Morbus Crohn: Eine Zivilisationskrankheit mit rätselhaftem Hintergrund
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Ständige Durchfälle, krampfartige Bauchschmerzen: Morbus Crohn kann den Betroffenen sehr zusetzen.
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Ständige Durchfälle, krampfartige Bauchschmerzen: Morbus Crohn kann den Betroffenen sehr zusetzen. Dabei handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Darmkrankheit, die meist den letzten Abschnitt des Dünndarms oder den Dickdarm betrifft. Sie gilt heute als Autoimmunerkrankung und wurde in den 1930er-Jahren erstmals von dem US-amerikanischen Arzt Burrill Bernard Crohn beschrieben.
In Deutschland leiden Schätzungen zufolge etwa 250.000 Menschen an Morbus Crohn, allerdings fallen die Angaben dazu sehr unterschiedlich aus. Grundsätzlich ist die Krankheit in Ländern mit hohem Lebensstandard häufiger als in armen Regionen. Meistens macht sie sich bei jungen Menschen, etwa im Alter zwischen 15 und 35 Jahren, erstmals bemerkbar.
Wie kommt es zur Darmerkrankung Morbus Crohn?
Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass jemand erkrankt? Was kann man tun, um sich zu schützen? Prof. Jörg Hoffmann, Experte für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, erklärt die Hintergründe der Autoimmunerkrankung, die in wohlhabenden Ländern auf dem Vormarsch ist.
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Prof. Jörg Hoffmann ist Experte für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
© Quelle: Privat
Ist es richtig, dass Morbus Crohn häufiger wird?
Wahrscheinlich schon. Neuere Erhebungen zeigen, dass die Erkrankungszahlen in der westlichen Welt zunehmen, wenn auch langsamer als in den Jahren vor 2000.
Warum?
Das weiß man nicht genau. Beim Entstehen der Krankheit spielen das Immunsystem, die Gene und bestimmte Umweltfaktoren eine Rolle, die wir noch nicht ganz verstehen. In ärmeren Regionen, etwa in Afrika und Teilen Asiens, ist die Krankheit deutlich seltener als in wohlhabenden Ländern. Wahrscheinlich hat das mit sozioökonomischen Gesichtspunkten, vielleicht auch mit übertriebener Hygiene zu tun.
Sind Keime also nützlich? Oder können sie doch gefährlich sein?
Keime sind ein interessantes Thema. Wenn man Mäuse komplett keimfrei aufzieht, bekommen sie keine Entzündung. Andersherum können Keime aber auch protektiv wirken und einer Entzündung entgegenwirken. Das ist sehr kompliziert. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn spielt das Mikrobiom im Darm, also die Zusammensetzung der Darmflora, eine wesentliche Rolle. Wir beginnen erst langsam, das etwas zu verstehen. Auf jeden Fall ist die Diversität, also wie viele verschiedene Bakterienarten es im Darm gibt, bei Morbus-Crohn-Patienten deutlich eingeschränkt.
Könnte man versuchen, Patienten gezielt einer Infektion auszusetzen?
Es gab eine Arbeitsgruppe in Iowa City in den USA, die bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen intensiv über den Schweinepeitschenwurm geforscht hat. Erste Studien sahen sehr erfolgversprechend aus. Man hat das in Bezug auf Morbus Crohn in einer multizentrischen Studie in Europa getestet, aber leider keine Wirkung feststellen können. Dennoch gibt es einige Forscher, die immer noch glauben, dass sich bestimmte Infektionen schützend oder positiv auf den Verlauf einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung auswirken könnten.
Beeinflusst die Ernährung das Krankheitsrisiko?
Die Entstehung der Krankheit hat nichts mit der Ernährung zu tun. Wenn sie als Kind Bauchschmerzen hatten, wurde den meisten Menschen gesagt: Hast du etwas Schlechtes gegessen? Daher denken sie: Wenn ich Durchfall habe, habe ich etwas falsch gemacht. Aber das ist nicht so, und das versuche ich meinen Patienten immer wieder klarzumachen. Es gibt auch keine spezielle Crohndiät. Wenn man eine Engstelle im Darm hat, ist es sicher schlecht, wenn man fasrige Lebensmittel isst, etwa Spargel, Bohnen oder Geflügelfleisch. Dann können nämlich Fasern in der Engstelle hängen bleiben, und es kommt zum Darmverschluss. Aber es gibt keine Ernährung, die die Entzündung anheizt. Oder andersherum: die sie abkühlt.
