Zwei Rentnerinnen im Interview: Die Älteren in der Pandemie nicht vergessen
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Die Lebenserfahrung von älteren Menschen kann ihnen und anderen bei der Bewältigung der Pandemie helfen, meinen die pensionierten Anwältinnen Erica Baird und Karen E. Wagner.
© Quelle: Sladic/Istockphoto
Erica Baird und Karen E. Wagner waren einst unter den ersten Frauen, die sich als Anwältinnen in großen New Yorker Firmen bewiesen haben. Doch als sie in den Ruhestand gingen, mussten sie feststellen, dass sie plötzlich nicht mehr so gefragt waren. So entschlossen sie sich, das Bild von pensionierten Frauen neu zu definieren – und gründeten die Gemeinschaft Lustre.net. In Zeiten von Corona beobachteten sie eine neue beunruhigende Entwicklung, die sowohl ältere Männer als auch ältere Frauen betrifft.
Frau Baird und Frau Wagner, das Coronavirus ist auch und vor allem für ältere Menschen gefährlich, da sie ein höheres Risiko haben, schwer zu erkranken. Wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie fühlen sich viele Senioren zudem einsam, zumal der Besuch von den Kindern und Enkelkinder selten geworden ist. Welche negativen Auswirkungen hat die Pandemie auf Ältere im Vergleich zu Jüngeren?
Karen E. Wagner: Ein Problem ist sicherlich, dass ältere Menschen so viel Zeit zu Hause verbringen müssen. Inzwischen kriegen sie ihr Essen und ihre Medikamente bis an die Haustür geliefert, ohne ihr Heim dafür verlassen zu müssen. Zwei Wochen lang geht das, aber dieser Zustand ist für neun Monate, ein Jahr – oder wie lange die Pandemie auch dauern wird – verheerend. Obendrein sind einige Menschen sogar der Auffassung, dass die Pandemie eh nur ältere Menschen betrifft und sie deshalb nicht so schlimm ist.
Erica Baird: Unabhängig vom Alter ist der Verlust der Gemeinschaft in diesen Zeiten natürlich auch ein Faktor. Ich glaube aber – und das ist natürlich relativ zu betrachten –, dass es noch einfacher ist, wenn man noch jung ist und arbeitet. Dann hat man immerhin noch Menschen, mit denen man regelmäßig interagiert. Diese Gemeinschaft ist enorm wichtig für die psychische und physische Gesundheit – und die können sich ältere Menschen in Zeiten von Social Distancing nicht verschaffen.
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Die Pandemie und wir
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Wie Sie schon sagten, gibt es einige Leute, die die Pandemie verharmlosen, indem sie fälschlicherweise behaupten, sie treffe nur die älteren oder die chronisch kranken Menschen. Was halten sie von solchen Aussagen oder Denkweisen?
Baird: Das ist furchtbar. Solche Kommentare sind an Dummheit kaum zu überbieten, weil sie die Tatsache ignorieren, dass ältere Menschen auch Menschen sind. Wenn die meisten Leute heutzutage ihr Rentenalter erreichen, haben sie noch ein Drittel ihres Lebens vor sich. Viele sind mental und körperlich gesund und haben noch viel zu bieten. Menschen, die ein langes und erfülltes Leben gefüllt haben, können sehr viel zurückgeben. Auch deshalb finde ich solche Denkweisen furchtbar. Gleichzeitig motivieren sie mich aber, etwas dagegen zu tun, da solche Einstellungen einfach nicht richtig sind.
Was können wir von älteren Menschen in der Pandemie lernen?
Wagner: Gerade weil wir schon so lange leben, haben wir viel Erfahrung damit, Probleme zu lösen. Erica und ich sind beide Mütter und hatten gleichzeitig sehr, sehr anspruchsvolle Karrieren. Außerdem haben wir schon viele Krisen durchgemacht, von externen wie 9/11 bis hin zu persönlichen und familiären Problemen. So haben wir gelernt, mit Stress umzugehen und Probleme zu lösen. Gleichzeitig haben wir immer wieder miterleben können, dass schlechte Zeiten meistens ihr Ende haben werden. Die Frage ist also: Wie können wir diese Zeit bis dahin besser gestalten? Und genau bei dieser Frage sind wir der Meinung, dass wir Antworten liefern können. Unsere Erfahrungen können dabei helfen, besser durch diese schreckliche Situation zu kommen – und diese auch relativieren zu können.
Baird: Gerade wir als Frauen haben viel weiterzugeben: Wir haben uns durch einen beruflichen Pfad geschlagen, der vielen Frauen zuvor versperrt war. Und obendrauf haben wir uns um unsere Familien und Kinder gekümmert. Wir alle haben dies über einen anderen Weg geschafft – aber wir haben es alle geschafft.
Nun nähert sich allmählich die Weihnachtszeit – und nicht alle werden Zeit mit ihrer Familie verbringen können. Was sind Ihre größten Sorgen für ältere Menschen in den bevorstehenden Wintermonaten?
