Der Krieger mit der Gitarre

Guitar Hero: Tom Morello.

Guitar Hero: Tom Morello.

G8-Proteste in Rostock. Schwarzer Block und Polizei stehen sich gegenüber. Überall Tränengas, während Tom Morello seine Songs für die Globalisierungskritiker spielt. Um überhaupt zur Bühne zu gelangen, hatten er und seine Mitstreiter an den Absperrungen im Hafen in einem kleinen Fischerboot vorbeischleichen müssen, erzählt der 56-jährige Rockmusiker und politische Aktivist. Der Nightwatchman, wie er sich nennt, wenn er allein auftritt, spielte drei Lieder: „Nachdem es dunkel geworden war, huschten wir zurück ins Boot und entkamen.“

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Bisher ist Morello bei Kundgebungen fünfmal verhaftet worden, meistens wegen zivilen Ungehorsams. 2007 in Rostock, wo es gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm ging, nicht. An solchen Tagen, dicht an den Barrikaden, fühle er sich am lebendigsten, sagt er beim Telefoninterview. „Ich wurde geboren, um das zu tun.“

Ein neuartiger, von Hip-Hop inspirierter Sound

Morello ist ein Guitar Hero, einer der innovativsten Gitarristen seiner Generation. Mit seiner Band Rage Against the Machine hat er in den Neunzigerjahren einen neuartigen, rebellischen, von Hip-Hop inspirierten Sound erschaffen. Die sozialkritischen Rapper Public Enemy und ihr „Fight the Power“ haben ihn geprägt, genauso wie die politisch engagierten, experimentierfreudigen Punkrocker von The Clash. Bisweilen klingt sein Spiel wie Scratchen. Dann wieder scheint er sein Instrument geradezu auszuwringen, um an seltsame schneekalte Geräusche zu kommen. Alte Posen liebt er trotzdem: vom Schlagzeugpodest springen, die Knie anziehen, die Gitarre im Arm wie eine Frau beim Tango.

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Mit einem autobiografischen Fotoalbum (erschienen bei Genesis Publications) erzählt Morello nun seine Lebens- und Protestgeschichte. Das Buch heißt „Whatever it takes“ – Koste es, was es wolle. Diese Parole der Unbeirrbarkeit hat er auf eine seiner Gitarren geschrieben. Er nutze seine Instrumente als „eine weitere Leinwand“, um sich künstlerisch auszudrücken, sagt er. An einem universellen Appell wie „Imagine“ stört sich sicher niemand. Anders ist das mit provokanten politischen Kurznachrichten wie „Fuck Trump“ oder „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad). Dass er den Namen der peruanischen Guerillaorganisation auf seine schwarze Telecaster gemalt hat, haben viele Fans vermutlich nicht verstanden.

Viele Musiker machen sich für Freiheit und Gerechtigkeit stark. Sie stehen dabei meist auf der Bühne. Morello reicht das nicht. Er marschiert häufig auf der Straße mit. Fotos zeigen ihn inmitten einer Menschenmenge bei Occupy-Protesten. Genauso setzt er sich im kleineren Rahmen für Tomatenpflücker oder Lastwagenfahrer ein, die für bessere Arbeitsbedingungen oder mehr Lohn streiken. Die Gitarre immer dabei. Wie einst Woody Guthrie, der Poet eines fairen Amerikas. Auch Guthrie hatte sein Instrument beschriftet: „This Machine Kills Fascists“ – diese Maschine tötet Faschisten.

Kind einer Weißen und eines Schwarzen

Morello wuchs in Libertyville, einem Vorort von Chicago, auf. Als Kind einer Weißen und eines Schwarzen erlebte er Rassismus und Ungerechtigkeit schon auf dem Spielplatz und im Kindergarten. „Ich war das einzige schwarze Kind in einer weißen Stadt“, sagt er. „Ich hatte schon als kleiner Junge das Gefühl, dass es gemeine Menschen auf der Welt gibt, dass das, was sie sagten oder taten, einfach nicht richtig ist.“ Morello war der Erste aus dieser Stadt, der an der Spitzenuniversität Harvard angenommen wurde.

Seine Mutter Mary, die ihn allein großzog, habe ihn mit ihrer Zuversicht und ihrem Vertrauen beruhigt und in allem bestärkt, was er vorhatte, erzählt er. Als er mit seinem Harvard-Abschluss in Politikwissenschaften nach Los Angeles ging, um Rap-Rock-Rebell zu werden, sagte sie bloß: „Schön. Wirst du zu Thanksgiving nach Hause kommen?“ Im Buch bedankt er sich bei ihr „für ihre Krieger-DNA, ihre lebenslange bedingungslose Liebe und Unterstützung und dafür, dass ich damals – und heute – in ihrem Keller üben durfte“.

„Wirst du zu Thanksgiving nach Hause kommen?“ Morello und seine heute 97 Jahre alte Mutter.

„Wirst du zu Thanksgiving nach Hause kommen?“ Morello und seine heute 97 Jahre alte Mutter.

