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Verletzliche Seiten eines Superstars

Von Ängsten und Tränen – Ed Sheerans neues Album „Subtract“ und seine Doku auf Disney+

Subtraktionen vom Glück: Der englische Popstar Ed Sheeran (hier bei der Verleihung der MTV European Music Awards 2021 in der Laszlo Papp Sportarena. Budapest) veröffentlicht heute (5. Mai) sein fünftes Album „Subtract“. Seit Mittwoch ist beim Streamingdienst Disney+ die Sheeran-Doku „The Sum of It All“ zu sehen, in der der Sänger und Songwriter auch Einblicke in sein Privatleben gibt.

Subtraktionen vom Glück: Der englische Popstar Ed Sheeran (hier bei der Verleihung der MTV European Music Awards 2021 in der Laszlo Papp Sportarena. Budapest) veröffentlicht heute (5. Mai) sein fünftes Album „Subtract“. Seit Mittwoch ist beim Streamingdienst Disney+ die Sheeran-Doku „The Sum of It All“ zu sehen, in der der Sänger und Songwriter auch Einblicke in sein Privatleben gibt.

Ed Sheeran ist in der Doku „The Sum of It All“ schon sichtlich stolz darauf, dass er „der“ Popstar ist, der mit Rapper Eminem, dem Held seiner Kindheit, bei dessen Aufnahme in die „Rock and Roll Hall of Fame“ auf der Bühne stehen darf und „Stan“ singt. Aber er wusste es eigentlich schon immer. Sein Platz ganz oben war ein klarer Weg zum Ruhm und nicht nur ein Versuch – von Anfang an. Es ist Ed-Sheeran-Woche – am Mittwoch startete das vierteilige Porträt bei Disney+, am 5. Mai folgt das neue Album „Subtract“ oder „(-)“.

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Sheeran schaffte mit Handgemachtem eine erstaunliche Karriere

Obwohl der kleine Schuljunge mit dem „ginger hair“ und dem koboldhaften breiten Grinsen nicht die größten Chancen hatte in einem Popbiz, das seit Langem auf modelhafte Schönheit setzte, schaffte er mit seinem Mix aus Folk, Rap und Pop eine der erstaunlichsten Karrieren des neuen Millenniums. Und zeigte, dass Individuelles eben doch noch durchkommt im Meer des Normierten, dass Songs mit dem Nimbus des Handgemachten noch Aussicht haben gegen designten Standard aus den Hitschreibstuben.

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Das Porträt ist sehenswert. Wer endlich mal hinter den Sheeran-Kulissen zugelassen sein möchte, wer erleben will, wie der Star jenseits der Scheinwerfer drauf ist – wie er etwa hinter verschlossenen Abbey-Road-Studiotüren singt, wie er seiner schwangeren Frau Cherry Seaborn ein Lied widmet, wie das überhaupt war zwischen ihm und seiner großen Jugendliebe – der fühlt sich hier wie Ali Baba in der Schatzhöhle.

Der Blick ins Private zeigt Sheeran als Normalo (und Musiknerd)

Denn Sheeran, der in den eh schon seltenen Interviews kaum je über Privates redete, der bislang vorwiegend in Songs wie „Nancy Mulligan“ oder „Supermarket Flowers“ Familiengeschichte erzählte, breitet sein Sein aus wie nie zuvor. Es überrascht dabei nicht wirklich, dass er sich als knuffig, gefühlvoll, tiefgründig, nett entpuppt – als der Normalo eben, den man immer in ihm vermutete. Ein bisschen arg egoistisch ist er vielleicht, wenn es um die Musik geht. Aber sympathisch egoistisch alias nerdig oder – um einen positiven Begriff zu gebrauchen – leidenschaftlich.

Schicksalsschläge waren Gründe für die Disney-Doku

Ein Mann, der – wie seine Ehefrau verrät – „unfähig ist, Barrieren zu sehen“. Man kriegt für eine Weile das Gefühl nicht aus dem Kopf, dass der Knubbel mit dem Dauergrinsen Herr Immerhappy ist. Bis man einen der Gründe für diesen Vierteiler erfährt – Seaborns Krebserkrankung, als sie mit der zweiten Tochter schwanger war und deshalb ihr Tumor im Arm erst nach der Geburt therapiert werden konnte, ihre Befürchtung, dass „ich in diesem Jahr sterben könnte“. Alles ging gut aus, aber die Sheerans lassen den Zuschauer teilhaben an ihren Ängsten, die sie nur mühsam weglächeln.

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Und dann starb noch der Musikunternehmer Jamal Edwards, Sheerans bester Freund, sein Förderer, im Alter von nur 31 Jahren an einer Kokain-Überdosis. „Loss“ – „Verlust“ heißt der zweite Teil der Doku, in dem man Ed Sheeran weinen sieht, nicht zum letzten Mal in diesen netto zwei Stunden. Ein trauriger Mann, dem der von einem Tag auf dem anderen aus der Welt verschwundene Mensch zutiefst fehlt.

