Rollt die Winterwelle an? Sechs Gründe, warum sich das Coronavirus jetzt wieder mehr ausbreitet
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Die Zahl der Corona-Infizierten nimmt in Deutschland wieder zu.
© Quelle: Stefan Sauer/dpa
Bei den Corona-Zahlen zeichnet sich ein Jo-Jo-Effekt ab: Immer wenn sich die Lage in den vergangenen Monaten zu entspannen schien, die Neuinfektionen abnahmen, kam kurze Zeit später die Kehrtwende. Auch jetzt ist es wieder so: Die Fallzahlen steigen kontinuierlich, nachdem sie eigentlich seit Anfang September im Sinkflug waren. Am Freitagmorgen meldete das Robert Koch-Institut (RKI) knapp 20.000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus. Zum Vergleich: In der Vorwoche hatte die Behörde noch rund 11.500 Fälle verzeichnet.
Die Winterwelle scheint Fahrt aufzunehmen. Das zeigt sich auch beim Blick auf die Sieben-Tage-Inzidenz, die angibt, wie viele Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen aufgetreten sind. Die Kennzahl bezifferte das RKI am Freitagmorgen mit 95,1 (Vortag: 85,6; Vorwoche: 68,7). Damit hat der Wert erstmals seit Mitte Mai wieder die 90 überschritten.
Die Prognose des RKIs: „Es ist damit zu rechnen, dass sich im weiteren Verlauf des Herbstes und Winters der Anstieg der Fallzahlen noch beschleunigen wird“, schreibt die Behörde in ihrem aktuellen wöchentlichen Bericht zur Corona-Lage in Deutschland.
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Doch warum ist das so? Eine konkrete Antwort lässt sich auf diese Frage nicht geben – gleich mehrere Faktoren nehmen Einfluss auf die Dynamik des Infektionsgeschehens:
1. Sieben-Tage-R-Wert hat den Schwellenwert überschritten
Dass die Fallzahlen steigen würden, war zu erwarten, wenn man sich den Verlauf der Reproduktionszahl, kurz R-Wert, anschaut. Das RKI gibt mittlerweile einen Vier-Tage-R-Wert und einen Sieben-Tage-R-Wert an. Der Sieben-Tage-R-Wert ist stabiler und bildet den Stand des Infektionsgeschehens von vor einer Woche ab. Ende September hatte die Kennzahl erstmals wieder über eins gelegen. Ab diesem Schwellenwert steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen. Mitunter kann sogar ein exponentielles Wachstum drohen.
Tatsächlich nahm die Zahl der Infektionen zu, seit die Reproduktionszahl den Wert von eins überschritten hat. Ein Rückgang zeichnet sich bislang nicht ab, sodass mit weiteren Infektionen gerechnet werden muss. Am Freitagmorgen betrug die Kennzahl 1,28. Das bedeutet: 100 Infizierte stecken rechnerisch 128 weitere Menschen an.
2. Viele Menschen, auch in höheren Altersgruppen, sind noch ungeimpft
Die Corona-Impfkampagne in Deutschland schreitet weiter voran. Allerdings stellt das RKI in seinem Wochenbericht fest, dass der Anteil der geimpften Personen in den vergangenen Wochen „nur noch langsam“ gestiegen ist. Von den 12‑ bis 17‑Jährigen sind mittlerweile 39,7 Prozent vollständig geimpft, bei den 18‑ bis 59‑Jährigen sind es 72,3 Prozent, und bei den über 60‑Jährigen rund 85 Prozent, wie aus den aktuellen Zahlen des offiziellen Impfdashboards hervorgeht.
„Ich blicke mit einer gewissen Sorge auf die derzeitige Entwicklung der Corona-Zahlen“, sagte Stephan Ludwig, Virologe vom Universitätsklinikum Münster, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Worauf wir hoffen müssen, ist, dass die bisherige Impfquote in Deutschland ausreicht, damit sich die Steigerung der Fallzahlen nicht auch in einer Steigerung der schweren Fälle in den Krankenhäusern abbildet.“ Er verwies auf Großbritannien, wo inzwischen wieder so viele Infektionen auftreten, dass das Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen kommt.
