Neue Corona-Maßnahmen erst nach Weihnachten: Warum das vielen Experten nicht reicht

Potsdam: In der Innenstadt wirbt die Stadt auf einem Plakat mit „Jetzt testen lassen!“ für kostenfreies Testen an mehr als 20 Corona-Teststellen. Engmaschige Tests sind ein Teil des Maßnahmenpakets der Bundesregierung. Experten fordern massivere Einschnitte im öffentlichen Leben.

Potsdam: In der Innenstadt wirbt die Stadt auf einem Plakat mit „Jetzt testen lassen!“ für kostenfreies Testen an mehr als 20 Corona-Teststellen. Engmaschige Tests sind ein Teil des Maßnahmenpakets der Bundesregierung. Experten fordern massivere Einschnitte im öffentlichen Leben.

Auch, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz seit einigen Wochen sinkt – heute fiel der Wert etwa erstmals seit November auf unter 300 –, gibt es keine Entwarnung in Sachen Corona. Ganz im Gegenteil: Angesichts der hohen Infektionsgeschwindigkeit der Omikron-Variante haben Bund und Länder am Dienstag strengere Kontaktbeschränkungen nach Weihnachten auch für Geimpfte und Genesene beschlossen, um eine Überlastung kritischer Infrastrukturen zu vermeiden.

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Konkret heißt das: Private Kontakte werden ab dem 28. Dezember auf zehn Personen beschränkt, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgerechnet. Sobald eine ungeimpfte Person teilnimmt, gilt eine Beschränkung auf den eigenen Haushalt und höchstens zwei Personen eines weiteren Haushalts. Clubs und Discos schließen und die Fußball-Bundesliga spielt wieder Geisterspiele. Weihnachten ist noch nicht von den strengeren Regeln betroffen, da setzt die Bundesregierung vor allem auf Eigenverantwortung.

Expertenrat: „Höchste Dringlichkeit“ wegen Omikron

Das ist zu wenig, wenn es nach Expertinnen und Experten geht. Bereits vor der Sitzung am Dienstag hatte das Robert Koch-Institut (RKI) empfohlen, Kontakte bis Mitte Januar „maximal“ zu beschränken – und zwar sofort, nicht erst nächste Woche.

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Auch die Empfehlungen des eigens für die Bundesregierung eingerichteten Expertenrats klingen deutlich schärfer als die Regeln, zu denen sich die Regierung nun entschlossen hat: Es ergebe sich „Handlungsbedarf bereits für die kommenden Tage“, heißt es in einer Stellungnahme. Es sei „höchste Dringlichkeit“ geboten, bei der Intensivierung der Impf- und Booster-Kampagnen – insbesondere für Ältere und Risikogruppen.

Weil aber Booster-Impfungen alleine keine ausreichende Eindämmung der Omikron-Welle bewirken würden, seien zusätzliche Kontaktbeschränkungen notwendig. Dazu gehöre unter anderem die Vermeidung größerer Zusammenkünfte, das konsequente Tragen der FFP2-Masken und eine umfassende Kommunikationskampagne, um die pandemiemüde Bevölkerung aufzuklären. Der Expertenrat erwarte für die kommenden Wochen und Monate „enorme Herausforderungen“, die ein „gemeinsames und zeitnahes“ Handeln aller erfordern.

Stiko-Chef: „Viel, viel mehr Kontaktbeschränkungen“

Auch der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie plädiert im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) für sofortige Kontaktbeschränkungen, um die Ausbreitung der Omikron-Variante einzudämmen. „Die Menschen sollten ihre Kontakte jetzt auf ein Minimum reduzieren“, so Zeeb im Interview. „Bis in den Januar hinein können wir mit einem Lockdown nicht warten.“

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Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek hatte im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ angesichts der Infektionsgeschwindigkeit der Omikron-Variante ebenfalls auf schärfere „längst überfällige“ Corona-Maßnahmen gedrungen. „Es zählt eigentlich jeder Tag“, sagte Ciesek. Insgesamt sei eine langfristige Strategie notwendig, denn auch ein Booster werde nicht dauerhaft vor einer Infektion schützen.

Auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, hat sich für umfassendere Kontaktbeschränkungen ausgesprochen. Angesichts der leichten Übertragbarkeit müssten „viel, viel mehr Kontaktbeschränkungen“ erfolgen als derzeit üblich – und zwar „sehr schnell“. Das berichtet die dpa.

Modellierer fürchtet Vervierfachung der Omikron-Infektionen nach Weihnachten

Der Physiker und Mathematiker Jan Fuhrmann modelliert an der Universität Heidelberg das Infektionsgeschehen und schließt sich landläufigen Expertenmeinungen ebenfalls an: „Will man eine hochansteckende Krankheit durch Kontaktbeschränkungen bekämpfen, dann hat man die besten Chancen, wenn man diese Beschränkungen frühzeitig einführt. Wartet man damit, bis die Zahlen bereits deutlich gestiegen sind, so wird man deutlich härtere Maßnahmen brauchen, um sich ähnlich viel Zeit für andere Interventionen wie Impfungen erkaufen zu können.“

Der Modellierer fürchtet eine drastische Vervielfachung der Omikron-Variante angesichts des spät gewählten Zeitpunkts, an dem die Maßnahmen greifen sollen: „Ob die aktuell beschlossenen Kontaktbeschränkungen ausreichen, um einen erneuten deutlichen Anstieg der Ansteckungen zu verhindern, darf bezweifelt werden. Eine Verlangsamung dieses Anstiegs ist aber immerhin zu erwarten, zumal die Kontakte am Arbeitsplatz oder in der Schule über Weihnachten und Neujahr ohnehin deutlich reduziert sind.

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Und jede Verlangsamung des Anstiegs erkauft Zeit, die für die Impfkampagne gebraucht wird. Das Problem liegt eher im Zeitpunkt, an dem die Maßnahmen greifen sollen. Angesichts einer angenommenen Verdopplungszeit von circa drei Tagen reichen sechs Tage bis zum Inkrafttreten der Beschlüsse für eine nochmalige Vervierfachung der Omikron-Infektionen ab jetzt.“

Man dürfe natürlich davon ausgehen, dass eine deutliche Erhöhung der Infektionszahlen auch zu deutlich mehr Hospitalisierungen und Todesfällen führen werde. „Allein, wie sich das im Vergleich zu den aktuellen Zahlen darstellt, hängt sehr stark von vielen noch unsicheren Faktoren ab, zum Beispiel, wie gut die Impfungen gegen schwere Verläufe bei Infektion mit Omikron im Vergleich zu Delta schützen“, mahnt Wissenschaftler Fuhrmann.

Divi-Leiter: Kontaktbeschränkungen vor dem Fest „nicht notwendig“

Der wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters und Mitglied des Expertenrats, Christian Karagiannidis, dagegen hält Kontaktbeschränkungen vor Weihnachten nicht unbedingt für notwendig. Im Interview mit dem RND warnt er vor einem Reboundeffekt im Frühjahr. Wenn bis dahin nicht genügend geboostert wäre, würde das bedeuten, dass die Welle zwar früh gebrochen werde – aber im Frühjahr werde es wieder hohe Fallzahlen geben, die wieder Kontaktbeschränkungen nach sich ziehen würden.

Außerdem plädierte er dafür, die Inzidenz nach Varianten zu trennen, um die Infektionen besser nachvollziehen zu können. „Wenn die Delta-Welle abfällt und sich dafür die deutlich infektiösere Omikron-Variante verbreitet, würde man das in einer gemeinsamen Inzidenz zu Beginn gar nicht sehen“, sagte der Intensivmediziner.

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„Die Gefahr dabei ist, dass Omikron sich viel schneller verbreitet und es deshalb plötzlich sehr hohe Omikron-spezifische Inzidenzen gibt.“ Trotz sinkender Sieben-Tage-Inzidenz sei die Belastung auf den Intensivstationen weiterhin sehr hoch. „Das Personal ist vollkommen fertig und es werden noch mehr den Job aufgeben“, konstatiert Karagiannidis.

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