Immer wieder kehrte er in den Iran zurück

„Wir machen uns große Sorgen“: Iranischer Regisseur Mohammad Rasoulof in Einzelhaft

Da durfte er noch reisen: der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof in Cannes.

Da durfte er noch reisen: der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof in Cannes.

Als Mohammad Rasoulof mit seinem Todesstrafenfilm „Doch das Böse gibt es nicht“ den goldenen Berlinale-Bären gewann, nahm seine in Hamburg lebende Tochter Baran stellvertretend die Trophäe entgegen: „Ich bin sehr traurig, denn dieser Preis ist für einen Filmemacher, der heute nicht hier sein kann“, sagte sie. Ihr Vater saß im Februar 2020 ohne Reisepass in Teheran fest und musste schon damals jederzeit damit rechnen, verhaftet zu werden.

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Der Regisseur hatte eine Botschaft ans Festival: „Das Recht darauf, selbst über meine An- und Abwesenheit zu entscheiden, ist mir nicht gegeben. Die Durchsetzung solcher Restriktionen verrät die intolerante und despotische Haltung der iranischen Regierung nur allzu deutlich.“ Die Berlinale feierte den abwesenden Preisträger mit stehenden Ovationen.

Jetzt hat das iranische Regime zugeschlagen: „Wir wissen aus sicherer Quelle, dass Mohammad vorhin in Teheran aus seiner Wohnung heraus verhaftet wurde. Bei der Verhaftung stürmten zwölf bis 15 Personen der iranischen Sicherheitsbehörden die Wohnung und durchsuchten sie“, heißt es aus Rasoulofs Umfeld. Computer, Telefon und technisches Equipment wurden demnach beschlagnahmt.

In Haft im berüchtigten Evin-Gefängnis

Zunächst blieb der 49-jährige Rasoulof verschwunden. Inzwischen ist klar, dass er im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis festgehalten wird. Dort sind politische Häftlinge inhaftiert.

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Der neueste Vorwurf gegen Rasoulof und ebenso gegen seinen ebenfalls festgenommenen Kollegen Mostafa Al-Ahmad lautet: Sie hätten Unruhe gestiftet und die „psychologische Sicherheit der Gesellschaft“ gestört. Das hat die staatliche Nachrichtenagentur Irna inzwischen verlauten lassen. Die Regisseure sind angeblich federführend beteiligt an einem Appell unter dem Titel „Put Your Gun Down“. Der Aufruf brandmarkt die Polizeigewalt gegen regimekritische Demonstrantinnen und Demonstranten.

Die Vorwürfe, Anklagen und auch Verurteilungen gegen Rasoulof häuften sich über die Jahre. Zusammen mit Jafar Panahi war er bereits 2009 wegen Unterstützung der Opposition nach den iranischen Präsidentschaftswahlen verurteilt worden. „Propaganda gegen den Staat“ warfen ihm die Behörden immer wieder vor.

Pass bereits am Flughafen abgenommen

Längst hätte er sich im Ausland in Sicherheit bringen können – so wie manch anderer Kollege auch. 2017 noch stellte er in Cannes seinen Film „A Man of Integrity“ vor, der von einem iranischen Fischzüchter erzählt, der gegen die Korruption kämpft.

Rasoulof kehrte in seine Heimat zurück, obwohl er wusste, was ihn dort erwartet. Bereits am Flughafen wurde ihm sein Pass abgenommen.

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Warum ging Rasoulof das Risiko ein? Im Herbst 2020 nach seinem Berlinale-Sieg war es noch möglich, mit ihm per Skype zu sprechen. Damals war er aus der Hauptstadt in den ländlichen Süden geflüchtet – nicht nur vor der grassierenden Corona-Pandemie, sondern auch vor dem zunehmenden politischen Druck.