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Morello lebt mit seiner Familie in Los Angeles. Seine 97-jährige Mutter wohnt im Nachbarhaus, wo er sein Tonstudio hat. Sie ist, das wird im Gespräch klar, seine größte Heldin. Die frühere Lehrerin engagierte sich schon in den Sechzigerjahren in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Ein Foto zeigt sie im höheren Alter mit einem „Grandmother for Peace“-Schild und Black-Power-Faust. Auf einem anderen Schnappschuss steht sie neben Bono von U2. Morellos Bildunterschrift verdeutlicht, wie sehr er sie verehrt: „Eine berühmte Person irischer Abstammung und Bono.“

Morellos Eltern trennten sich, als er anderthalb Jahre alt war. Sein Vater Ngethe Njoroge, ein kenianischer Diplomat, kehrte in sein Heimatland zurück. Morello nennt ihn „einen der Architekten“ der Unabhängigkeit. Jomo Kenyatta, sein Großonkel, war der erste Präsident der ehemaligen britischen Kolonie.

Im Buch räumt der Musiker seinem Vater kaum Platz ein. Dieser sei lange kein Teil seines Lebens gewesen, sagt er. Dennoch habe ihn der heute 92-Jährige inspiriert, besonders dessen Vorstellung, dass keine Ungerechtigkeit von Dauer sei. Der Sohn beschreibt das Fehlen des Vaters als eine Art Trauma, das ihn erst zum Krieger mit Gitarre werden ließ: „Ich glaube, es war seine Abwesenheit, die mich dazu trieb, jeden Tag acht Stunden zu üben.“

„Musik verändert die Welt jeden Tag“

Mit 17, relativ spät, fing Morello an, Gitarre zu spielen. „Ich habe noch von keinem anderen Gitarristen gehört, der Platten macht und so spät loslegte – außer Robert Johnson“, sagt er. Um besser zu werden, soll die Blueslegende dem Teufel seine Seele verkauft haben. Morello nahm keine faustische Abkürzung. Er erreichte dasselbe durch seine Besessenheit und Disziplin.

Er spricht viel vom Kämpfen. „Wir werden den weltweiten Kampf für einen menschlichen Planeten wohl nicht morgen gewinnen, aber aufhören, dafür zu kämpfen oder darüber zu singen, würde bedeuten, die Unmenschlichkeit geradezu einzuladen“, sagt er. „Die Welt wird sich nicht von selbst verändern“, schreibt er im Buch. „Die Menschen, die die Welt im Laufe der Geschichte auf radikale oder sogar revolutionäre Weise verändert haben, sind Menschen, die nicht mehr Geld, Mut, Macht, Einfluss oder Kreativität hatten als jeder, der uns zuschaute oder zuhörte.“ Es klingt wie ein Aufruf.

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Was kann Musik erreichen? „Musik verändert die Welt jeden Tag. Musik hat mich selbst verändert. Bei mir waren es Public Enemy und The Clash, die mir das Gefühl gaben, mit meinen Ansichten weniger allein zu sein“, antwortet er. „Es gab noch nie eine erfolgreiche soziale Bewegung in den USA ohne einen überzeugenden Soundtrack.“ Musik ist für ihn ein Energielieferant. Lieder könnten Menschen dazu ermutigen, sich zu wehren: „Gefährliche Zeiten erfordern gefährliche Songs.“

„Die Proteste haben schon etwas bewirkt“

Morello meint Songs wie „Killing in the Name“ von Rage Against the Machine. Seine Gitarre klingt wie ein brachiales Ausbruchswerkzeug. Das 28 Jahre alte Lied, das er auch mit seinem Protestprojekt Prophets of Rage covert, ist bis heute relevant. Es gehört zum Black-Lives-Matter-Soundtrack. „Fuck you, I won’t do what you tell me“, die Kernaussage des Titels, riefen die Demonstranten in Portland, Oregon. „Sieh dir bei Youtube das Video an“, empfiehlt er.

Der Song von 1992, der Rassismus und Polizeigewalt anprangert, erschien ein halbes Jahr nach den Riots in Los Angeles. Ist es nicht desillusionierend, das Lied immer noch spielen zu müssen? Wird Black Lives Matter etwas bewirken? Die Proteste haben schon etwas bewirkt, ist sich Morello sicher. „Black Lives Matter hat den Schorf von einer sehr alten Wunde gerissen. Die Bewegung legt den strukturellen Rassismus frei, den viele Menschen in den USA nicht sehen oder nicht wahrhaben wollen“, sagt er. Er empfindet die Proteste als unüberhörbares Nein zu Hass und Unterdrückung.

„Ich glaube an die Worte von Frederick Douglass“, sagt Morello. Der frühere Sklave kämpfte als sogenannter Abolitionist für die Abschaffung der Sklaverei. Morello definiert Freiheit wie er: „Es war nicht der Moment, in dem ihm die Ketten abgenommen wurden“, erklärt der Gitarrist, „sondern der Moment, als der Master Ja sagte – und er Nein.“

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