Irrglaube: Warum man die Lunge nicht trainieren kann – und wie man ihr trotzdem Gutes tut
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Die Lunge ist ein „Meisterwerk der Evolution“.
© Quelle: IMAGO/PantherMedia/brijit vijayan
Dr. Barczok, Strom und Wasser weiß man erst zu würdigen, wenn es Probleme gibt. Für die Lunge gilt das ebenfalls. Ist sie das am meisten unterschätzte Organ des menschlichen Körpers?
Zumindest ist sie ein Meisterwerk der Evolution. Die Lunge ist ein riesiger Filter, durch den der Mensch täglich 10.000 bis 15.000 Liter Luft pumpt, um seinen Sauerstoffbedarf zu decken. Aber es stimmt schon: Man nimmt dieses tolle Organ tatsächlich nicht wahr, solange es brav seine Arbeit verrichtet.
Sie empfehlen in Ihrem Buch eine höhere Wertschätzung der Lunge durch bewusstes Atmen. Wie geht das?
Meine Frau ist Atemtherapeutin, deshalb bin ich darauf getrimmt, die Atmung wahrzunehmen. Wenn wir unter Druck oder im Stress sind, atmen wir alle zu schnell und zu oberflächlich. Ich empfehle daher, ab und zu mal eine Pause zu machen und einige Atemzüge lang „richtig“ zu atmen: kurz ein und langsam aus. Damit dehnt man die Lunge und sorgt dafür, dass ordentlich Sauerstoff entsteht.
„Die Lunge altert vor“, warnen Sie in Ihrem Buch. Was heißt das?
Im Alter von zwanzig Jahren ist die Lunge auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, also bei 100 Prozent, im hohen Alter liegt dieser Wert nur noch bei 40 bis 50 Prozent. Wenn man die Lunge schädigt, zum Beispiel als Raucher, dann altert sie vorzeitig, und zwar dramatisch. Deshalb sieht die Lunge eines Fünfzigjährigen, der zwanzig Jahre lang geraucht hat, wie das Organ eines Siebzigjährigen aus: weil der Körper nicht in der Lage ist, zerstörte Lungenbläschen zu reparieren.
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Die Lunge ist nicht trainierbar
Was ist deren Aufgabe?
Sie sind für den Gasaustausch im Körper zuständig, indem sie Sauerstoff ins Blut abgeben und Kohlendioxid aufnehmen. Lungenbläschen bestehen aus einem Häutchen, das nur den Bruchteil eines Millimeters umfasst, hier fließt das Blut entlang. Sie sind sehr empfindlich und können leicht beschädigt werden, etwa durch eine Lungenentzündung, einen Virusinfekt oder durch Schadstoffe in der Luft. Sterben sie ab, werden sie durch Bindegewebe ersetzt. Wenn das sehr oft geschieht, sprechen wir von einer Lungenfibrose; die Lunge verliert dann die Fähigkeit, genug Sauerstoff für den Körper bereitzustellen.
Mediziner empfehlen Sport als ideale Vorbeugung gegen Krankheiten aller Art. Gilt das auch für die Lunge?
Ja, mit einer Einschränkung: Man kann die Lunge nicht trainieren. Sie ist im Grunde nichts weiter als ein Gewebesack, der zu einem Schwamm zusammenfällt, wenn man den Brustkorb öffnet. Dass sie überhaupt funktioniert, verdankt sie einem leichten Unterdruck im Brustkorb, dadurch dehnt sich der Schwamm aus. Man kann aber die Muskeln trainieren, die die Lunge bewegen, vor allem das Zwerchfell, das wie ein Blasebalg arbeitet. Die Muskulatur zwischen den Rippen ist ebenfalls beim Atmen involviert. Sie lässt sich am besten durch Laufen, Schwimmen, Radfahren oder Tanzen stärken.
Würden Sie das auch Menschen empfehlen, die unter Atemnot leiden?
Unbedingt! Sogar dann, wenn man sich regelmäßig Sauerstoff zuführen muss, weil die Lunge bereits erheblich geschädigt ist, wobei ich zum Radfahren ein E‑Bike empfehlen würde.
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Würde man sämtliche Lungenbläschen entfalten und nebeneinander legen, hätten sie die Größe eines Fußballplatzes. Man kann Wochen ohne Nahrung und einige Tage ohne Trinkwasser auskommen, aber nur wenige Minuten ohne Atemluft; dann stellt das Gehirn seine Funktion ein, als hätte jemand den Stecker gezogen. Grund genug, sich intensiv mit diesem Organ zu beschäftigen. Der Arzt Michael Barczok erläutert in seinem Buch „Atem Los“ (Mediathoughts-Verlag, 284 Seiten, 19 Euro) auch für Laien sehr gut verständlich, wie die Lunge funktioniert und welche Probleme auftreten können.
