„Erbärmliches Buch“ und „dumme Sau“: Wenn Kritiker und Künstler aneinandergeraten
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Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki war für seine Verrisse bekannt.
© Quelle: Arne Dedert/dpa/Archivbild
Zu Hundekot hat bislang noch keiner gegriffen, aber verbal warfen schon einige mit Schmutz um sich. Der Streit zwischen Marco Goecke, mittlerweile suspendierter Ballettdirektor des Staatstheaters Hannover, und einer Kritikerin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kann als Höhepunkt eines schwierigen Verhältnisses zweier Professionen gesehen werden.
Künstler und Kritiker profitieren voneinander, weil sie sich gegenseitig Arbeit verschaffen, eine friedliche Symbiose gehen sie aber trotzdem nicht immer ein. Goecke ist ein bejubelter Künstler, aber auch für seine schwierige Persönlichkeit mit zahlreichen Spleens bekannt. Eine Kombination, die von vielen Künstlerinnen und Künstlern sowie Kritikerinnen und Kritikern berichtet wird.
Thomas Lawinky gegen Gerhard Stadelmaier
Die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war 2006 schon einmal in eine Auseinandersetzung an einem Theater verwickelt. Aufgeführt wurde damals am Schauspiel Frankfurt das Mitmachstück „Das große Massakerspiel“. Der Kritiker Gerhard Stadelmaier weigerte sich jedoch, wie andere Zuschauerinnen und Zuschauer an der Inszenierung aktiv mitzuwirken.
Schauspieler Thomas Lawinky war deshalb so erzürnt, dass er Stadelmaier seinen Notizblock entriss und rief: „Mal sehen, was der Kerl geschrieben hat.“ Stadelmaier verließ den Saal, nicht ohne dass Lawinky ihm noch nachbrüllte: „Hau ab, du Arsch, verpiss dich!“ Lawinkys Vertrag am Theater wurde daraufhin aufgelöst, seine Schauspielkolleginnen und ‑kollegen solidarisierten sich aber und übernahmen im Wechsel seine Rolle.
Marcel Reich-Ranicki gegen Martin Walser
So richtig trauten sich Schriftsteller Martin Walser und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nie über den Weg. Walser verarbeitete seine Beziehung zu den Berufsnörglern im Roman „Tod eines Kritikers“. Wie er in einem Interview eingestand, hatte er in dem Buch Reich-Ranicki bewusst karikiert. Noch vor Veröffentlichung des Romans im Sommer 2002 eskalierte der Streit: Frank Schirrmacher, damals Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, lehnte einen Vorabdruck ab und machte den Inhalt öffentlich.
Reich-Ranicki redete sich den Ärger über das Buch in Interviews von der Seele: „Walser hat noch nie so ein erbärmliches Buch geschrieben“, wütete er. Der Literaturkritiker vermutete antisemitische Motive in dem Roman, was ihn als Juden besonders traf. Ein klärendes Gespräch mit Walser lehnte Reich-Ranicki ab: „Ich halte nichts davon, dass mir ein Autor sein Werk erklärt. Der Text muss für sich selbst stehen.“ Eine echte Besprechung durch Reich-Ranicki wurde dem Roman nicht zuteil, das literarische Niveau sei aus seiner Sicht zu niedrig dafür. Zum Bestseller wurde „Tod eines Kritikers“ trotzdem.
Maxim Biller gegen Thomas Bernhard
Heftig ausgeteilt hat auch der Kritiker Maxim Biller gegen den Schriftsteller Thomas Bernhard. In einer Rezension des Buchs „Meine Preise“ wird schon im ersten Satz deutlich, was Biller von Bernhard hält: „Das Arschloch Thomas Bernhard, und das sage ich, obwohl ich ungern schlecht über Tote rede, das Arschloch Bernhard hat ziemlich sicher nur ein einziges gutes Buch geschrieben.“ In diesem Stile geht es in dem 2009 in der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ erschienenen Text munter weiter, Biller stellt fest und karikiert, dass das „große, faule, provinzielle, österreichisch-deutsche Arschloch Bernhard“ ständig Maler, Politiker, Schriftsteller und Städte beschimpft habe.
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Schriftsteller Thomas Bernhard teilte gerne aus, musste von seinen Kritikerinnen und Kritikern aber auch einstecken.
© Quelle: Brigitte Hellgoth/epd
Tatsächlich konnte Thomas Bernhard ordentlich austeilen, gerne auch gegen sein Geburtsland Österreich. Seine Abneigung war immer wieder Thema seiner Werke, was die „Kronen-Zeitung“ und einige Politiker veranlasste, ein Aufführungsverbot zu fordern. Von dem andauernden Streit profitierte Bernhard enorm, seine Bücher und Theaterstücke wurden große Erfolge. Bernhards Schlusspointe gegen alle Kritikerinnen und Kritiker: In seinem Testament verfügte er ein Aufführungs- und Publikationsverbot seiner Werke in Österreich.
Klaus Kinski gegen alle
Als Musterbeispiel für den exzentrischen, ja sogar psychopathischen Künstler gilt Schauspieler Klaus Kinski. Regisseur Werner Herzog, mit dem Kinski große Erfolge feierte, erzählte in einer Dokumentation von Wutausbrüchen und erniedrigenden Beleidigungen, die er bei der Zusammenarbeit über sich ergehen lassen musste.
Kinski war nicht wählerisch bei der Auswahl seiner Opfer: Kolleginnen und Kollegen, Journalistinnen und Journalisten, Publikum – alle bekamen ihr Fett weg. In einer Talkshow des WDR ignorierte Kinski die Fragen des Moderators Reinhard Münchenhagen, den er mit „Herr Münchhausen“ anredete.
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Schauspieler Klaus Kinski beschimpfte bei der denkwürdigen Aufführung von „Jesus Christus Erlöser“ das Publikum.
© Quelle: Bertram/dpa
In einer Aufführung von „Jesus Christus Erlöser“ wollte Kinski das Neue Testament rezitierten. Aber bereits nach wenigen Minuten kam es zu Zwischenrufen aus dem Publikum, die Kinski nicht auf sich sitzen lassen wollte. In einer kuriosen Verschmelzung von Jesus- und Kinski-Sätzen eskalierte die Situation. „Komm, halt deine Schnauze, damit du hörst, was ich jetzt sage“, versuchte der Schauspieler zunächst sein Publikum zum Schweigen zu bringen. In einem Dialog mit den Störerinnen und Störern beschimpfte Kinski das Publikum mit „du dumme Sau“ und als „Scheiß-Gesindel“. Als ein Zuschauer keine Ruhe geben wollte, holte Kinski ihn auf die Bühne: „Komm du jetzt hierher, der so ein großes Maul hat!“ Ihm drohte Kinski anschließend Gewalt an: „Nein, Jesus hat nicht gesagt: ‚Halt die Schnauze.‘ Er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen! Das hat er gemacht, du dumme Sau! Und das kann dir auch passieren!“