Impfstoff-Nebenwirkungen: Wie die Sicherheitsberichte der EMA zu verstehen sind
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Eine Person bekommt eine Impfung mit einem Corona-Impfstoff verabreicht.
© Quelle: imago images/photothek
In den sozialen Medien kursiert derzeit ein Plenarsitzungsdokument des Europäischen Parlaments. Darin ist die Rede von europaweit rund einer Million Fälle von Nebenwirkungen nach der Impfung mit Covid-19-Impfstoffen – also von Biontech, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson. Aber stimmt das? Woher kommen diese Zahlen – und welche Aussagekraft haben sie?
Eines gleich vorweg: Die in dem Bericht angeführten Fälle von Nebenwirkungen sind kein Beleg dafür, dass etwas mit den zugelassenen Impfstoffen nicht stimmt. Die mRNA-Vakzine von Biontech und Moderna sind wirksam, verträglich und sicher. Das betont die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Zulassungsbehörden und Prüfgremien weltweit – darunter auch die Europäische Arzneimittelagentur, das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich Institut (PEI) und auch die Ständige Impfkommission (Stiko).
Woher kommt das Dokument?
Bei dem Plenarsitzungsdokument handelt es sich um einen Entwurf für einen sogenannten Entschließungsantrag im Europaparlament. So einen Antrag kann grundsätzlich jeder und jede Abgeordnete aufsetzen – und auch einreichen. In diesem Fall hat ihn die französische Parlamentarierin Virginie Joron verfasst, mit dem Ziel, einen „europäischen Fonds zur Entschädigung der Opfer der Covid-19-Impfstoffe“ einzurichten, wie es darin heißt. Joron ist Teil der Fraktion „Identität und Demokratie“, einem Zusammenschluss rechtspopulistischer, nationalistischer und rechtsextremer Parteien. Aus Deutschland ist darin auf europäischer Ebene auch die AfD vertreten.
Die Europäische Arzneimittelagentur führe rund eine Million Fälle von Nebenwirkungen auf, heißt es also in dem Schreiben. Diese Nebenwirkungen fielen mitunter schwerwiegend aus, beispielsweise hätten rund 75.000 Menschen nach Verabreichung des Pfizer-Impfstoffes schwerwiegende neurologische Nebenwirkungen erlitten, für rund 5000 Menschen in der EU habe die Impfung tödliche Folgen gehabt. Als Quelle werden die monatlich veröffentlichten Sicherheitsupdates der EMA von Beginn der Impfkampagne bis zum 29. Juli dieses Jahres genannt.
Bestätigte Nebenwirkung oder Verdachtsfall?
In den EMA-Berichten ist bis zu diesem Zeitpunkt nachzulesen, dass 244.807 Fälle bei Biontech in der EU gemeldet wurden, von insgesamt 330 Millionen verabreichten Dosen. Bei Astrazeneca sind es 170.316 Fälle, auf 66 Millionen verabreichte Dosen. Bei Moderna waren es 48.788, auf 43,5 Millionen Impfungen. Und bei Johnson & Johnson, berücksichtigt bis Anfang September, 20.206 Fälle auf 13,8 Millionen Dosen. Inzwischen wurden noch einmal weit mehr Menschen geimpft – weshalb auch die Zahl der gemeldeten Fälle an die Behörden inzwischen höher ausfällt.
Das klingt erst einmal nach vielen Fällen mit ernst zu nehmenden Nebenwirkungen. Allerdings handelt sich dabei nicht um bestätigte Fälle, sondern lediglich um Verdachtsfälle. Das macht einen großen Unterschied: Im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung wurden in all den Fällen zwar gesundheitliche Probleme, teils ernst zu nehmend bis hin zum Tod, bei den Geimpften beobachtet und an die Behörden gemeldet. Diese stehen aber nicht notwendigerweise mit der Impfung in Zusammenhang oder wurden durch diese verursacht.
Heißt also: Die Tatsache, dass jemand ein medizinisches Problem hatte oder im zeitlichen Zusammengang mit der Impfung gestorben ist, und dass die Behörden dies in ihren Berichten aufführen, bedeutet nicht unbedingt, dass dies durch den Impfstoff verursacht wurde. Die ursprünglich vermutete Nebenwirkung kann auch auf andere gesundheitliche Probleme zurückgeführt werden. All diese Fälle sowie alle Daten dazu prüfen deshalb die Gesundheitsbehörden. Sie bewerten, ob es sich um kausal mit der Impfung assoziierte vermutete Nebenwirkungen handelt – oder eben nicht. Das machen sie seit Beginn der Impfkampagne und kontinuierlich.
Behörden prüfen alle Sicherheitssignale
Nur die detaillierte Auswertung und die wissenschaftliche Überprüfung aller verfügbaren Daten erlaube es, belastbare Schlussfolgerungen über Nutzen und Risiken eines Arzneimittels zu ziehen, betont die EMA in ihren Sicherheitsberichten. Diese Überwachung erkenne ungewöhnliche oder unerwartete Muster in den eingegangenen Berichten für weitere Untersuchung und Risikobewertung.
Hinter den Zahlen steckt also vielmehr eine beruhigende Nachricht: Die EMA prüft alle Fälle und Hinweise auf mögliche noch nicht entdeckte Nebenwirkungen europaweit, das PEI deutschlandweit, um belastbare Schlussfolgerungen über Nutzen und Risiken der Impfung ziehen zu können. Das machen sie mit ihren Berichten auch transparent.
EMA: Ernsthafte Nebenwirkungen sind äußerst selten
Inzwischen sind mehr als 575 Millionen Impfdosen in der EU verabreicht worden. Das Urteil der EMA fällt weiterhin eindeutig aus: „Die überwiegende Mehrheit der bekannten Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen ist mild und von kurzer Dauer“, heißt es auf der Homepage des Gremiums. Kurzfristige Impfreaktionen sind beispielsweise Schmerzen an der Einstichstelle, Muskelschmerzen oder Fieber. Über solche Symptome berichten Geimpfte sehr häufig. Sie klingen aber in der Regel nach kurzer Zeit wieder ab.
Schwerere Nebenwirkungen können auch vorkommen. Aber: „Ernsthafte Sicherheitsprobleme sind äußerst selten“, sagt die EMA. Von Impfkomplikationen oder schwereren Nebenwirkungen ist die Rede, wenn der Gesundheitszustand der geimpften Person deutlich belastet wird. Selten heißt: Einige wenige Fälle kommen auf rund 100.000 Geimpfte.
Dazu zählen bei den mRNA-Impfstoffen beispielsweise Gesichtslähmungen, die sich in allen beobachteten Fällen nach einigen Wochen zurückbildeten. Allergische Reaktionen traten auf, die direkt ärztlich behandelt wurden. Zudem wurden Fälle von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) beobachtet, ebenfalls behandelbar, innerhalb von 14 Tagen nach der Impfung, häufiger nach der zweiten Impfung und häufiger bei jüngeren Männern. Nebenwirkungen, die unerwartet und erst mehrere Jahre nach der Impfung auftreten, sind dem RKI zufolge bei noch keiner Impfung beobachtet worden und sind auch bei den Covid-19-Impfstoffen nicht zu erwarten.