Gedankenvoll, wild, viel zu früh weg – Zum 80. Geburtstag von John Lennon
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John Lennon wäre am 9. Oktober 80 Jahre alt geworden.
© Quelle: imago/ZUMA Press
Am Freitag wäre John Lennon 80 Jahre alt geworden. Wir stellen uns das mal kurz vor. Vermutlich hätte er sich nicht sonderlich darüber geärgert, dass das große Geburtstagskonzert mit Bob Dylan, den (Dixie) Chicks und Ringo wegen Corona ins Wasser fallen müsste. Er hätte auf seinem aktuellen, dem geschätzt 20. Soloalbum natürlich Songs gegen Sexismus, Populismus und Neonazismus gesungen, und “Woman Is the N***** Of the World” mit Charli XCX, Lady Gaga und Billie Eilish neu eingespielt.
Im Fernsehen hätte er bei Jimmy Kimmel ein paar freche Bemerkungen gegen Trump und Johnson ausgeteilt und, ach ja, die Beatles hätten sich bis heute leider nicht wiedervereinigt – bis auf einen einzigen Auftritt bei Live Aid 1985. Nach dem John und Paul nie wieder ein Wort miteinander sprachen.
Geschafft hat John Lennon nach dem Ende der Beatles 1970 tatsächlich nur zehn Soloplatten, ein paar Singles und eine Liveplatte. Er starb am 8. Dezember 1980 in New York durch die Hand eines verwirrten Fans. Halb so alt war er da wie er heute geworden wäre.
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Dieser Tod beförderte den Liverpooler endgültig in die Reihen der Heiligen des 20. Jahrhunderts. Der Beatlesgründer ist bis heute der Rockstar für ein anderes, besseres Morgen, das übermächtig-wolkige “Imagine”-Image hat sich durchgesetzt: die listig-lustigen Äuglein hinter intellektuell wirkenden Durchblickgläsern (bis heute heißen sie Lennon-Brille), der Jesus-Look und allzeit “Give Peace a Chance”. Dabei war sein Friedensaposteltum gar nicht so eindeutig.
Frieden oder Konfrontation – Lennon war nicht eindeutig
Lennon sang 1971 in “Imagine” zwar von der Gesellschaft “ohne Besitztümer”, er forderte im selben Jahr auch das Ende des Vietnamkriegs mit der Zeile “war is over if you want it” (in “Happy Xmas”), sang aber eben auch vom Kampf auf der Straße in “Power To the People” (ebenfalls 1971) und zeigte sich in New York an der Spitze von Pro-IRA-Demonstrationen. Brachial oder gewaltfrei, dessen war er sich lange uneins. Auf der langsamen “Revolution”-Version des Weißen Albums der Beatles hieß es 1968 zum Thema Gewalt “du kannst mit mir rechnen”, gefolgt von “zähl nicht auf mich”. Ein Pop-Genius, tagtäglich zu allem befragt, der es sich mit der Verantwortung als Idol nicht leicht machte, dabei morgens auch schon mal anders dachte als abends.
Im Jahre 80 nach Johns Geburt erscheint mit “Gimme Some Truth” eine neue Doppeldisc mit den vermeintlich wichtigsten Aufnahmen (und wieder fehlt das Liveduett “I Saw Her Standing There” mit Elton John). Es gibt jede Menge Bücher und Dokus über sein Leben, sogar seine sprachzaubernden, an T. S. Eliot erinnernden Gedichtbände “In His Own Write” und “A Spaniard In the Works” wurden (allerdings schon vor einigen Jahren) neu aufgelegt. Lennon ist heute Sinnbild für eine Zeit, in der Rock und Pop als Soundtrack der gegen das Spießertum der Nachkriegszeit widerständischen Jugend galten. Heute ist Popmusik weitgehend Unterhaltung. Lieder bewegen Lippen, nicht die Welt.
Von der medialen Lennonitis seit seinem Ableben hätte John vermutlich der Film “Nowhere Boy” am besten gefallen, der vor zehn Jahren in die Kinos kam. Da ist noch Liverpool sein Kosmos, da schreibt man das Jahr 1955 und es geht um Johns Rebellion zu Hause, darum, was die Mädels so an Zauber entfachen, ferner um Elvis, die Gitarre, die erste Band, auch die ersten Prüfungen der Liebe zum Kumpel Paul McCartney. Eine muntere Erwachsenwerdungsgeschichte, die von der damaligen Kinodebütantin Sam Taylor-Wood angenehm ungekünstelt inszeniert wurde. Einziger Kunstgriff: Der Name Beatles fällt kein einziges Mal.
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Lennon fehlt bis heute, als böser Kommentator der politischen Fährnisse wie auch der vor den Hund gekommenen Charts, als Lieferant guter Songs (die sich auch in seinem Solowerk zuhauf finden), als Mahner einer sozialen und politischen Verantwortung der Künstler, als Gewissensaufkratzer in krisenüberquellenden Zeiten – im Chor mit dem hemdsärmeligen Bruce Springsteen und dem messianischen Bono, als authentischer Musikverwalter und Hüter der Flamme neben Dylan.
“John Lennon – Die Biografie”
Dass er ein wilder Feger war, versuchte Autor Philip Norman 2008 in dem Tausendseiter “John Lennon – Die Biografie” zu belegen. Hier erfährt man, dass der Teenager John mal an Beischlaf mit seiner Mutter Julia gedacht haben soll und dass er Kumpel Paul attraktiv fand (ein Hinweis von Witwe Yoko) – nun, von homosexuellen Anwandlungen prinzipiell im Heterofeld agierender Rockkerle haben wir schon gehört. Heftige onanistische Betätigung konstatiert Norman auch noch. Herrje! Außerdem – galt Sex doch mal (freilich neben Drogen) als bester Kumpel des Rock ‚n‘ Roll, damals in den wilden 60ern und 70ern.
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Was wir lieber lesen würden als Normans Ausführungen: Eine Autobiografie des 80-Jährigen John, den Regisseur Danny Boyle im Vorjahr in seiner Komödie “Yesterday” so gezeichnet hat: Mit Häuschen an der Küste, Malutensilien, maximaler innerer Zufriedenheit. Pferdefuß: Die Beatles hat es im Kosmos dieses Films nie gegeben. Und damit entfiele auch der Grund für Lennon-Memoiren.
Der Schriftsteller Gerhard Henschel hat John Lennon mitsamt den Beatles gerettet – vor neun Jahren in seinem Buch “Der dreizehnte Beatle”. Da geht der Autor mithilfe einer Fee auf Zeitreise und verhilft dem Lennon-Mörder Mark David Chapman (gegen die Zusage, nie mehr nach New York zurückzukehren) früh zu einem mit Millionen dotierten Leuchtturmwärterjob am Ende der Welt.
John Lennon – “Gimme Some Truth” (Capitol/Universal), erschienen am 1. Oktober als 2CDs+Blu-ray-Box, CD, 2CD-Set, 2LP-Version, 4LP-Edition sowie digital, 36 Songs, enthält keine unveröffentlichten Aufnahmen