Ist Paracetamol in der Schwangerschaft gefährlich?
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Wenn Schwangere Paracetamol einnehmen, könnte sich das auf das ungeborene Kind auswirken, legt eine neue Studie nahe.
© Quelle: Mascha Brichta/dpa
Paracetamol gilt als selbst für Kinder gut verträgliches Mittel gegen Schmerzen und Fieber. Sogar während der Schwangerschaft empfehlen es Ärzte und Ärztinnen den werdenden Müttern. Doch eine aktuelle Veröffentlichung von Forschenden der Pennsylvania State University im Fachjournal „Plos One“ deutet darauf hin, dass das Medikament schlecht für das Baby sein könnte.
Da schon ältere Untersuchungen einen möglichen Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitsstörungen von Kindern und der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft gefunden hatten, wollten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diese Theorie gezielt überprüfen. Sie hatten Daten von 2423 Schwangeren und deren späteren Kindern aus einer Kohortenstudie ausgewertet. Dabei hatten 42 Prozent der Mütter das Schmerzmittel eingenommen, während sie ihr Kind austrugen.
Berücksichtigt wurden viele verschiedene Faktoren wie der Gesundheitszustand, die Lebensumstände und das psychische Befinden der Mütter. Außerdem wurden die Mütter gebeten, ausführliche Angaben zur Gesundheit und zum Verhalten ihrer Kinder zu machen, wenn diese das Alter von drei Jahren erreicht hatten. Es zeigte sich, dass die Kinder öfter an verhaltensneurologischen Auffälligkeiten wie Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen litten, wenn ihre Mutter während der Schwangerschaft Paracetamol genommen hatte.
Wichtige „Störfaktoren“ wurden berücksichtigt
Das Besondere an der neuen Studie ist, das wichtige „Störfaktoren“, die das Ergebnis verfälschen könnten, berücksichtigt wurden. So war in vorherigen Untersuchungen mit ähnlichem Ergebnis oft nicht klar gewesen, ob Mütter, die während der Schwangerschaft vermehrt unter Stress litten, deshalb mehr Medikamente einnahmen. Eine mögliche Erklärung für die späteren Verhaltensauffälligkeiten der Kinder könnte dann auch der Stress gewesen sein.
Tatsächlich konnte ein solcher Zusammenhang in der aktuellen Studie belegt werden: Schwangere, die nach eigenen Angaben öfter gestresst waren, nahmen öfter Paracetamol und konsumierten zudem mehr Alkohol. Wobei sowohl Stress als auch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft das Risiko für spätere Verhaltensauffälligkeiten bei den Kindern erhöhen, wie aus der Studie hervorgeht.
Entwicklung könnte beeinträchtigt werden
Aber: Auch wenn die Einflussfaktoren Stress und Alkoholkonsum während der Schwangerschaft herausgerechnet wurden, zeigte sich immer noch ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol und den späteren Schlafstörungen und Aufmerksamkeitsstörungen bei den Kindern. Er fiel lediglich etwas geringer aus. Die Autoren und Autorinnen der Studie liefern auch ein mögliches biologisches Erklärungsmodell dafür, wie die Paracetamol-Einnahme während der Schwangerschaft spätere neurologische Auffälligkeiten bei Kindern hervorrufen könnte.
Studien mit Mäusen legten nahe, dass Paracetamol auf das Endocannabinoid-System des Fötus wirke. Das wiederum ist für die Entwicklung des zentralen Nervensystems wichtig, heißt es in der Studie. Auch könnte der Wirkstoff die Eigenschaften hämatopoetischer Stammzellen in der Leber des Fötus verändern, was sich auf dessen neuronale Entwicklung und die Entwicklung seines Immunsystem auswirken würde. Es sei zudem eine Beeinträchtigung der Darmflora von Mutter und Fötus möglich, was ebenfalls zu neurologischen Entwicklungsstörungen führen könne.
Weil die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft so verbreitet sei, seien die Ergebnisse ihrer Studie von Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, so die Autorinnen und Autoren. Sie raten Schwangeren zur Vorsicht bei der Einnahme von allen Medikamenten, die den Wirkstoff enthalten.
Die Studie stehe „im Einklang mit einer Vielzahl von Forschungsergebnissen“, die einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft und Aufmerksamkeitsproblemen bei Kindern vermuten ließen, sagte Ann Z. Bauer, Postdoktorandin am Zentrum für Autismusforschung und -bildung an der University of Massachusetts Lowell gegenüber dem Science Media Center. Schon frühere Studien hätten einen Zusammenhang zu Aufmerksamkeitsproblemen, ADHS, Autismus, Sprachverzögerungen und verringertem IQ nahegelegt.
Nicht länger als nötig einnehmen
Als einen der Schwachpunkte der aktuellen Studie sieht es Bauer, dass nicht die genaue Dosis und der Zeitpunkt der Einnahme des Paracetamols erfasst wurden. Der Effekt könnte dadurch unterschätzt werden. Zudem gebe es weitere mögliche Störfaktoren, die das Ergebnis beeinträchtigt haben könnten. So sei zum Beispiel nicht auszuschließen, dass auch Infektionen und Fieber während der Schwangerschaft die neurologische Entwicklung der Kinder beeinträchtigt hatten.
Insgesamt seien die Studienergebnisse wichtig, weil Paracetamol so oft eingenommen werde: „Es ist weltweit das von Schwangeren am häufigsten verwendete Medikament und das Medikament, das am häufigsten an Kleinkinder verabreicht wird“, so Bauer. Da die Einnahme von Paracetamol so häufig vorkomme, könne das Medikament, auch wenn es nur einen geringen Anteil am Risiko dafür habe, für einen großen Teil der neurologischen Probleme in der Gesamtbevölkerung verantwortlich sein. Weitere Untersuchungen mit aussagekräftigen Methoden sollten „höchste Priorität haben“, sagte Bauer. Sie fordert, insbesondere auch eine Untersuchung der Einnahme von Paracetamol von Kleinkindern und Kindern, zu denen es besonders viele Forschungslücken gebe.
Das European Network of Teratology Information Services (ENTIS), das auf die Erforschung schädlicher Einflüsse während der Schwangerschaft spezialisiert ist, hatte zuletzt 2021 eine Stellungnahme zur Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft veröffentlicht, als bereits erste Studien zu möglichen Risiken erschienen waren. Die Experten und Expertinnen von ENTIS betonten darin, Paracetamol sei unter den Schmerz- und Fiebermitteln nach wie vor das Mittel der ersten Wahl in der Schwangerschaft. Es sollte jedoch nur eingenommen werden, wenn es wirklich notwendig sei, zudem in der niedrigsten möglichen Dosis und für die kürzeste mögliche Dauer.