E-Paper
Proletarische Trilogie – vierter Teil

Ein Kinohumanist gibt die Hoffnung nicht auf – Aki Kaurismäkis neuer Film „Fallende Blätter“

Näher kommen die beiden sich erst mal nicht: Holappa (Jussi Vatanen) und Ansa (Alma Pöysti) in einer Szene von Aki Kaurismäkis Film „Fallende Blätter“.

Näher kommen die beiden sich erst mal nicht: Holappa (Jussi Vatanen) und Ansa (Alma Pöysti) in einer Szene von Aki Kaurismäkis Film „Fallende Blätter“.

Alles ist wie immer in einem Aki-Kaurismäki-Film: Traurig dreinschauende Menschen schweigen sich vor Wodkagläsern an. Manchmal singen sie Karaoke in schäbigen Kneipen, einmal ziemlich herzzerreißend Schubert. Arbeitgeber sind hartherzige Kapitalisten. In Wohnungen stehen uralte Radios herum. Telefonate werden bevorzugt von Apparaten mit Schnur und Wählscheibe geführt (Sensation: in diesem Film erstmals auch mit Handy).

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Aki Kaurismäkis Helden stecken in der Vergangenheit fest

Kaurismäki-Menschen wirkten schon immer wie aus der Zeit gefallen. Sie scheinen steckengeblieben in der Vergangenheit, vielleicht irgendwann in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts. Und doch ist etwas anders in „Fallende Blätter“: In den Radionachrichten ist vom Krieg in der Ukraine die Rede, von russischen Angriffen auf Krankenhäuser und auf das Theater in Mariupol.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Schwer erträgliche Gegenwart sickert ein in diesen Kaurismäki-Film. Irgendwann drückt die Gelegenheitsarbeiterin Ansa (Alma Pöysti) entnervt auf den Ausknopf des Radios. Ihr entfährt der Ruf: „Dieser verdammte Krieg!“ Für einen Kaurismäki-Film ist das schon ein unerhörter emotionaler Ausbruch.

Wenn alle Hoffnung dahin ist, gibt es keinen Grund mehr für Pessimismus.

Aki Kaurismäki, Regisseur

Hat der Pessimismus des finnischen Regisseurs noch zugenommen? Ganz so einfach verhält es sich nicht. Ein schönes Kaurismäki-Bonmot lautet so: „Wenn alle Hoffnung dahin ist, gibt es keinen Grund mehr für Pessimismus.“

Schon vor sechs Jahren wollte Kaurismäki mit „Die andere Seite der Hoffnung“ über einen in Finnland gestrandeten syrischen Geflüchteten seine Regiekarriere beenden. Wer ihn damals bei der Berlinale zum Gespräch traf, fragte sich unwillkürlich, ob der von Alkohol gezeichnete Filmemacher überhaupt noch zu einem weiteren Werk in der Läge wäre. Und nun hat er so einen schönen Film abgeliefert.

„Fallende Blätter“ ist der vierte Teil einer ... Trilogie

„Fallende Blätter“ bildet den Abschluss von Kaurismäkis vor Jahrzehnten begonnener sogenannter proletarischer Reihe. Dazu zählen „Schatten im Paradies“ (1986), „Ariel“ (1988) und „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ (1990). Die Reihe war als Trilogie gedacht. Nun ist der vierte Teil zu sehen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Erstaunlich, wie viel Trost Kaurismäki dann doch aus einer trostlos erscheinenden Welt schöpft. Solidarische Supermarktarbeiterinnen bieten ihren Chefs die Stirn, lassen sich keinesfalls auseinander dividieren und werden zu Heldinnen des Alltags. Und Hunde dürfen ins Krankenhaus ans Bett eines Verunfallten, ohne dass jemand Einspruch erhebt.

Gibt es keine Arbeit im Supermarkt, verdient Ansa auch kein Geld

Die Gelegenheitsarbeiterin Ansa ist eines dieser sinnbildlichen menschlichen „Fallenden Blätter“ . Anfangs arbeitet sie im Supermarkt als „Null-Stunden-Kraft“. Sprich: Gibt es keine Arbeit, verdient sie auch kein Geld. Sie verliert den Job, weil sie ein Brötchen mit nach Hause nimmt, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Wie soll bloß im Leben dieser Frau ein wenig Glück Eingang finden?

Ansa trifft auf den Alkoholiker Holappa (Jussi Vatanen). Er verspricht sich von der Zukunft nicht viel mehr als den baldigen Tod. Und plötzlich flammt da etwas zwischen den beiden auf. Lange sprechen sie es nicht aus. Blicke müssen genügen. Für Ansa will Holappa aufhören zu trinken und künftig so nüchtern bleiben wie eine Wüstenratte. Jedenfalls verspricht er das.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Kaurismäki ist ein Kinonostalgiker mit besonderem Humor

Beim ersten Treffen gehen die beiden ins Kino und schauen ausgerechnet Jim Jarmuschs Zombie-Film „The Dead don‘t Die“. „Selten so gelacht“, sagt Ansa hinterher, ohne zu lachen. Zwei Zuschauer vor dem Kino fühlen sich derweil an Robert Bressons „Tagebuch eines Landpfarrers“ (1951) und Jean-Luc Godards „Außer Atem“ (1960) erinnert. Auch in Kinodingen ist Kaurismäki Nostalgiker mit einem ganz besonderen Humor.

Es gefällt dem Regisseur, dieses anrührende Paar immer wieder auseinanderzubringen, wenn sie sich gerade einen Schritt nähergekommen sind. Mal verschlampt er ihre Telefonnummer, mal zieht er wutentbrannt von dannen. Mit einem Alkoholiker wolle sie nichts zu tun haben, hat Ansa zu ihm gesagt. Von dieser Sorte habe sie schon ein paar in ihrer Familie gehabt.

Humanist – Kaurismäki ist der Ken Loach Finnlands

Gefühle werden hier mit Songs auf der Tonspur ausgedrückt. Gesungen wird „Traust Du Dich nicht, mich zu lieben?“ oder „Deine Liebe ist so kalt wie Winter und Eis“. Die Menschen schweigen.

Das Stream-Team

Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Mag man da an ein Happy End glauben? Ach, warum denn nicht, Kaurismäki ist der große finnische Kinohumanist – so wie Ken Loach in England oder Andreas Dresen in Deutschland.

In diesem sympathischen Film hat man beständig das Gefühl, ganz ähnliche Szenen schon einmal gesehen zu haben. Was wenig verwundern würde: Dies ist Kaurismäkis 20. Film. Und die Welt war aus seiner Sicht schon immer ungerecht.

Gerade einmal 81 Minuten braucht der Regisseur, bis man dann doch etwas glücklicher aus dem Film wieder auftaucht als man hineingegangen ist. Beim Filmfestival in Cannes sah man das offenbar genauso: Dort erhielt „Fallende Blätter“ den Jurypreis.

„Fallende Blätter“, Regie: Aki Kaurismäki, mit Alma Pöysti, Jussi Vatanen, 81 Minuten, FSK 12

Mehr aus Kultur

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken