Der Wegbereiter: Trauer um Schauspiellegende Sidney Poitier
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Hollywoodlegende Sidney Poitier ist im Alter von 94 Jahren gestorben.
© Quelle: Getty Images
Schwarzes Selbstbewusstsein verkörperte Sidney Poitier wie kaum ein anderer in Hollywood. Später geborenen Kollegen wie Morgan Freeman, Denzel Washington und Will Smith ebnete er den Weg. Mit schwereloser Eleganz räumte Poitier schier unüberwindbar scheinende Hindernisse beiseite. Nun ist der Schauspieler im Alter von 94 Jahren auf den Bahamas gestorben.
Zuallererst war da 1964 der Oscar für den besten Hauptdarsteller, den im angeblich so fortschrittlichen Hollywood noch nie ein Afroamerikaner vor ihm bekommen hatte: Poitier gewann ihn in der Rolle eines Tischlers, der in „Lilien auf dem Felde“ fünf aus der DDR geflüchteten Nonnen beim Kirchenbau in der Wüste von Arizona hilft. Die Auszeichnung darf man getrost als vorsichtige Reaktion Hollywoods auf die wachsende schwarze Bürgerrechtsbewegung damals verstehen. Poitier musste sich deshalb auch Kritik gefallen lassen, sich vom bis dato weißen Hollywood vereinnahmen zu lassen.
Erster Schwarzer, der in einem Hollywoodfilm eine Weiße küsst
Die Bedeutung dieses Preis lässt sich kaum überschätzen. Um mal den historischen Bogen zu spannen: Vor ihm hatte allein die Schwarze Hattie McDaniel als Hausangestellte in „Vom Winde verweht“ einen (Nebenrollen-)Oscar zugesprochen bekommen – und musste 1940 bei der Preisverleihung an einem Katzentisch Platz nehmen.
Das wäre im Fall des stets mit vollendeter Eleganz auftretenden Poitier – später Botschafter der Bahamas für Japan und die Unesco – kaum mehr möglich gewesen. Die Barrieren, auf die Poitier stieß, erklären jedoch im Rückblick besser, warum schwarze Künstler in Hollywood so lange in den Hintergrund gedrängt wurden.
Drei Jahre nach seinem Oscar war er der erste Schwarze, der in einem Hollywoodfilm eine Weiße küssen durfte. Gefilmt wurde die Szene in „Rat mal, wer zum Essen kommt“ (1967) verschämt durch den Rückspiegel eines Taxis. Seine damalige weiße Kusspartnerin Katharine Houghton – im Film die Tochter ihrer pseudoliberalen Filmeltern Katharine Hepburn und Spencer Tracey – bekundete später, dass eine „unglaubliche Anspannung“ beim Drehen spürbar gewesen sei. Damals herrschte in zahlreichen US-Bundesstaaten noch die Rassentrennung.
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Sidney Poitier als Polizist Virgil Tibbs in „In der Hitze der Nacht“.
© Quelle: imago/United Archives
Im selben Jahr durfte Poitier vor der Kamera eine weitere Ungeheuerlichkeit wagen: Im Krimi „In der Hitze der Nacht“ (1967) musste sich sein Polizist Virgil Tibbs gegen einen rassistischen Südstaatensheriff (Rod Steiger) behaupten. Als dieser ihm eine Ohrfeige gab, schlug Tibbs zurück. Am Ende des Films trägt ihm der stiernackige Weiße voller Hochachtung den Koffer zum Zug.
Vom Broadway nach Hollywood
Das war eine geradezu unwahrscheinliche Karriere für das 1927 geborene achte Kind von bettelarmen Tomatenzüchtern auf den Bahamas. Als 18-Jähriger kam Poitier mit ein paar Dollars in der Tasche nach New York. Er wusch Teller, rupfte Hühner und entlud Schiffe. Den kargen Lohn investierte er in Schauspielunterricht.
Beim „America Negro Theatre“ in Harlem machte Poitier Bekanntschaft mit dem Theater. Von dort schaffte er es an den Broadway, schließlich holte ihn Hollywoodproduzent Darryl F. Zanuck zum Film. Als Arzt in „Der Hass ist blind“ (1950) gab er an der Seite von Richard Widmark sein Filmdebüt. Ende der Sechzigerjahre zählte Poitier zu den höchst bezahlten Schauspielern in Hollywood.
Später inszenierte er als Regisseur einige weniger beachtete Filme, mehrfach mit Bill Cosby („Samstagnacht im Viertel der Schwarzen“, „Ghost Dad“). Um die Jahrtausendwende zog er sich aus dem Filmgeschäft zurück.
Gewissermaßen trug er auch dazu bei, dass Barack Obama US-Präsident wurde: Poitier unterstützte eine Stiftung, die Afrikanern ein Studium in den USA ermöglichte. Einer der Teilnehmer war der Kenianer Barack Obama Senior.
Dessen Sohn, der US-Präsident, ehrte Poitier 2009 mit der Freiheitsmedaille, der höchsten zivilen Auszeichnung des Landes. Er mache „keine Filme, sondern Meilensteine – Meilensteine künstlerischer Exzellenz, Meilensteine des amerikanischen Fortschritts“, sagte der erste schwarze US-Präsident Obama in seiner Laudatio.
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US-Präsident Barack Obama ehrte Poitier 2009 mit der Freiheitsmedaille.
© Quelle: imago/UPI Photo
Ehren-Oscar im Jahr 2002
2002 erhielt Poitier den Ehren-Oscar für seine „einzigartige Erscheinung auf der Leinwand sowie für die Würde, seinen Stil und seine Intelligenz als Repräsentant der Filmindustrie“. Minutenlang erhob sich der Saal zum Beifall.
In diesem Moment hätte er vor einem Zig-Millionen-Publikum über den Rassismus nicht nur im Filmgeschäft erzählen können. Er hatte ihn selbst erlebt: Mit seinem ähnlich berühmten Freund Harry Belafonte war er 1964 nach Mississippi gefahren, um dort die Bürgerrechtler gegen den Ku-Klux-Klan zu unterstützen.
Doch beließ es der diplomatische Poitier auf Hollywoods größter Bühne bei Andeutungen: Er habe „einen langen, fast unmöglichen Weg“ hinter sich, bemerkte er nur. Stattdessen lobte er die „mutigen und selbstlosen“ Entscheidungen von Regisseuren und Produzenten, die ihm trotz seiner Hautfarbe Rollen gegeben hätten. Danach wurden seine öffentlichen Auftritte seltener.
Der nächste Schwarze, der einen Hauptrollen-Oscar gewann, war Denzel Washington für den Polizistenthriller „Training Day“. Das war 2002, 38 Jahre später.