Ob die Fortschritte bei den Corona-Impfungen tatsächlich ausreichen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, ist fraglich. Zumal es noch viele Ungeimpfte gibt, die sich unter Umständen infizieren können. Das RKI geht davon aus, dass in der Altersgruppe der 18‑ bis 59‑Jährigen rund 28 Prozent nicht geimpft sind. Von den 12‑ bis 17‑Jährigen sind wiederum noch 56 Prozent ungeimpft, was auch daran liegt, dass für sie ein Corona-Impfstoff später zugelassen wurde.
Besonders relevant ist aber der Anteil der Ungeimpften in der Altersgruppe der über 60‑Jährigen. Nach Angaben des RKIs sind hier etwa 14 Prozent nicht geimpft. Ältere Menschen haben jedoch ein hohes Risiko, schwer an Covid‑19 zu erkranken oder zu versterben.
3. Impfschutz schwindet
Inzwischen haben mehrere Studien gezeigt, dass die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe mit der Zeit nachlässt – auch, weil sich mit der Delta-Variante eine noch ansteckendere Virusvariante ausbreitet, die womöglich die Immunantwort reduziert.
So hatte etwa ein Forscherteam um den Virologen Christian Drosten und den Impfstoffforscher Leif-Erik Sander von der Berliner Charité die Immunreaktionen von Biontech-Geimpften sechs Monate nach der zweiten Impfung untersucht. Ihre Studie, die vor zwei Tagen im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen ist, umfasste 189 vollständig Geimpfte – 82 von ihnen waren über 70 Jahre alt, 107 waren Beschäftigte im Gesundheitswesen mit einem durchschnittlichen Alter von 35 Jahren.
Es zeigte sich, dass 95 Prozent der jüngeren Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer ein halbes Jahr nach ihrer zweiten Impfung noch neutralisierende Antikörper hatten. Bei den Älteren waren es hingegen nur 61 Prozent – das bedeutet, 39 Prozent von ihnen waren nicht mehr ausreichend vor der Delta-Variante geschützt. Sie könnten sich also unter Umständen mit der Virusvariante infizieren.
Stecken sich vollständig Geimpfte mit dem Coronavirus an und entwickeln Symptome, bezeichnen Expertinnen und Experten dies als Impfdurchbruch. Der nachlassende Impfschutz ist aber nur einer der Gründe, warum es zu diesen Durchbruchsinfektionen kommt. Seit Anfang Februar hat das RKI 95.487 solcher Infektionen verzeichnet. 1,1 Prozent traten unter den 12‑ bis 17‑Jährigen auf, 9,4 Prozent unter den 18‑ bis 59‑Jährigen und 13,5 Prozent unter den über 60‑Jährigen.
Das RKI hat auf Basis dieser Daten die Wirksamkeit der Impfstoffe für den Zeitraum von Anfang Februar bis Ende Oktober geschätzt. Demnach beträgt die Effektivität der Vakzine in der Altersgruppe der 18‑ bis 59‑Jährigen circa 83 Prozent und in der Altersgruppe der über 60‑Jährigen rund 81 Prozent. Das RKI weist in seinem Wochenbericht jedoch darauf hin, dass eine Untererfassung der geimpften Covid-Fälle möglich ist, wodurch die Impfeffektivität in einigen Fällen überschätzt worden sein könnte.
