Blinder Galerist Johann König: „Ich suche nach Grenzerfahrungen“
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Johann König steht auf der Liste der hundert einflussreichsten Personen zeitgenössischer Kunst. Doch das Besondere ist: König ist stark sehbehindert.
© Quelle: Theresa Kottas-Heldenberg/dpa
Herr König, vor Kurzem fand die Kunstmesse Art Basel statt. Waren Sie dort?
Ja. Es war für uns eine sehr gute Messe. Wir haben nicht ganz unaufwendige Arbeiten präsentiert. Und wir konnten an tolle Leute verkaufen und tolle Ausstellungen für unsere Künstler vereinbaren.
Welche Künstler haben Sie präsentiert?
Wir haben eine sehr beeindruckende Arbeit von Alicja Kwade gezeigt, dann Camille Henrot im Außenraum sowie Rinus van de Velde im Rahmen des Parcours in der Stadt. Da haben wir dann auch eine Bank von Jeppe Hein präsentiert, wie sie ähnlich auch gerade bei der Venedig Biennale steht. Das waren so die Highlights.
Sie sind ein international erfolgreicher Galerist. Das Besondere aber ist, dass Sie, seitdem Sie 12 Jahre alt sind, stark sehbehindert sind. Wie ist das passiert?
Das war im Februar 1993. Es war eigentlich ein schöner Abend. Ich habe mit meinen Eltern zu Abend gegessen und bin dann auf mein Zimmer gegangen, um ein paar Sachen zu sortieren. Ich hatte mir Baseballkarten gekauft und wollte die in eine Holzkiste packen. Aber in dieser Holzkiste war die Munition einer Startschusspistole. Diese Kügelchen habe ich dann in einer Anglerdöschen umsortiert. Und dabei ist die Munition in meiner Hand explodiert – wahrscheinlich weil sie sich in diesem Plastikdöschen verkantet hat. Dabei sind meine Hände schwer verletzt worden und die Plastiksplitter sind in mein Gesicht und in meine Augen geflogen.
Wie ging es dann weiter?
Wir sind dann ins Krankenhaus gefahren. Meine Mutter war so geschockt, dass sie beim Taxiunternehmen angerufen hat, um einen Krankenwagen zu rufen. Weil ihr in der Situation die Notrufnummer nicht eingefallen war.
Danach folgten für Sie eine lange Leidenszeit mit vielen Operationen.
Ich habe nur eine sehr getrübte Erinnerung an die Krankenhauszeit. Ich dachte immer, das hängt mit der Narkose zusammen. Aber ein Psychologe hat mir mal gesagt, dass es ein natürlicher Mechanismus ist, der so eine Situation in unserer Erinnerung ausblendet. Es war besonders hart, weil ich nichts mehr sehen konnte und auch meine Hände verletzt waren. Somit konnte ich meine Umwelt überhaupt nicht erschließen.
Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?
Ich hatte ja keine andere Wahl als mich damit abzufinden. Besser ging es mir dann erst, als ich in die Blindenstudienanstalt nach Marburg gekommen bin. Wo andere Kinder waren, die ähnliche Probleme hatten. Unter seinesgleichen zu sein war die beste Form, damit wieder klarzukommen. An der Schule habe ich dann auch mein Abitur gemacht.
Wenn Sie auf Ihre Schulzeit zurückblicken, würden Sie dann sagen, unsere Gesellschaft leistet genug für Blinde und Sehbehinderte?
Ich frage mich vor allem, ob der neue Integrationsansatz in den Schulen der richtige ist. Weil ich schon glaube, dass Menschen mit besonderen Einschränkungen besonderer Förderungen bedürfen. Und ich bezweifle, dass das im normalen Schulumfeld erreichbar ist.
Was meinen Sie damit genau?
Abgesehen vom Erreichen von Lernzielen ist es an einer Schule wie der Blindenstudienanstalt auch sehr wichtig, dass sich die Schüler über ähnliche Probleme und Schwierigkeiten im Alltäglichen austauschen können. Und da ist man mit Leidensgenossen besser beraten als in einem normalen Umfeld. Auch wenn wir natürlich alle klarkommen müssen in der allgemeinen Gesellschaft. Ich denke, dass der konzeptuelle Ansatz des gemeinsamen Beschulens zwar richtig ist, aber in der Praxis leider nicht so umgesetzt werden kann. Für mich wäre der integrative Ansatz jedenfalls sehr schwierig gewesen.