„Die Wahrheit aussprechen“

Müde, mit Bartstoppeln im Gesicht, aber offensichtlich ungebrochen, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Mein Antrieb ist es, die Wahrheit auszusprechen und Geschichten so zu erzählen, wie ich es möchte.“ Er sei kein politischer Mensch, doch in einer autoritären Gesellschaft sei alles politisch: „Anständig zu bleiben wird zu einer politischen Tat. Autoritäre Herrschaft hat immer mit Lüge zu tun.“

Das Verhältnis zwischen dem iranischen Regime und seinen international gerühmten Regisseuren ist kompliziert. Schon im März 2020 hatte Rasoulof – per SMS! – die Aufforderung erhalten, eine einjährige Haftstrafe anzutreten. Dazu kam es dann aber nicht.

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Warum nicht? „Der Herrschaftsapparat im Iran ist kein monolithischer Block“, sagte Rasoulof gegenüber dem RND. „Unterschiedliche Fraktionen arbeiten gegeneinander. Hier etwa die Geheimdienste, dort andere politische Akteure. Die einen wollten mich wohl ins Gefängnis bringen, andere schätzten den Schaden international vermutlich als zu groß ein.“

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Für seinen Berlinale-Siegerfilm „Doch das Böse gibt es nicht“ hätte er niemals eine offizielle Drehgenehmigung bekommen. Freunde reichten Anträge für vier Kurzfilme ein, jeder Antragsteller in einer anderen Stadt und zu einem anderen Zeitpunkt. Beim Dreh tauchte Rasoulof auch mal verkleidet am Set auf – oder jemand anders übernahm an Orten wie dem Teheraner Flughafen, weil dort für ihn die Gefahr der Entdeckung zu groß gewesen wäre.

Den Zensoren war offenbar entgangen, dass sich die vermeintlichen Kurzfilme allesamt um die Todesstrafe drehten. In seinem Episodenfilm pocht Rasoulof auf die Verantwortung des Einzelnen auch in einem autokratischen System – egal, ob er von einem biederen Beamten erzählt, der in der Frühschicht Todesurteile vollstreckt, oder von einem jungen Soldaten, der den Schemel unter dem Opfer mit der Schlinge um den Hals wegtreten soll.

In kaum einem anderen Land werden mehr Todesurteile verhängt als im Iran. Auch wegen dieses Films laufen Ermittlungen gegen ihn.

Rasoulofs Tochter Baran spielt in dem Film mit – als eine Tochter, die von ihrem Vater getrennt in Deutschland lebt, weil dieser seinen politischen Überzeugungen treu und im Iran geblieben ist. Viel näher an der Wirklichkeit kann man nicht drehen. Bei der Berlinale flossen Tränen.

Das Festival hat sich inzwischen demonstrativ hinter Rasoulof gestellt: „Es ist erschütternd, dass Künstler für ihren friedlichen Einsatz gegen Gewalt in Haft kommen“, so das Berlinale-Leitungsduo, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. Sie fordern die iranischen Behörden auf, Mostafa Al-Ahmad und Mohammad Rasoulof umgehend freizulassen.

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„Wir machen uns große Sorgen“, sagt Rasoulofs Koproduzent Mani Tilgner, der in Hamburg lebt. Bislang sei Rasoulof zwar immer wieder zu Verhören vorgeladen worden, habe danach aber nach Hause gedurft. Rasoulof habe sich, so Tilgner, stets als Künstler ausgedrückt und sei für Meinungsfreiheit eingetreten. Die iranische Filmcommunity plane eine Solidaritätskundgebung in Teheran.

Im Gespräch mit dem RND antwortete Rasoulof im Herbst 2020 auch auf die Frage, ob er Hoffnung für einen politischen Wandel in seinem Land habe: „Es wird Veränderungen geben, aber keine plötzlichen. Schon heute denken die Menschen im Iran anders als noch vor zehn Jahren. Und erst wenn sich das Denken ändert, kann auch ein Wandel im Politischen stattfinden.“

Rasoulofs bislang letzter Film war eine Doku über den mit ihm befreundeten Schriftsteller Baktash Abtin. Auch der 48-Jährige war im Evin-Gefängnis inhaftiert. Im Januar starb er an Corona.

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