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Interview zum Kinofilm

Liedermacherin Bettina Wegner: Ich träume nur noch vom Generalstreik

Die Liedermacherin Bettina Wegner in ihrem Haus in Berlin.

Die Liedermacherin Bettina Wegner in ihrem Haus in Berlin.

Berlin. Schlicht „Bettina“ heißt eine Kinodokumentation über die aus der DDR ausgebürgerte Liedermacherin Bettina Wegner („Kinder (Sind so kleine Hände)“), die am 19. Mai 2022 in den deutschen Kinos anläuft. Zentrales Element ist ein Tondokument ihres Prozesses wegen einer Flugblattaktion gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag 1968.

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Frau Wegner, Künstlerinnen und Künstler streiten in offenen Briefen darüber, welcher Weg für einen Frieden in der Ukraine besser wäre – mit oder ohne deutsche Waffenlieferungen. Was meinen Sie?

Mir gefiel der Text, der sich gegen Waffenlieferungen richtete. Unterschreiben konnte ich ihn aber nicht. Zwar bin ich grundsätzlich gegen Waffen, aber ich habe mir einfach vorgestellt, ich wäre eine Ukrainerin. Es zerreißt mich förmlich. Wir sollten uns jedoch nach den Wünschen der Menschen richten, deren Land überfallen worden ist.

Hat die russische Invasion bei Ihnen Erinnerungen geweckt an Ihre Flugblattaktion in der DDR gegen den sowjetischen Einmarsch in Prag 1968 und die schlimmen Folgen für Sie?

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Nein. Putin ist für mich ulkigerweise auch nicht Sowjetunion. Der ist einer wie Berlusconi oder Trump, aber in intelligent. Über die konnte ich hin und wieder lachen, bei Putin ist mir das Lachen vergangen. Vor ihm hatte ich von Anfang an Angst. Er ist ein Geheimdienstmann.

Da sprach ein kleines Mädchen, das von Verrückten gezwungen wurde, irgendwie Stellung zu nehmen zu einer Sache, die dieses Mädchen für richtig hielt.

Bettina Wegner,

Künstlerin

Die Gerichtsverhandlung gegen Sie als Anfang Zwanzigjährige war im Prinzip der Anfang Ihrer dann 1983 erfolgten Ausbürgerung aus der DDR. Vom Prozess gibt es einen Mitschnitt. Was haben Sie empfunden, als Sie die Aufnahmen erstmals hörten.

Die Kassetten bekam ich mit meinen Stasi-Akten. Ich hatte lange davor Angst, sie anzuhören. Sie liegen bei den Akten im Wäscheschrank. Wenn jemand etwas daraus wissen will, hole ich sie raus, schlage nach und wasche mir anschließend die Hände. Also: Nach Jahren traute ich mich an die Aufnahmen. Ich habe erst mal geflennt. Meine Stimme, sie war die eines Kindes. Sie war mir fremd, und ich habe auch noch versucht, Hochdeutsch zu reden. Das war nicht ich. Da sprach ein kleines Mädchen, das von Verrückten gezwungen wurde, irgendwie Stellung zu nehmen zu einer Sache, die dieses Mädchen für richtig hielt. Es tat mir leid.

Dieses Tondokument ist zentrales Element des kommende Woche in den Kinos anlaufenden Dokumentarfilms „Bettina“ – ein Film über Ihr Leben. Als Filmemacher Lutz Pehnert mit dem Projekt auf sie zukam, was haben Sie gedacht?

Ehrlich? Ich sagte nur: Ach du Scheiße! Was soll denn dabei herauskommen? Auch, weil er meinte, er wolle in dem Film ausschließlich mit mir reden, weil ja alle anderen schon tot seien. Na ja, habe ich gedacht, ein paar leben schon noch … Ich war jedenfalls skeptisch. Überzeugt hat mich dann, dass er die Filmkapitel entlang meiner liedhaften Auslegung der zehn Gebote erzählen wollte.

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Und? Zufrieden?

Ich höre mich nicht gern reden. Das finde ich peinlich. Aber die Bilder und Landschaften darin sind schön.

Bettina Wegner

Die Liedermacherin und Lyrikerin Bettina Wegner wurde am 4. November 1947 in Berlin geboren. Sie hat drei Söhne. Wegen ihres Protestes gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag 1968 wurde sie als Schauspielstudentin exmatrikuliert und mit einem Jahr und sieben Monaten Haft auf Bewährung bestraft und musste „in der Produktion“ arbeiten. Die Stasi bespitzelte Wegner von 1974 bis zu ihrer Ausbürgerung aus der DDR 1983. Nach öffentlichem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 hatte sie Auftrittsverbot in der DDR, konnte aber mitunter in Kirchen singen. Ihr erfolgreichstes Lied war „Kinder (Sind so kleine Hände)“. Heute lebt Bettina Wegner im Norden Berlins und gibt nur selten Konzerte. Aktuell ist sie an Dreharbeiten für die CBS/ARD-Mysteryserie „Oderbruch“ beteiligt – ihr erster Filmauftritt.

Ihre Fans nehmen Sie wie selbstverständlich als Liedermacherin wahr. Ging es in Ihrem Elternhaus musikalisch zu?