Wie viel können Sie denn heute sehen?
Ein Auge ist vollkommen kollabiert. Auf dem anderen war ich zwischenzeitlich bei der Sehfähigkeit im einstelligen Prozentbereich. Aber nach einer erfolgreichen Hornhauttransplantation bin ich momentan bei etwa 30 Prozent auf dem einen sehenden Auge.
Sie haben also zeitweise nahezu überhaupt nichts gesehen und trotzdem als Galerist gearbeitet. Wie haben Sie denn die Kunst überhaupt bewerten können, die Sie verkaufen?
Ich habe da vor allem den Künstlern vertraut. Als Galerist vertritt man ja zumeist den gesamten Künstler und nicht nur einzelne Werke, auch wenn es das auch manchmal gibt. Man ist sowieso gut beraten, dem Künstler in seinem Schaffen zu vertrauen.
Ihr Vater ist der bekannte Kunstprofessor und ehemalige Direktor des Museums Ludwig in Köln, Kasper König. Wie hat denn Kunst Ihre Kindheit bestimmt?
Meine Eltern haben einfach ihr Kunstprogramm mit Ausstellungen und so weiter durchgezogen und wir Kinder waren halt immer dabei. Das ging uns zum Teil auch tierisch auf die Nerven. Jetzt im Rückblick erkenne ich natürlich, was das für ein
Privileg war, da in jungen Jahren schon so viel mitzubekommen. Was interessant ist, ist, dass ich richtig in Kunst gedacht habe. Mir fallen ganz oft zu Themen und Situationen Kunstwerke ein. Als ich damals mit meinen Eltern von Köln nach Frankfurt zog, war das einzige Bild, das ich von Frankfurt hatte, ein Bild von Jörg Immendorf, das bei uns im Flur hing, und auf dem er Studentenproteste gemalt hatte. Immer wieder sind mir Sachen begegnet, von denen ich nur ein Bild hatte, weil ich es aus der Kunst kannte.
In Ihrem Buch „Blinder Galerist“ ist auf einem Foto zu sehen, wie der Fernseher in Ihrem Elternhaus auf einer Brillo-Box von Andy Warhol stand, an der Wand hingen Werke von On Kawara und Blinky Palermo. Das klingt alles nach einem sehr unverkrampften Verhältnis zur Kunst.
Das stimmt. Die Kunst war nicht so etwas Hehres, wie es sonst der Fall ist. Es war eher etwas Alltägliches. Aber das finde ich auch heute noch wichtig.
Warum?
Ich finde, dass Kunst etwas unglaublich Bereicherndes im Leben ist. Und ich glaube, dass es anderen Leuten auch so gehen würde, wenn sie mehr Zugang zu Kunst hätten. Aber die Hemmschwelle ist vor allem bei zeitgenössischer Kunst immer noch viel zu hoch. Ich fände es deshalb großartig, wenn wir eine Situation erreichen könnten wie in England, wo die Museen kostenlos sind. Ich habe schon das Gefühl, dass in England die Gegenwartskunst eine größere Rolle im Leben der Menschen spielt. Und das liegt bestimmt daran, dass die Museen kostenlos sind. Wenn man die Wahl hat, für 12 Euro ins Museum oder ins Kino zu gehen, verstehe ich, dass viele dann lieber ins Kino gehen.
Sie führen in Berlin mittlerweile Ihre dritte Galerie und beschäftigen rund 40 Mitarbeiter. Außerdem haben Sie vier Kinder. Werden Sie auch in Zukunft immer wieder Neues ausprobieren oder kehrt bei Ihnen auch mal Ruhe ein?
Ich tendiere dazu, die Herausforderung zu suchen und Dinge zu wagen, wenn das Gefühl stimmt. Ich bin schon immer auf der Suche nach Grenzerfahrungen.
Johann König (mit Daniel Schreiber): „Blinder Galerist“. Propyläen. 168 Seiten, 24 Euro.
Von Kristian Teetz/RND