Co-Pilotin des 9/11-Terrors: der Kinofilm „Die Welt wird eine andere sein“
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Canan Kir und Roger Azar in einer Szene aus „Die Welt wird eine andere sein“.
© Quelle: Razor Film
Auf einem Rummelplatz sieht Asli (Canan Kir) ihn zum ersten Mal, als er aus der Berg-und-Tal-Bahn wieder aussteigt, ohne gefahren zu sein: Das Gerät war ihm doch zu schnell. Sie kichert ein wenig mit ihrer Freundin, aber irgendwie süß findet sie diesen Saeed (Roger Azar) schon.
Auf einer Party im Studentenwohnheim trifft sie Saeed erneut. Beim Flaschendrehen wählt er statt der Pflicht die Wahrheit und erzählt, dass er nur auf Wunsch seiner Eltern aus dem Libanon nach Deutschland gekommen ist, um Zahnmedizin zu studieren. Eigentlich träume er davon, Pilot zu werden, gesteht Saeed während eines nächtlichen Spaziergangs mit Asli. „Willst du meine Co-Pilotin werden?“, fragt er und nimmt Asli auf den Rücken, die ihre Arme ausbreitet, um mit ihm davonzufliegen.
Über beide Ohren verlieben sind die beiden. Ein junges, glückliches Paar, das später heimlich nach muslimischen Brauch heiraten wird, weil Aslis türkisch-konservative Mutter einer Hochzeit mit einem Araber nie zustimmen würde. In der Moschee versprechen sie einander, immer zusammenzubleiben und die Geheimnisse des anderen zu bewahren.
Da hat Saeed schon die Zahnarztausbildung hingeschmissen, studiert in Hamburg Flugzeugtechnik, hat die langen Haare abrasiert und sich einen Bart wachsen lassen. Während Asli in Greifswald ihr Medizinstudium vorantreibt, gerät Saeed in islamistische Zirkel und führt in Hamburg ein Leben, das er mit seiner Frau nicht teilt.
Natürlich spürt Asli die Veränderung, die Geheimnistuerei, die einkehrende Sittenstrenge in der Beziehung, die ideologischen Ausfälle im Gespräch mit Freunden, die schwindende Empathie ihr gegenüber. Aber sie hält genau wie Saeed an ihrer großen Liebe fest, so wie sie es vor dem Imam geschworen hat und so, wie es sich für sie richtig anfühlt.
Zurück aus dem Krieg
Als er ohne große Erklärungen in den Jemen aufbricht und nach Monaten verstört und vernarbt aus dem Krieg zurückkehrt, schwört er, mit Asli ein neues Leben anfangen zu wollen. Die ersehnte Pilotenausbildung, die er in Florida beginnt, könnte ein Neuanfang auch für die beiden sein.
Tatsächlich ist sie der Anfang vom Ende. Saeed wird einer der Terroristen sein, die am 11. September 2001 eine Passagiermaschine ins World Trade Center lenken.
In ihrem Film „Die Welt wird eine andere sein“ geht die Regisseurin Anne Zorah Berrached nicht der Frage nach, was einen jungen Mann zum islamistischen Attentäter werden lässt. Vielmehr nimmt sie mit erzählerischer Konsequenz die Perspektive einer Frau ein, die einen solchen Mann liebt.
Schon in ihrem Berlinale-Beitrag „24 Wochen“ (2016) hatte Berrached aus weiblicher Sicht auf ein moralisches Dilemma geblickt. Hier musste sich Julia Jentsch als Schwangere nach einem pränatalen Befund entscheiden, ob sie ein behindertes Kind zur Welt bringen will. Dabei umkreiste Berrached den Gewissenskonflikt, um ihn differenziert aus allen Richtungen auszuleuchten. Bei aller Parteilichkeit für die weibliche Hauptfigur behielt sie dabei die Dynamik einer Liebesbeziehung im Krisenmodus genau im Auge. Im Kinodrama „Die Welt wird eine andere sein“ verfeinert sie ihren Blick für die Lebenswidersprüche und wechselnden Emotionen ihrer Figuren noch.
Diese Asli macht es dem Publikum nicht leicht. Sie lässt sich von Saeed zu viel gefallen, verschließt die Augen zu oft und lässt sich immer wieder von der Liebe ihres Mannes blenden. Und doch ist sie kein Opfer, das wehrlos in eine ungleiche Beziehung hineingezogen wird.
Die wunderbare Canan Kir, die eine echte Entdeckung fürs deutsche Kino ist, spielt sie als starke, leidenschaftliche Frau. Ihre Asli wird von ihren eigenen Liebesvorstellungen und romantischen Idealen in die Passivität gezwungen. „Du hast doch keine Ahnung, wie es ist, wenn man liebt“, sagt sie zu einem Freund, der sie aufhalten will. Später muss sie sich fragen, was diese Liebe nicht nur mit ihr, sondern mit der ganzen Welt angerichtet hat.
Ganz nah bleibt Berrached bei ihrer Protagonistin, lässt sie mit einer hochmobilen Kamera für keine Sekunde aus den Augen, bindet das Publikum eng an diese Antiheldin, die zuerst auf ihr Herz hört und zu spät auf ihren Verstand – und dafür auf eine ungeheuerliche Weise bestraft wird, die alle Vorstellungskraft sprengt.
„Ohne dich hätte ich nicht die Kraft gehabt, meinen Weg zu gehen“ – der Satz aus Saeeds Abschiedsbrief, der am Anfang des Films aus dem Off vorgelesen wird, klingt wie ein Liebesgeständnis. Als Asli in der Schlussszene den Brief in der Hand hält, bleibt dieser Satz beim nochmaligen Vorlesen auf schreckliche Weise im Hals stecken. Er stellt die Frage nach der Mitschuld Aslis als emotionale Co-Pilotin, die von der Regisseurin nicht abschließend beantwortet wird, aber vom Publikum umso kontroverser diskutiert werden darf.
„Die Welt wird eine andere sein“, Regie: Anne Zorah Berrached, mit Canan Kir, Roger Azar, 118 Minuten, FSK 12.