Meine Mutter hatte eine Gitarre. Und meine ältere Schwester hat sich von ihr ein paar Griffe beibringen lassen. Meine Mutter war Sachbearbeiterin und mein Vater Chefredakteur einer DDR-Zeitschrift. Mit Musik hatten sie eigentlich wenig am Hut. Aber gesungen hat meine Mutter gern, und wir Kinder haben eben mitgesungen. Im Rias haben wir die Sendung „Schlager der Woche“ gehört, das war besser. Durften wir nur nicht erzählen, war ja Westradio.

Ihre Eltern waren Kommunisten. Und Leute, die sich auch Kommunisten nannten, haben Sie ausgebürgert. Hatte sich damit der Kommunismus für Sie erledigt?

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Nein, auf keinen Fall. Aber Kommunismus ist für mich inzwischen so etwas wie das Christentum. Die Kommunisten träumen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Jesus sagt, gib einen Mantel her, wenn du zwei hast. Ich selbst bin für Anarchie: Niemand sollte Macht über jemanden haben, alle machen alles zusammen und teilen. Das ist mein Traum. Doch Träume müssen von Menschen umgesetzt werden. Und da sehe ich schwarz für christliche Werte, kommunistische Ideale und meine Vorstellung von Anarchie. Wir sind zu reich! Inzwischen träume ich nur noch vom Generalstreik.

Haben Sie eigentlich bei Auftritten in der DDR wahrgenommen, dass Sie für viele so etwas wie eine Widerstandsikone waren?

Das wird immer wieder behauptet, und ich halte das für Unsinn oder retrospektiv. Ich selbst habe mich in der DDR als Mensch definiert, der Lieder singen möchte. Es ging mir nur um Liebeslieder, eine Platte voller Liebeslieder – das wäre es gewesen. Doch je mehr sie mich ärgerten, desto feuriger wurden die Lieder. Am Ende durfte ich nur noch in Kirchen spielen. Selbst dort bekam ich nur hin und wieder als Reaktion: „Du hast ausgesprochen, was wir fühlen und denken. Danke!“

Bettina Wegner, deutsche Liedermacherin und Lyrikerin, in einer Szene des Films „Bettina“ (undatierte Aufnahme).

Bettina Wegner, deutsche Liedermacherin und Lyrikerin, in einer Szene des Films „Bettina“ (undatierte Aufnahme).

Wer war denn in der DDR eine Widerstandsikone für Sie?

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Na, Biermann natürlich. Gott sei Dank ist er ein Mann und kann nicht so gut singen wie ich. (lacht) Mein früherer Mann Klaus Schlesinger hatte ein schönes Bild, als Havemann unter Hausarrest gestellt und Biermann ausgebürgert wurden.

Er stellte sich einen Kreis vor, in der Mitte das Politbüro. Darum kam ein Kreis mit treuen Genossen, dann der Kreis derjenigen, die nicht ja und nein sagten. Dann kamen wir, also die Kritiker, die jedoch den Sozialismus wollten. Im äußersten Kreis bewegten sich Biermann und Havemann. Als sie weg waren, befanden wir uns am äußersten Rand.

Im Westen konnten Sie dann Platten aufnehmen und hatten auch gleich zu Beginn großen Erfolg. Aber Sie sind nie richtig im Westen angekommen. Warum?

Wenn Menschen über so etwas wie Heimat oder Wurzeln sprechen, dann denken die meisten an ihre Jugend und ihre Kindheit. Und meine hatte in der DDR stattgefunden – das war nicht die Regierung, die war die Pest. Nein, Heimat war die Straße, wo du mit bestimmten Leuten zusammen aufgewachsen bist. In der kurzen Wendezeit hatte ich sogar einen Wieder­einbürgerungs­antrag gestellt. Doch zur Bearbeitung kam es nicht mehr.

Eigentlich wollte ich immer nur Gerechtigkeit.

Bettina Wegner,

Künstlerin

Haben Sie den Mauerfall als Genugtuung empfunden?

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Damals fand ich die Wiedervereinigung schrecklich, weil ich zu den paar Knallköppen gehörte, die eine Alternative zur Bundesrepublik für möglich hielten. Na ja, von Wirtschaft habe ich keine Ahnung. Ich wusste nicht, wie marode der ganze Haufen ist. Da war nichts zu retten.

Wissen Sie heute noch, was Sie als junge Frau verändern wollten und was daraus geworden ist?

Eigentlich wollte ich immer nur Gerechtigkeit. Das habe ich von meinen Eltern gelernt. Sie waren aufrichtig und haben nie jemanden verraten – selbst unter größtem Druck.

Ich wollte, dass jeder sagen kann, was er denkt. Das geht heute in diesem neuen, großen Deutschland. Das freut mich. Dennoch gibt es noch so viel zu ändern. Jetzt setze ich mich gegen CO₂-Verpressung in Brandenburg oder gegen Landminen ein – wenn es mein kaputter Rücken zulässt. Es bleibt dabei: Wer etwas verändern will, muss etwas dafür tun. Jeder Kopf zählt.

Was halten Sie eigentlich von Fridays for Future?

Die Freitagskinder machen mir Hoffnung. Für sie geht’s um die Wurst, um ihre Zukunft. Ich bin dann tot. Wir waren in der DDR ein paar, die nicht einverstanden waren – sie sind eine Bewegung. Ich wünsche ihnen, dass sie das für ihre Kinder noch hinkriegen.

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Interview: Thoralf Cleven

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