Die Pläne für das Album „Subtract“ gehen zurück bis ins Jahr 2012

Der andere Grund für die Doku ist „Subtract“ oder „(-)“ das Album zu dieser Lebensphase. Eigentlich war es schon für 2012 geplant, als Nachfolger des Debüts „Plus (+)“, aber es scheint, als habe Sheeran geahnt, dass die relevanten Abzüge vom Glück noch eine Weile in der Zukunft warteten, und so wurden die anderen mathematischen Grundzeichen vorgezogen, bis zuletzt 2021 das üppige „Equals“ (=)“ erschien.

Die erste „Subtract“-Single „Eyes Closed“ erinnerte vor Monatsfrist noch an den klassischen Rap-Pop der Marke Sheeran. Die Akustikgitarre herrscht vor und ihre Rückwand wird zum Percussioninstrument, so dass die Stimme in den Vordergrund kommt. „Ich tanze mit geschlossenen Augen“, singt der 32-Jährige –ein aufgewühlter Mann auf der Suche nach dem Rückwärtsschalter für die Zeit. Ein tanzbarer Song übers Vermissen – wie „Shape of You“ oder „Perfect“ auf eine Nummer eins getrimmt.

Seit dem Album „Divide“ (2017) waren Sheerans Songs solche perfekt arrangierte Popgemmen, die dazu führten, dass der bis dato solo auftretende Musikant, um Erwartungen zu erfüllen, auf der noch laufenden „Mathematics“-Tour erstmals Begleitmusiker auf der Bühne hatte. Ein Fehlschlag, denn die seitlich am Rand musizierende Band und der Star im Zentrum einer 360-Grad-Bühne erwecken zu keiner Sekunde der Konzerte das Gefühl einer verschworenen Einheit.

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Ein paar schimmernde Popsongs, viele nachdenkliche Balladen

Ganz anders mutet „Boat“ an, die zweite Auskopplung und der Album-Eröffnungssong, der den Ed Sheeran der alten Ein-Mann-Band-Zeiten zurückholt, den Meister an sechs Saiten und am Loop-Pedal. Soundmäßig ist Sheeran damit nahe am folkigen ersten Album, mit dem sein Stern 2011 aufstieg. „Die Wellen können mein Boot nicht brechen“, singt er metaphorisch hoffnungsvoll. „Boat“ stieg in England nur bis Platz 46, blieb in Deutschland und den USA bisher ohne Chartsberührung, ist eher eine Nummer eins der Seele.

Unter den „Subtract“-Liedern, die Sheeran gemeinsam mit The-National-Gitarrist Aaron Dessner produziert hat, gibt es durchaus noch Stücke in schimmernder Chartsrüstung wie „Colourblind“, „Dusty“ und „Curtains“. Aber intimere herrschen vor – wie „Sycamore“ oder „Borderline“, wo das Falsett des Sängers und ein gründelndes Piano im Mittelpunkt stehen, bis dann am Ende die obligatorischen Streicher seufzen. Nachdenklich machende Lieder, die auf mehr zielen als den Augenblickserfolg.

Das Tempo ist „slow“, was der Grundstimmung entspricht: wie in „Dusty“ über die Zerrissenheit, Vater in einer Zeit der Trauer zu sein, wie in „Life Goes On“ über die Unfassbarkeit, dass die Erde nicht innehält nach einem unerträglichen Tod, wie in „Salt Water“ über Suizidgedanken oder in „End of Youth“ über das Ende des Gefühls von Unsterblichkeit und Unbesiegbarkeit, das der Tod lieber Menschen nach sich zieht. Und „Vega“ darüber, nicht zusammenzubrechen unter dem Druck der Anforderungen, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren, das Glück in kleinen Dingen zu finden.

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Oder „No Strings“, wo Sheeran singt: „Wenn wir es durch dieses Jahr schaffen, kann uns nichts mehr brechen.“

Karriereende? Musik steht bei Sheeran im Rang von Atemluft

„The Hills of Aberfeldy“ sollte schon vor zwölf Jahren das Albumende von „Subtract“ werden. Ein Wintersong im Frühling, ein Liebeslied mit Celtic-Folk-Grundierung – einzuordnen irgendwo zwischen „Galway Girl“ und „Perfect“. Und man hofft nach dessen Verklingen, dass Sheeran seinem bislang reifsten, düstersten und schönsten Album doch bitte noch die fünf Platten folgen lässt, die er vor Kurzem angekündigt hat. Auch wenn er in dem New Yorker Prozess um ein Abkupfern bei Soulman Marvin Gaye im Fall einer Verurteilung gerade erst sein baldiges Karriereende in Aussicht gestellt hat.

Das nehmen wir freilich nicht allzu ernst. Wir wissen ja seit der Doku, dass Musik bei Ed Sheeran gleichrangig mit Atemluft steht. Und wissen außerdem, dass er auch einen Sinn für theatralische, pathetische Ankündigungen hat. Wie am Ende von „The Sum of It All“, wo er am Silvesterabend 2022 in die Kamera frohlockt: „Fireworks! Kissing! Disney!“

Ed Sheeran: „The Sum of It All“ vierteilige Doku, streambar bei Disney+

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Ed Sheeran: „Subtract ( - )“ (Warner) das Album erscheint am 5. Mai.

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