Nehmen wir an: Jemand hat ein erhöhtes Risiko, weil es in seiner Familie Morbus-Crohn-Fälle gibt. Was kann er tun, um sich vor der Erkrankung schützen?
Er sollte streng darauf achten, dass er nicht raucht. Rauchen ist ein ganz wichtiger Faktor, der beim Auslösen und vor allem beim Unterhalten der Entzündung eine Rolle spielt. Das zeigt sich vor allem bei Patienten, die eine Operation hatten: Diejenigen, die weiter rauchen, bekommen an der Stelle, wo der Darm zusammengenäht ist, viel häufiger eine Entzündung als Ex-Raucher oder Nichtraucher.
Warum?
Wahrscheinlich hat das etwas mit Mikrozirkulation zu tun, also: In dem Bereich, in dem der Darum zusammengenäht wurde, kommt es zu Durchblutungsstörungen mit Entzündungsfolge.
Viele Leute sind davon überzeugt, dass psychische Faktoren die Krankheit stark beeinflussen.
Als ich Student war, hieß es, dass Morbus Crohn eine psychosomatische Erkrankung sei. Man ging also davon aus, dass die Patienten sozusagen krank im Kopf sind. Das ist sicherlich falsch. Aber: Wer 30 Stuhlgänge, davon vielleicht 15 nachts, hat, der ist ganz schön fertig. Das gilt auch, wenn jemand während der Arbeit immer überlegen muss: „Wo ist die nächste Toilette? Hoffentlich mache ich nicht in die Hose!“ Viele Patienten leiden psychisch enorm, und das hat Auswirkungen auf die Psyche.
Können einzelne Schübe durch Stress ausgelöst werden?
Sagen wir: Das kann das Ganze erschweren. Während meiner Zeit an der Charité hatte ich eine Patientin, die, wie wir dachten, schwer an Morbus Crohn litt. Irgendwann war sie weg. Eines Tages habe ich sie auf einem Arzt-Patienten-Seminar wiedergesehen und gefragt, ob sie mit ihrer Behandlung unzufrieden war und wie es ihr ergangen ist. Sie sagte: „Mir ist es super ergangen. Ich habe mich von meinem Partner getrennt.“ Ich will damit nur sagen: Wie schlecht sich jemand fühlt, braucht nicht nur mit der Entzündung am Darm zusammenhängen.
Hauptsymptom von Morbus Crohn ist Durchfall. Als Laie denkt man da aber erst mal an ganz andere Ursachen. Ist es schwer, der Krankheit auf die Spur zu kommen?
Es ist ein Riesenproblem, dass es ganz viele Menschen gibt mit Bauchschmerzen oder etwas, was sie selber für Durchfall halten, was aber unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten gar keiner ist. Man muss Morbus Crohn vom Reizdarmsyndrom trennen. Crohnpatienten haben zum Beispiel auch nachts Durchfall, außerdem sind die Entzündungswerte erhöht.
Viele Leute haben also eigentlich gar keinen Durchfall?
Ja. Rein wissenschaftlich ist Durchfall mehr als 200 Gramm flüssiger oder breiiger Stuhlgang pro Tag. Aber das misst ja niemand. Wenn jemand dreimal pro Tag, aber niemals nachts breiigen Stuhlgang hat, ist das eine Normvariante, kein Durchfall. Möglicherweise handelt es sich dann um ein diarrhoe-dominantes Reizdarmsyndrom.
Glauben Sie, dass Morbus Crohn in einigen Jahren heilbar sein wird?
Nein, aber wir haben in den letzten 20 Jahren enorme Fortschritte, gerade in der Therapie, gemacht. Es gibt nur ganz wenige Patienten, die, wenn sie ordentlich behandelt werden, eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Lebens hinnehmen müssen. Ich glaube aber auch, dass es starke Veränderungen bei der Therapie geben wird. Manche Medikamente, die wir jetzt noch ganz gerne geben, werden in 30, 40 Jahren bedeutungslos sein. Außerdem werden manche moderne Antikörpertherapien, die im Moment noch sehr teuer sind, günstiger und verbreiteter sein. Man wird auch mehr darüber wissen, wie sicher die einzelnen Substanzen sind.
Der Internist Prof. Dr. Jörg Hoffmann (55) ist seit 2007 Chefarzt der Medizinischen Klinik I am St. Marien- und St. Annastiftskrankenhaus in Ludwigshafen. Davor war er geschäftsführender Oberarzt an der Medizinischen Klinik I der Charité in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Unter anderem ist er Koordinator der ärztlichen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Morbus Crohn.