Wagner: In den USA ist das schon etwas früher ein Thema mit Thanksgiving. Hier ist es üblich, dass große Familien zusammenkommen. Doch dieses Jahr werden sich viele – so wie ich – auf die engste Familie beschränken müssen. Allein das ist aber schon ein Privileg, wenn man bedenkt, dass viele ältere Menschen Thanksgiving oder Weihnachten ganz allein verbringen werden. Das Ansteckungsrisiko ist einfach zu groß. So sind Reisen und Zusammenkünfte schlichtweg nicht möglich – und alles, was bleibt, ist Zoom.
Baird: Wir müssen unbedingt an diejenigen denken, die älter und einsam sind – und auch die Feiertage über einsam sein werden. Wir müssen nach Wegen suchen, sie in unsere Feierlichkeiten einzubinden. Über Videodienste wie Zoom kann man sich mit ihnen verabreden, damit sie in den Feiertagen nicht allein sein müssen. Denn so sehr die Weihnachtszeit auch Freude verbreitet: Sie kann auch Depressionen bei denjenigen auslösen, die niemanden haben.
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Erica Baird und Karen E. Wagner waren einst unter den ersten Frauen, die sich als Anwältinnen in großen New Yorker Firmen bewiesen haben. Doch als sie in den Ruhestand gingen, mussten sie feststellen, dass sie plötzlich nicht mehr so gefragt waren. So entschlossen sie sich, das Bild von pensionierten Frauen neu zu definieren – und gründeten die Gemeinschaft Lustre.net.
© Quelle: Mouth Public Relations, LLC
Die Aussichten auf eine frohe Weihnacht sind also gerade für viele ältere Menschen getrübt. Sind Internetdienste wie Zoom die Lösung gegen Einsamkeit?
Wagner: Ich finde es wundervoll, dass wir in einer Zeit leben, in der wir über Zoom oder andere Dienste miteinander interagieren können und uns dabei von Angesicht zu Angesicht sehen können. Aber natürlich ersetzt es nicht den physischen Kontakt. Ob das Internet und soziale Netzwerke nun gut oder schlecht sind, ist umstritten – aber es ist nun einmal ein Ort, an dem Menschen aus allen Generationen zusammenkommen können.
Baird: Vor der Pandemie haben wir alle unser Bestes gegeben, die Zeit vor dem Bildschirm zu reduzieren. Wir haben Freunde getroffen, sind ins Restaurant gegangen oder haben uns auf einen Drink in der Bar verabredet. Jetzt verbringen wir viel mehr Zeit vor dem PC und wollen lernen, besser damit umzugehen. Doch nun möchte ich – und da spreche ich auch für viele ältere Menschen – die Technologie zurück in eine Box packen. Ich kann es gar nicht abwarten, wieder etwas ohne Technik machen zu können. Gleichwohl bietet das Internet viele Möglichkeiten – beispielsweise haben viele meiner Freunde hier die Meditation für sich entdeckt oder gelernt, zu stricken.
Wie können wir älteren Menschen noch durch diese kalte und einsame Zeit helfen – und wie können sie sich selbst helfen?
Wir alle haben etwas zu bieten. Oder wie es so schön heißt: Die Jungen können schneller rennen, aber die Alten kennen die Abkürzung.
Karen E. Wagner
Baird: Ich finde es wichtig, dass wir alle an Mehrgenerationengemeinschaften teilhaben – und uns nicht nur mit denen unterhalten, die so sind wie wir, sondern auch mit denen, die anders sind. Ich bin Gemeinschaften beigetreten, in denen auch jüngere Leuten mit unterschiedlicher Herkunft vertreten sind und gemeinsam mit uns Älteren über Probleme und deren Lösung gesprochen haben, die uns alle betreffen. Wenn sowohl die Jungen als auch die Alten in der Pandemie online zusammenkommen, können sie sich eine neue Art der Gemeinschaft aufbauen.
Wagner: Da kann ich nur zustimmen. Erica und ich hatten eine Menge Spaß und haben wertvolle Erfahrungen gesammelt, als wir unsere Website Lustre.net gegründet haben. Wir hatten keine Ahnung, wie wir eine Website oder eine Social-Media-Präsenz aufbauen. Dabei haben uns primär jüngere Menschen geholfen. Wir hatten so viel Spaß miteinander und haben gleichzeitig viele sehr interessante Dinge gelernt. Sie haben sehr zu schätzen gewusst, was wir tun und aus welchen Gründen wir es tun, und sagten dauernd Sachen wie „Meine Mutter wird das toll finden!“. Ich finde, das junge und alte Menschen zusammenleben sollten. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass sie im selben Haus wohnen müssen. (lacht) Ich meine damit das Zusammenleben und die Interaktion in einer Gemeinschaft. Das muss derzeit natürlich in einem virtuellen Raum stattfinden. Denn wir alle haben etwas zu bieten. Oder wie es so schön heißt: Die Jungen können schneller rennen, aber die Alten kennen die Abkürzung.