Omikron und die Winterwelle: Wie hoch ist jetzt noch mein Risiko?
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Eine Frau lässt sich an einer Mobilen Teststation in Lüneburg mit einem Antigen-Schnelltest auf Corona testen.
© Quelle: Philipp Schulze/dpa
Omikron macht sich im Alltag vieler Menschen immer stärker bemerkbar. Da fällt die Arbeitskollegin aus, weil sie sich angesteckt hat, das Kind bleibt wegen Schnupfen und Husten lieber vorsichtshalber der Kita fern, das Treffen mit den Freunden wird verschoben, weil einer der Gäste plötzlich einen positiven Schnelltest hat. Mehr als 140.000 Neuinfektionen wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) allein am Freitag gemeldet – Tendenz steigend.
Gleichzeitig gibt es beruhigende Meldungen. Ansteckungen mit Omikron führen offensichtlich zu weniger Krankenhauseinweisungen und schweren Covid-19-Verläufen, als es noch bei Delta der Fall war. Ist es da jetzt überhaupt noch schlimm, sich anzustecken? Wie hoch ist das Risiko noch für die eigene Gesundheit? Eine für alle Menschen gleich lautende Antwort auf diese Frage gibt es nicht – aber verschiedene Faktoren, anhand derer man das persönliche Gesundheitsrisiko bewusster einschätzen kann.
Infektionsrisiko und Erkrankungsrisiko unterscheiden
Eines ist ganz klar: Omikron ist unglaublich ansteckend. „Das Risiko, sich zu infizieren, ist höher als es jemals war, seit die Pandemie begonnen hat“, sagte die Virologin Sandra Ciesek vom Frankfurter Universitätsklinikum am Dienstag im NDR-Info-Podcast „Coronavirus Update“. In Zahlen könnte das bedeuten, dass sich in den kommenden zwei Monaten rund jeder Zweite in Europa mit dem Virus ansteckt. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Hochrechnung des Forschungsinstituts IHME, auf das sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stützt.
„Man muss aber auch sagen, dass das Risiko für eine schwere Erkrankung, daran zu versterben oder auf Intensivstation zu landen, wenn man geboostert ist, mit Omikron noch nie so niedrig war“, verdeutlichte Ciesek auch. „Es konnte gezeigt werden, dass der Schutz vor Infektion und auch schwerem Covid-19-Verlauf bei Erwachsenen durch eine Auffrischimpfung wieder deutlich verbessert werden kann“, betont auch die Ständige Impfkommission (Stiko) in ihrer aktualisierten Impfempfehlung.
Das ist aber keine Einladung dazu, es jetzt darauf anzulegen, sich mit Corona anzustecken. „Es ist sicherlich nicht sinnvoll zu sagen, jetzt bin ich frisch geboostert, dann kann ich mich infizieren“, betont Ciesek. Da würde sie entschieden abraten – insbesondere weil das Gesundheitssystem stark belastet sei, in den Krankenhäusern wie in den hausärztlichen Praxen. „Man steckt sich ja auch nicht absichtlich mit Hepatitis C an, nur weil man es gut behandeln kann“, erklärte die Virologin. Das sei nicht der richtige Weg.
Der Immunstatus ist entscheidend
In Deutschland sind bislang auch nicht alle Menschen geboostert – es sind derzeit 49 Prozent der Bevölkerung, Stand 20. Januar. Grundimmunisiert sind 73 Prozent der Bevölkerung. Deshalb ist man gesundheitlich auch unterschiedlich stark gefährdet für Covid-19, wenn man sich ansteckt – je nach Immunstatus.
Das verdeutlicht auch die aktuelle Risikobewertung des RKI. In der Gruppe der Ungeimpften fällt die Gefährdung für eine Infektion mit Omikron „sehr hoch“ aus, bei Genesenen und Geimpften mit Grundimmunisierung „hoch“ und bei Geboosterten „moderat“. Was alle gleichermaßen betrifft: Das Gesundheitssystem, auf das wir alle angewiesen sind, könnte schnell überlastet werden, wenn sich zeitgleich sehr viele Menschen anstecken. Deshalb schätzt die Behörde die Gefährdung durch Covid-19 auch für die Bevölkerung als Ganzes insgesamt als „sehr hoch“ ein.
In Prozentzahlen drückt die britische Health Security Agency das verminderte Erkrankungsrisiko bei Omikron nach ersten Auswertungen so aus: Mit Omikron Infizierte ohne Immunschutz hätten ein um 50 Prozent geringeres Risiko, ein Krankenhaus aufzusuchen, als noch bei Delta. Sie fanden auch ein um 65 Prozent geringeres Risiko für eine Klinikeinweisung bei mit Omikron Infizierten, die zweifach geimpft waren. Ein rund 81 Prozent geringeres Risiko bestand bei Geboosterten. Das heißt also: Im Gegensatz zu bisherigen Varianten ist es für alle Menschen weniger wahrscheinlich, schwer zu erkranken. Aber das Restrisiko fällt nur bei Geboosterten deutlich gering aus.
Mehrere Studien aus Großbritannien deuten darauf hin, dass auch bei Genesenen der Schutz vor einer erneuten Ansteckung mit Omikron nachlässt. Ob das auch bedeutet, dass der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen schwindet, ist noch nicht ganz klar. „Das ist momentan eine große Unbekannte“, sagte der Immunologe Reinhold Förster von der Medizinischen Hochschule Hannover dem RND. „Wir wissen es einfach noch nicht, es ist aber wahrscheinlich.“ Vor diesem Hintergrund hat das RKI die Dauer des Genesenenstatus verkürzt. Nach einer Corona-Infektion gilt man nur noch drei und nicht mehr sechs Monate lang als genesen. Danach sollte man den Immunschutz mit einem mRNA-Impfstoff auffrischen.
