurzversion von Queens „We Are The Champions“ und eine ausführliche von deren „Bohemian Rhapsody“ – wo Pink beim authentischen Text bleibt: „I‘m just a poor boy ...“). Mittendrin eine anrührende Genderansprache, die Pink bei den MTV Video Awards hielt. Und die jüngsten Singles „All I Know So Far“ und „Cover Me in Sunshine“ (mit Tochter Willow Sage) werden auch noch gereicht. Kompakte Sache, und als Hörresultat Lust aufs Mitgrölen bei einem Pink-Konzert im kommenden Jahr: Get the party started!
Pink – „All I Know So Far – Setlist“ (RCA)