© Quelle: media thoughts verlag
Dass Übergewicht nicht hilfreich ist, liegt auf der Hand, aber warum ist auch Untergewicht problematisch?
Bei Übergewicht wird die Lunge zusammengedrückt, der Blasebalg kann nicht mehr richtig arbeiten. Bei Untergewicht bringt der Körper nicht genug Leistung; Atmen verbraucht viel Kraft und Energie.
Folgen des Passivrauchens und Dampfens massiv unterschätzt
„Rauchen kann tödlich sein“, steht auf jeder Zigarettenpackung. Was genau ereignet sich beim Rauchen in der Lunge?
Die Bronchien sind mit feinen Härchen ausgekleidet, die Schleim und damit allen möglichen Dreck wie ein Fließband aus der Lunge von unten nach oben befördern. Wenn man Rauch inhaliert, bleibt dieses Förderband schlagartig stehen, und zwar acht Stunden lang. Der ganze Unrat aus der Zigarette, aber auch die Luftschadstoffe bleiben in der Lunge, greifen die Lungenbläschen an und machen die Bronchien kaputt. Die Selbstreinigungsmöglichkeiten der Lunge werden also massiv behindert.
Was ist mit Passivrauchen?
Der Effekt ist ganz ähnlich. Die Folgen des Passivrauchens werden in Deutschland immer noch erheblich unterschätzt. In Skandinavien gilt es als Berufskrankheit, wenn man zum Beispiel als Nichtraucher unter der Lungenkrankheit COPD leidet, weil man in einem Büro arbeiten musste, in dem geraucht wurde. Deshalb rege ich mich immer auf, wenn ich Leute im Auto rauchen sehe, obwohl Kinder mitfahren. Für mich ist das Körperverletzung.
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Dr. Michael Barczok (Jahrgang 1954), gebürtiger Regensburger, ist Lungenspezialist, Allergologe und Mitbegründer des Lungenzentrums Ulm.
© Quelle: FinePic/Helmut Henkensiefken
Sind E‑Zigaretten weniger schädlich?
Das muss man differenziert betrachten. Wenn jemand sein ganzes Leben lang geraucht hat und nicht aufhören kann, obwohl er COPD hat, ist die E‑Zigarette ein akzeptabler Kompromiss. Man nimmt zwar nach wie vor Nikotin auf, aber nicht mehr diese Schadstoffe, die durch das Verbrennen der Blätter entstehen. Bei jungen Menschen sehe ich das ungleich problematischer, weil die E‑Zigarette zur Einstiegsdroge werden kann, deshalb sollte das sogenannte Dampfen nicht verharmlost werden.
Schlafmaske kann zum Beziehungsfrieden beitragen
Viele Paare schlafen getrennt, weil der Partner oder die Partnerin nachts geräuschvoll die Luft anhält. Warum macht man das überhaupt?
Während wir uns im Tiefschlaf in ferne Welten träumen und Abenteuer erleben, schaltet der Körper die Muskulatur ab, damit wir nicht um uns schlagen. Dabei kann es passieren, dass die Zunge ihren Halt verliert, nach hinten in den Schlund kippt und sich dort festsaugt. So kommt es zur Apnoe, zum Atemstillstand, der bis zu zwei Minuten dauern kann. Irgendwann schlägt der Körper Alarm und schüttet Adrenalin aus, die Zunge zuckt zurück, und wir kriegen wieder Luft. Dadurch wird der Tiefschlaf aber Nacht für Nacht gestört. Die Betroffenen wachen morgens auf und haben das Gefühl, lange geschlafen zu haben, fühlen sich aber trotzdem wie gerädert. Die ständige Adrenalinausschüttung kann außerdem zu Bluthochdruck führen.
Wie finden Singles raus, ob sie unter Schlafapnoe leiden?
Mittels Polygraphie. Man besorgt sich beim Lungenarzt oder in der HNO-Praxis ein kleines Gerät, das über Nacht die Atmung, die Versorgung mit Sauerstoff und die Atempausen aufzeichnet. Ist man betroffen, lässt sich mithilfe einer Schlafmaske leicht Abhilfe schaffen.
Wie funktioniert das?
Die Maske ist über einen Schlauch mit einem kleinen Steuergerät verbunden, das einen leichten Luftstrom erzeugt. Auf diese Weise baut sich im Rachen ein leichter Überdruck auf, der übrigens nicht nur den Atemstillstand, sondern auch das Schnarchen verhindert. Nach ein paar Nächten der Gewöhnung steigt die Schlafqualität enorm, die Paare können wieder ungestört in einem Bett schlafen, was mich immer besonders freut: Welcher Arzt kann schon von sich behaupten, dass er zum Beziehungsfrieden beigetragen hat?