Intensivstation am Limit: „Wir haben jetzt eine andere Situation als im Frühjahr“
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Auf Deutschlands Intensivstationen rollt in der Pandemie eine Covid-19-Welle zu, die das Frühjahr weitaus übertreffen könnte.
© Quelle: Marcel Kusch/dpa
Als sich im Frühjahr plötzlich die Intensivstationen mit Covid-19-Patienten füllten, reagierten die Krankenhäusern mit dem Verschieben von Operationen und Behandlungen bei anderen Erkrankungen. Nur so gab es ausreichend Kapazitäten: also Beatmungsgeräte, Intensivbetten – und vor allem intensivmedizinische Fachkräfte und Pflegepersonal. Auch jetzt sehen die Exitpläne vieler Kliniken ein Verschieben nicht akut notwendiger Eingriffe bei der Überlastung durch Covid-19-Patienten vor.
Das Vorgehen eigne sich aber nur bedingt in der zweiten Infektionswelle. „Wir haben jetzt eine andere Situation als im Frühjahr“, sagte Dr. Matthias Kochanek, Leiter einer internistischen Intensivstation am Universitätsklinikum Köln. „Wintersaison bedeutet immer auch, dass grundsätzlich viel mehr Patienten in Intensivstationen behandelt werden“, erklärte er auf einer Veranstaltung des Science Media Centers (SMC).
Für Corona-Patienten andere Operationen im Krankenhaus verschieben?
Wir werden in dieser Situation zunehmend dazu gezwungen, dass wir andere wichtige Eingriffe verschieben müssen.
Prof. Uta Merle, Universitätsklinikum Heidelberg
Aktuell seien auf seiner Intensivstation acht Covid-Patienten, von denen vier beatmet werden. „Eine noch überschaubare Summe“, sagt der Mediziner. Aber die Entwicklungen bei den täglich stark steigenden Infektionszahlen ließen erahnen, was in den kommenden Wochen auf die Intensivmediziner und Pflegekräfte zukomme. Sie seien zwar weiterhin hoch motiviert und in Bereitschaft. Aber: „Das Personal ist ausgelaugt", berichtet Kochanek. Und Covid-19 erfordere eine intensive und spezialisierte Eins-zu-Eins-Betreuung. Eine Pflegekraft könne sich nicht wie bei anderen Erkrankungen um mehrere Patienten gleichzeitig kümmern.
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Bei personellen Engpässen auf den Covid-Stationen Operationen aus anderen Klinikbereichen erneut nach hinten verschieben, sei keine gute Option. Der Winter ist lang, niemand weiß, wie sich die Lage in den kommenden Wochen und Monaten weiterentwickelt. „Aber in vielen Bereichen, zum Beispiel bei Herzklappen-OPs und neurologischen Komplikationen, kann eine Behandlung nicht einfach auf unbestimmte Zeit bis ins Frühjahr verlegt werden“, erklärt Kochanek.
Das Problem sieht auch Professorin Uta Merle. Am Universitätsklinikum Heidelberg ist sie die kommissarische ärztliche Direktorin der Klinik für Gastroenterologie, Infektionen und Vergiftungen: „Wir werden in dieser Situation zunehmend dazu gezwungen, dass wir andere wichtige Eingriffe verschieben müssen.“ Ziel solle aber eigentlich sein, dass auch andere wichtige Behandlungen im Krankenhaus weiterhin stattfinden. Herz- und Krebspatienten könnten nicht auf April vertröstet werden.
Problem mit dem System: Krankenhaus muss Gewinn erwirtschaften
Zumal nur 30 Prozent der Tätigkeiten auf einer Covid-Station von Personal aus anderen Klinikbereichen ohne intensive Ausbildung übernommen werden könnten, sagen die Mediziner. Es sei jetzt geboten, auch nach Verabschieden der politischen Maßnahmen zu überlegen, wie die Kliniken auf lange Sicht mehr qualifiziertes Personal für die Intensivstationen bekommen. „Unter dem Personalmangel leiden nicht nur Corona-Patienten, sondern auch andere", betont Merle.
Die Krankenhausexperten sind sich einig darin, dass vor allem der Beruf attraktiver gemacht werden müsse. „Was eine Intensivpflegekraft für das Geld leistet, ist nicht angemessen“, sagt Kochanek. „Wir sollten uns davon verabschieden, dass wir im Krankenhausbereich Gewinn erwirtschaften wollen.“ Es brauche einen Mentalitätswandel und mehr Wertschätzung, betont auch Merle.