Niedrige Impfquote, viele Verschwörungserzählungen: Kenia macht mit 1G Druck auf Impfverweigerer
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Nur 6,53 Prozent der Kenianerinnen und Kenianer sind zweifach gegen Corona geimpft.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Es hat lange gedauert, bis die Infrastruktur in Kenia stand. Erst fehlte es an Impfstoff, dann an Örtlichkeiten, um viele Menschen zeitgleich zu impfen. Doch nun hat Kenia Millionen Impfdosen und Gesundheitspersonal, das impft – in Behörden, in Arztpraxen und Krankenhäusern, sogar am Strand südlich von Mombasa gibt es Impfzelte. 3000 Impfstationen gibt es inzwischen über das Land verteilt. Das Problem: Es kommen kaum Menschen.
Die Bevölkerung Kenias zählt zu den impfkritischsten weltweit. In einer repräsentativen Umfrage des Africa Centre for Disease Control (ACDC) gaben im August 2021 36 Prozent der Kenianerinnen und Kenianer an, skeptisch zu sein und sich (vorerst) nicht gegen Covid-19 impfen lassen zu wollen. Das merken inzwischen auch die Impfteams. In sozialen Medien klagen sie darüber, Impfdosen vernichten zu müssen, weil nur 50 Prozent der Kapazitäten genutzt werden. Die Impfdosen, die das Land ohnehin erst kurz vor Ablaufdatum erreicht haben, laufen ab oder aber es sind zu viele Spritzen aufgezogen für die wenigen Leute, die sich ihren Piks abholen.
Impfnachweis für Bus und Bahn – und das Einkaufen im Supermarkt
Es sind radikale Methoden, mit denen die kenianische Regierung nun gegen die Impfmüdigkeit vorgeht. Nahezu flächendeckend gilt in Kenia seit dieser Woche 1G für alle ab 15 Jahren. Selbst für den Besuch im Supermarkt oder für die Nutzung von Minibussen und Mopedtaxis, die beliebtesten Fortbewegungsmittel, ist ein Impfnachweis notwendig. Auch in Restaurants, Nationalparks, Theatern, Museen, Hotels und allen staatlichen Einrichtungen wie etwa Bürgerämtern gilt eine Impfpflicht. Sogar bei Hochzeitsfeiern und auf Beerdigungen sind die Veranstalter angehalten, den Impfnachweis zu kontrollieren. In bestimmten Berufsgruppen, etwa in der Pflege, gilt eine Impfpflicht.
Für Ungeimpfte bleibt also nur, an den gängigen Verkaufsbuden einzukaufen – und das nur an solchen, die per Fuß oder mit dem eigenen Auto erreichbar sind.
Bereits vor fünf Wochen hat Kenia den Plan angekündigt, zum 21. Dezember Ungeimpfte weitestgehend vom öffentlichen Leben auszuschließen. Damals lag die Quote der zweifach Geimpften bei 4,8 Prozent. Aufwendige Impfaktionen, begleitet von Kampagnen in Medien, Kirchen und mobilen Informationsteams, sollten dafür sorgen, dass bis zum Stichtag 10 Millionen Kenianerinnen und Kenianer geimpft sind.
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Fake News und Misstrauen in die Regierung führen zu Impfskepsis
Doch auch die Drohungen von 1G nützten bisher nur wenig: 9,2 Millionen haben eine erste Dosis erhalten, davon sind aber erst 3,7 Millionen vollständig mit zwei Dosen geimpft, was 6,53 Prozent ausmacht, – bei einer offiziellen Einwohnerzahl von 54 Millionen. Von den rund 23 Millionen Impfdosen, die Kenia bisher erreicht haben, sind also noch einige auf Lager. Stattdessen steigt die Anzahl der Infektionen mit Corona stark an: Am Mittwoch gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass 29,7 Prozent der Corona-Tests der vergangenen 24 Stunden positiv waren.
Das Onlinemagazin „Devex“ berichtet, dass vor allem Fehlinformationen und Misstrauen für die große Ablehnung der Corona-Impfung sorgen. Denn: In den ersten Monaten war in Kenia nur Astrazeneca zu bekommen – den Stoff, den man in Europa aussortiert hatte wegen der Nebenwirkungen. Was Europa nicht wollte, wurde nach Afrika verfrachtet.
Afrika bekommt den Impfstoff, den Europa und Amerika nicht wollen
Doch während einige die Spritze nichtsdestotrotz nahmen, gab es auch kritische Haltungen gegenüber dem Stoff, der den Europäerinnen und Europäern gesundheitlich zu riskant geworden war. „Wenn die Amerikaner diese Impfung nicht wollen, sollten wir in Afrika besonders skeptisch sein“, wird ein 60-jähriger Kenianer in dem Beitrag zitiert. Auch fehlende Informationen sorgten für Skepsis: So wurde in den ersten Wochen und Monaten gar nicht über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt, danach nur zögerlich.
Zudem war die Zeit knapp, denn die meisten Impfdosen wurden aus Europa oder den USA gespendet – aber erst, als sie in den Lagern zu verfallen drohten. Eine Entwicklung, die man auch andernorts in Afrika erlebt hat: Eine Million Impfdosen hat Nigeria alleine am 23. Dezember vernichtet. Es handelte sich um den wenig beliebten Impfstoff von Astrazeneca, der so kurz vor Verfallsdatum in dem westafrikanischen Land ankam, dass er nicht mehr verimpft werden konnte.