Nichtsdestotrotz zeigt sich auch hier ein nachlassender Impfschutz, wenn man die Impfwirksamkeit in den Meldewochen miteinander vergleicht:
18‑ bis 59‑Jährige | über 60‑Jährige | |
---|---|---|
31. bis 34. Kalenderwoche | 84 Prozent | 83 Prozent |
32. bis 35. Kalenderwoche | 85 Prozent | 83 Prozent |
33. bis 36. Kalenderwoche | 85 Prozent | 83 Prozent |
34. bis 37. Kalenderwoche | 84 Prozent | 83 Prozent |
35. bis 38. Kalenderwoche | 82 Prozent | 80 Prozent |
36. bis 39. Kalenderwoche | 80 Prozent | 77 Prozent |
37. bis 40. Kalenderwoche | 78 Prozent | 76 Prozent |
38. bis 41. Kalenderwoche | 76 Prozent | 75 Prozent |
Eine ähnliche Dynamik zeigt sich auch beim Schutz der Impfung vor Krankenhausaufenthalten, Behandlungen auf der Intensivstation und Tod. Die Wirksamkeit bleibt hier dennoch weiterhin auf einem hohen Niveau, wie aus den Zahlen des aktuellen RKI-Wochenberichts hervorgeht. So schützt eine Impfung in der Altersgruppe der über 60‑Jährigen etwa zu rund 92 Prozent vor einer Behandlung auf der Intensivstation und zu rund 86 Prozent vor einer Hospitalisierung. Das heißt, eine Impfung schützt weiter wirksam vor schweren Krankheitsverläufen.
4. Geimpfte können ansteckend sein
Grundsätzlich sorgen die Corona-Impfungen dafür, dass das Risiko, das Virus zu übertragen, deutlich vermindert wird. Inzwischen ist jedoch klar, dass auch Geimpfte zum Teil noch infektiös sein können. Dabei zeigen die Betroffenen meist nur milde oder überhaupt keine Symptome. Es ist also möglich, dass sie sich mit dem Coronavirus infizieren, dies nicht bemerken und den Erreger übertragen. Das heißt: Auch vollständig Geimpfte tragen noch zum Infektionsgeschehen bei, wenn auch nur geringfügig. Das RKI rät deshalb, dass auch nach der Impfung die AHA+A+L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltag mit Maske, Corona-Warn-App und Lüften) weiter eingehalten werden sollten.
5. Sars-CoV-2 ist ein saisonaler Erreger
Dass sich das Coronavirus wieder verstärkt in der Bevölkerung ausbreitet, ist auch der Jahreszeit geschuldet. Von anderen endemischen, humanen Coronaviren und Atemwegserregern ist bekannt, dass sie sich in den kalten Jahreszeiten besser verbreiten.
Die kalten Temperaturen kommen offenbar auch dem Coronavirus zugute: „Die Erfahrungen aus dem letzten Herbst haben gezeigt, dass das Virus einer starken Saisonalität unterliegt, also im Herbst und Winter die Zahlen ansteigen“, sagte Virologe Ludwig. Wie groß der jahreszeitliche Einfluss genau ist, ist bislang nicht geklärt.
6. Mehr Kontakte in Innenräumen
Wenn es draußen kälter wird, neigen wir zudem dazu, uns öfter in Innenräumen aufzuhalten. Treffen, die sonst im Freien stattgefunden hätten, werden nach drinnen verlagert, wo das Ansteckungsrisiko jedoch größer ist.
„Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, mahnt Virologe Ludwig. „Man sollte daher nach wie vor vorsichtig sein, große Menschenansammlungen vermeiden und möglichst in geschlossenen Räumen weiter Maske tragen. Auch hier hat uns die Erfahrung aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie gelehrt, dass dies eine einfache, wenig belastende und effektive Methode ist, um Ansteckungen zu vermeiden.“
Zu ähnlichen Präventionsmaßnahmen rät auch das RKI. Wichtig sei, dass „alle Menschen weiterhin die AHA+L-Regeln einhalten, möglichst die Corona-Warn-App nutzen, unnötige enge Kontakte reduzieren und Situationen insbesondere in Innenräumen, bei denen sogenannte Super-Spreading-Events auftreten können, möglichst meiden“. Wer bei sich Symptome bemerkt, sollte zunächst zu Hause bleiben, den Hausarzt oder die Hausärztin kontaktieren und sich testen lassen.