Nicht jeder trägt das gleiche Covid-Risiko
Neben dem Immunstatus spielen auch bestimmte Risikofaktoren eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, das eigene Gefährdungsrisiko in der Omikron-Welle zu beurteilen. Ganz grundsätzlich betont das RKI in seinem epidemiologischen Steckbrief zu Sars-CoV-2: „Schwere Verläufe können auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung und bei jüngeren Patienten auftreten.“ Schwere Krankheitsverläufe werden aber unter anderem häufiger beobachtet bei:
- älteren Personen ab etwa 50 bis 60 Jahren, mit steigender Tendenz mit zunehmenden Alter
- Männern
- Rauchern
- adipösen Menschen ab einem BMI über 30
- Schwangeren
- Menschen mit Trisomie 21
- Personen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, chronischen Lungen-, Leber- und Nierenerkrankungen, Demenz, Diabetes mellitus, Krebs, Immunschwäche
Nur ein Teil der Covid-19-Erkrankungen verläuft schwer, wie bisherige Pandemiewellen gezeigt haben. In einer Analyse von Daten aus dem deutschen Meldesystem bis Februar 2021 wurden laut RKI 10 Prozent der in Deutschland übermittelten Fälle hospitalisiert. Davon wurden rund 20 Prozent beatmet. Im Median waren diese Patientinnen und Patienten 73 Jahre alt. Von den im Krankenhaus Behandelten verstarben in der ersten und zweiten Corona-Welle insgesamt 26 Prozent. Das Alter ist beim Sterberisiko entscheidend: 5 Prozent der Verstorbenen waren 35 bis 59 Jahre alt, 40 Prozent über 80. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Frauen und Männer sind von einer Corona-Infektion zwar gleich häufig betroffen. „Männer erkranken jedoch häufiger schwer und sterben laut einer Übersichtsarbeit doppelt so häufig wie Frauen“, hält das RKI in seinem Virussteckbrief fest.
Auch ein milder Verlauf birgt Gesundheitsrisiken
Die überwiegende Mehrzahl derjenigen, die sich mit Omikron anstecken, erkrankt nach RKI-Definition mild bis moderat. Wie krank man wird, ist bei jedem und jeder unterschiedlich. Manche haben starken Husten, Fieber, liegen wochenlang flach. Andere verspüren nur ein leichtes Unwohlsein und sind nach kurzer Zeit wieder fit und auch nicht mehr infektiös.
Um das persönliche Risiko in der Omikron-Welle einzuschätzen, sollte man jedoch auch wissen, dass auch wer leicht erkrankt und sich schnell erholt, in der Folge noch länger vom Virus beeinträchtigt sein kann. Eindeutig beziffern lässt sich nicht, wie viele Menschen das trifft, welche Rolle das Alter und Vorerkrankungen spielen. Aber eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hatte etwa gezeigt, dass auch eine milde bis moderate Covid-19-Erkrankung die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren mittelfristig beeinträchtigen kann.
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Viele Fragezeichen gibt es auch noch zu Long Covid, gerade bei Omikron. Jördis Frommhold, die an der Median Klinik in Heiligendamm ein Reha-Programm speziell für an Long Covid Erkrankte aufgebaut hat, weist auf eine Studie hin: Der zufolge waren rund 10 Prozent der Infizierten von Spätfolgen wie Erschöpfung, Atemnot und Konzentrationsstörungen betroffen. Es gibt auch Untersuchungen, die von bis zu 40 Prozent ausgehen. „So oder so ist hier aber von mehreren Hunderttausend bis zu Millionen Menschen die Rede, die Spätfolgen haben werden – und das allein in Deutschland“, vermutet die Ärztin. Die Diagnose könne nach schwerem und leichtem Verlauf auftreten, kann Junge wie Alte, Frauen wie Männer und auch Kinder treffen.
Anzahl der Kontakte - auch bei Omikron relevant
Ob man zu der großen Gruppe derer zählt, die sich in dieser Welle anstecken, ist ein Stück weit Zufall. Ein Stück weit hat es aber auch jeder und jede selbst in der Hand. Das Infektionsrisiko lässt sich auch bei Omikron durch Vorsichtsmaßnahmen wie Maske tragen, Testen, Lüften in Innenräumen und Abstand reduzieren, wenn man auf andere Menschen trifft, wie das RKI betont.
Aber auch auf die Anzahl der Kontakte kommt es an. „Je mehr Menschen zusammenkommen, desto eher kann es vorkommen, dass sich darunter auch ein unwissentlich Infizierter befindet“, erklärte der Modellierer und Physiker Dirk Brockmann von der Berliner Humboldt-Universität im RND-Gespräch. „Wenn ich zehn Tage hintereinander zehn verschiedene Leute treffe, hat das einen geringeren Effekt auf die Infektionsdynamik, als wenn ich neun Tage lang niemanden treffe und einen Tag dann plötzlich hundert Menschen auf einmal.“
Ein Ende der Omikron-Welle ist vorerst in Sicht. Für das Frühjahr sind sich Experten und Expertinnen einig, dass die Lage entspannter wird. Vorerst wird man die Infektions- und Erkrankungsrisiken aber weiter im Alltag abwägen müssen. In der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Mittwoch, er rechne damit, dass der Höhepunkt der Welle wahrscheinlich Mitte Februar erreicht werde. Mehreren Hunderttausend Fälle seien zu erwarten – pro Tag.