Korruption und Machtmissbrauch sind Nährboden für Verschwörungserzählungen
Die Art der Impfstoffverteilung war ein Nährboden für das Aufgreifen von Verschwörungserzählungen. Wer ohnehin wenig Vertrauen in die eigene Regierung hat, weil Korruption, Machtmissbrauch und andere Delikte zu häufig vorgekommen sind, ist skeptisch. Wenn nun also die Regierung in einer Mitteilung kundtut, dass es wichtig sei, dass sich alle erwachsenen Kenianerinnen und Kenianer impfen lasse, hinterfragen die Bewohnerinnen und Bewohner das eher als dass sie dem Aufruf folgen.
Vor allem in den sozialen Medien haben sich Verschwörungstheorien verbreitet und das bei einer deutlich intensiveren Nutzung der sozialen Medien als Informationsquelle im afrikaweiten Vergleich: Postet etwa das Gesundheitsministerium etwas auf Facebook, sammeln sich binnen kurzer Zeit Dutzende bis Hunderte Kommentare, die auf Fake News basieren.
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Der kenianische Gesundheitsminister Mutahi Kagwe nahm im März 2021 die erste Impfdosen persönlich in Empfang.
© Quelle: imago images/Xinhua
47 Prozent der Kenianer sehen Afrika als Versuchskaninchen für Corona-Impfstoffe
Eine der ersten Personen, die in Kenia geimpft wurden, ist Rachel, eine Sozialarbeiterin aus Kiambu. Bereits im April 2021 erhielt sie die erste Dosis. Dennoch blieb Skepsis: „Es kratzt schon am Verstand, wenn man nach der Impfung hört, dass der Impfstoff in Deutschland und Europa nicht mehr verwendet wird für Frauen in meinem Alter. In Kenia bekommen wir Normalos Astrazeneca und Menschen mit politischem Einfluss oder viel Geld bekommen den guten Stoff.“
In der Studie von ACDC gaben 47 Prozent der Kenianerinnen und Kenianer an, dass die Menschen Afrikas als Versuchskaninchen für Impfstoffe genutzt werden – das sind mehr als die 43 Prozent im Schnitt der 15 untersuchten Nationen. 30 bis 35 Prozent glauben an mindestens vereinzelte Verschwörungstheorien, 71 Prozent gaben an, bereits Inhalte geteilt zu haben, die als Fake News oder Verschwörungstheorien gesehen würden.
Beten statt Impfen: Kenia hat ein großes Gottvertrauen
Ein weiterer Aspekt: Der Einfluss der Kirche. Rund 5 Prozent der Kenianerinnen und Kenianer gaben in einer Geopoll-Studie im März 2021 an, dass ihr Glaube Grund für die Impfskepsis sei. Statt auf Medizin und Eigenverantwortung verlässt man sich auf Gott und sein Urteil. Der in Kenia geborene und in Cambridge ausgebildete Pastor und Schulgründer John L. Shabaya spricht von einer generell „ganzheitlich religiösen“ Lebensperspektive in Kenia.
Die Kirchen bestimmen in Kenia gar den Lehrplan an den öffentlichen Schulen mit – denn sie finanzieren Bildungs- und Gesundheitswesen zu großen Teilen. Von Grund auf wird so auf Gottvertrauen gebaut. In einigen Gottesdiensten hatten sich Pastoren offen gegen die Impfung ausgesprochen – beten sei zielführender.
„Der negative Aspekt der religiösen Vorgehensweise ist die Vorstellung, dass manche Menschen glauben, eine Krankheit sei das Ergebnis einer Bestrafung für Sünden oder Fehlverhalten“, sagt ein Sozialarbeiter aus Kiambu, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Bei der negativen religiösen Bewältigung geht es um die spirituelle Auseinandersetzung mit sich selbst, mit anderen und mit einer höheren Macht. Sie ist prädiktiv für gesundheitliche Folgen, einschließlich der Sterblichkeit.“
Möglicherweise spielen aber auch noch weitere Faktoren eine Rolle. So können einige Menschen, die grundsätzlich gewillt sind, sich gegen Corona impfen zu lassen, kaum an Impfstoff kommen. So ist die Infrastruktur in den Städten und Ballungszentren des Landes zwar gut ausgebaut, in abgelegenen dörflichen Regionen ist der Weg zum nächsten Impfzentrum mitunter sehr weit. Und: Um eine Spritze zu bekommen, wird ein Ausweis benötigt. Nicht alle Kenianer und Kenianerinnen haben aber die notwendigen Dokumente.
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Oberster Gerichtshof kippt 1G: Kenia aktiviert Katastrophen-Alarm
Ob die 1G-Regelung lange in Kraft bleibt, ist unklar: Bereits am 14. Dezember hatte der Oberste Gerichtshof des Landes die Impfpflicht für Behördengebäude, Restaurants, Supermärkte, Nationalparks und Co. für nichtig erklärt. Als Grund für die Ablehnung nannte das Gericht, dass nicht alle Menschen, die sich generell impfen lassen würden, bis zum Zeitpunkt der geplanten Einführung am 21. Dezember auch eine Impfung erhalten könnten.
Die Regierung hatte daraufhin das National Emergency Response Committee (Nationales Komitee zur Reaktion auf Notfälle) eingeschaltet, um den Public Health Act zu installieren. Dieser gibt der Regierung im Falle einer medizinischen Ausnahmesituation weitreichende Befugnisse. Als eine der Begründung für die Ausnahmesituation dient die rasche Verbreitung der Omikron-Variante, wie Gesundheitsminister Mutahi Kagwe in einer Ansprache sagte. Gegen die Einführung wurde bereits Klage beim Obersten Gerichtshof eingereicht, bis ins neue Jahr ist die Verhandlung aber ausgesetzt.