Zweimal geimpft und trotzdem an Covid-19 erkrankt – wie kann das sein?
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Eine junge Frau wird gegen Covid-19 geimpft.
© Quelle: Thomas Banneyer/dpa
Sind Menschen vollständig gegen eine Krankheit geimpft und entwickeln später dennoch Symptome, sprechen Medizinerinnen und Mediziner von sogenannten Impfdurchbrüchen. Auch im Zusammenhang mit Covid-19 sind bereits solche Fälle aufgetreten: Das Robert Koch-Institut (RKI) listet in seinem wöchentlichen Lagebericht vom 29. Juli 2021 insgesamt 7229 Impfdurchbrüche, die seit dem 1. Februar 2021 übermittelt wurden. Davon entfielen 33 Fälle auf die Altersgruppe der unter 18-Jährigen, 4513 Fälle auf die 18- bis 59-Jährigen und 2683 Fälle auf die über 60-Jährigen.
Das RKI definiert einen Impfdurchbruch als symptomatische Corona-Infektion, die bei einer vollständig geimpften Person mittels PCR-Test oder Erregerisolation diagnostiziert wurde. Ein vollständiger Impfschutz setzt laut der Behörde dann ein, wenn nach zweimaliger Impfung – beziehungsweise nach einmaliger Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson – mindestens zwei Wochen vergangen sind.
Doch wie kommt es überhaupt zu Impfdurchbrüchen? Wieso können sich Menschen trotz Impfung mit dem Coronavirus anstecken, an der Infektion (teils schwer) erkranken oder sogar versterben?
Impfstoffe bieten keinen hundertprozentigen Schutz
Zunächst einmal ist wichtig festzuhalten, dass alle in Europa zugelassenen Corona-Impfstoffe einen wirksamen Schutz vor Covid-19 bieten. Daten aus klinischen Studien legen beim Vakzin von Biontech/Pfizer eine Wirksamkeit von 95 Prozent nach vollständiger Impfung nahe, bei Moderna sind es ebenfalls 95 Prozent, bei Astrazeneca 80 Prozent und bei Johnson & Johnson 65 Prozent. Noch besser schützen die Vakzine gegen schwere bis tödliche Krankheitsverläufe.
Die Zahlen verdeutlichen aber auch, dass kein Impfstoff einen hundertprozentigen Schutz bietet. Das ist der Grund, warum es nach Einschätzung des RKI trotz Impfung zu einer Covid-19-Erkrankung kommen kann. „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv wird, ist bereits niedrig, aber nicht null“, schreibt die Behörde auf ihrer Internetseite. Die gute Nachricht: Menschen, die vollständig geimpft sind und sich dennoch mit dem Coronavirus infiziert haben, bleiben nach ersten Erkenntnissen weniger infektiös. Das Risiko, dass sie den Erreger übertragen, sei „stark vermindert“.
USA melden 6587 Impfdurchbrüche
Dass sich Geimpfte mit dem Virus anstecken, ist auch dann möglich, wenn die Infektion kurz vor der Impfung stattgefunden hat. Oder wenn die Infektion in den ersten Tagen nach der Impfung erfolgt, also wenn noch kein ausreichender Impfschutz vorhanden ist.
Es wird immer einen kleinen Prozentsatz von vollständig geimpften Menschen geben, die trotzdem krank werden, ins Krankenhaus eingeliefert werden oder an Covid-19 sterben.
Centers for Disease Control and Prevention
„Es wird immer einen kleinen Prozentsatz von vollständig geimpften Menschen geben, die trotzdem krank werden, ins Krankenhaus eingeliefert werden oder an Covid-19 sterben“, heißt es auf der Internetseite der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention. Auch in den Vereinigten Staaten wurden bereits Impfdurchbrüche festgestellt.
Bis zum 26. Juli verzeichneten die CDC 6587 Patientinnen und Patienten, die trotz vollständiger Impfung im Krankenhaus wegen Covid-19 behandelt werden mussten oder im Zusammenhang mit der Krankheit gestorben sind. 74 Prozent von ihnen (4868 Menschen) waren über 65 Jahre alt. Zum Vergleich: In Deutschland mussten seit dem 1. Februar 2021 rund 663 über 60-Jährige (27 Prozent) hospitalisiert werden.
Immunantwort entwickelt sich bei Älteren langsamer
Warum es vor allem in den höheren Altersgruppen zu Impfdurchbrüchen kommt, lässt sich anhand der Immunreaktionen erklären. So fand ein Forscherteam der Berliner Charité heraus, dass die Immunantwort bei jüngeren und älteren Menschen unterschiedlich ausfällt. Die Studie, die im Fachmagazin „Emerging Infectious Diseases“ erschienen ist, hat die Immunreaktionen von über 70-jährigen Patientinnen und Patienten einer Hausarztpraxis mit denen von Charité-Beschäftigten, die durchschnittlich 34 Jahre alt waren, verglichen. Alle hatten den Impfstoff von Biontech/Pfizer erhalten.
Während einen Monat nach der zweiten Dosis fast alle jungen Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer (99 Prozent) Sars-CoV-2-spezifische Antikörper im Blut hatten, waren es bei den älteren nur rund 91 Prozent. Die Antikörper reiften insgesamt langsamer, sie konnten das Virus schlechter binden. Auch die T-Zell-Antwort fiel bei den Älteren schwächer aus. „Unsere Studie zeigt, dass bei älteren Menschen die Immunantwort nach der Impfung deutlich verzögert ist und nicht das Niveau von jungen Impflingen erreicht“, sagte Studienautor und Impfstoffforscher Prof. Leif-Erik Sander.
Auch bei Menschen mit Immunsuppression, zum Beispiel bei Organtransplantierten, kann die Antwort des Immunsystems auf die Corona-Impfstoffe schwächer ausfallen. Zu dieser Personengruppe gebe es bereits verlässliche Studiendaten, so der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens: „Diese Daten zeigen in der Tat, dass die Immunantwort in Abhängigkeit zur Immunsuppression bei Organtransplantierten viel schlechter sein kann. Sie liegt dann nur noch bei 50 Prozent.“ Ähnliche Defizite bei der Immunantwort zeigten sich bei Rheuma- und Krebspatientinnen und -patienten.
Virusvarianten beeinflussen Risiko für Impfdurchbrüche
Ein weiterer Faktor, der über die Wirksamkeit der Vakzine entscheidet und somit über das Risiko für Impfdurchbrüche, ist die Ausprägung der Virusvarianten. Mit Delta ist nun die vierte Corona-Mutante aufgetaucht, die von der Weltgesundheitsorganisation als „Variant of Concern“, also als besorgniserregende Variante, eingestuft wird. Der zuerst in Indien nachgewiesene Erreger ist deutlich ansteckender als der Ursprungstyp des Coronavirus und dominiert inzwischen das Infektionsgeschehen in Deutschland.
Mehrere Studien deuten darauf hin, dass die bisher verwendeten Impfstoffe auch vor schweren Krankheitsverläufen mit der Delta-Variante schützen. Wichtig scheint vor allem die Zweitimpfung zu sein. Denn bei einer unvollständigen Impfserie zeigte sich eine deutlich verringerte Wirksamkeit der Vakzine.
Das Coronavirus werde sich immer weiterentwickeln, sagte Prof. Jörg Timm, Virologe am Universitätsklinikum Düsseldorf, im RND-Interview. „Deshalb ist es schon denkbar, dass die Impfstoffe, die wir jetzt haben, ihre Wirksamkeit mit der Zeit langsam verlieren werden.“ Am schlimmsten wäre eine Escape-Variante, gegen die die Impfstoffe schlecht bis gar nicht mehr wirken. Timm gibt jedoch Entwarnung: Eine solches Szenario sei möglich, „aber wenig wahrscheinlich“.
RND mit Material der dpa