Impfkampagne im Eiltempo: Israels Erfolgsgeschichte im Kampf gegen die Pandemie

Innerhalb von zwei Wochen nach dem Beginn einer Impfkampagne hat Israel schon eine Million seiner Bürger gegen das Coronavirus geimpft, nun sind sogar junge Erwachsene und Jugendliche an der Reihe.

Innerhalb von zwei Wochen nach dem Beginn einer Impfkampagne hat Israel schon eine Million seiner Bürger gegen das Coronavirus geimpft, nun sind sogar junge Erwachsene und Jugendliche an der Reihe.

„Wer hätte gedacht, dass in Israel zu leben sich mal als Sicherheitsvorteil herausstellt?“, sagt Sarah Stricker mit einem Lächeln. „Sonst fragen mich Israelis oft, warum ich freiwillig hier wohne, wo ich es mir doch auch im sicheren Deutschland gut gehen lassen könnte. Ist ganz schön, dass es ausnahmsweise mal umgekehrt ist.“

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Die bei Speyer aufgewachsene Schriftstellerin zog vor elf Jahren von Berlin nach Israel. Bekannt wurde sie mit ihrem Roman „Fünf Kopeken“ und einer Reihe Kurzgeschichten, in denen es häufig um Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Deutschen und Israelis geht. Sie ist gerade mit ihrem Freund auf dem Weg zu einem besonderen Termin. Um 17:36 Uhr sollen die beiden ihre erste Covid-19-Impfung erhalten, nur fünf Minuten zu Fuß von ihrer Wohnung im Zentrum von Tel Aviv entfernt.

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In Israel werden bereits die jungen Menschen geimpft, während weltweit zahlreiche Ältere auf die erste Dosis warten

„Ein bisschen aufgeregt bin ich schon“, sagt die 40-Jährige, „aber vor allem glücklich. Gleichzeitig mischt sich auch ein wenig schlechtes Gewissen rein, dass ich eine Dosis bekomme, während meine Eltern und viele hochbetagte Menschen in Deutschland vorerst leer ausgehen.“

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Das Paar geht eine Parallelstraße zum Rothschild-Boulevard entlang, zwischen Fassaden aus den Zwanzigern, den Kindheitsjahren von Israels Lebestadt, Wirtschafts- und Kulturmetropole. Dafür, dass Israel gerade den dritten strikten Lockdown bis Ende des Monats verlängert hat, ist die Stadt recht belebt: Mütter bringen ihre Kinder zum Spielplatz; Bauarbeiter rauchen vor einem eingerüsteten Haus; ein Jogger ohne Mundschutz schert sich wenig um entgegenkommende Passanten; in einer Synagoge haben sich ein paar Ultraorthodoxe schon zum Abendgebet versammelt.

Die Bevölkerung ist coronamüde – und protestiert teilweise heftig gegen die Maßnahmen

Eigentlich dürfen Israelis ihr Zuhause im Moment nur für Notfälle, dringende Arbeit oder Lebensmitteleinkäufe verlassen – und sich auch dafür höchstens in einem Umkreis von einem Kilometer bewegen. Es gibt jedoch eine Reihe von Ausnahmen, und die wenigsten Menschen scheinen die staatlichen Anordnungen sonderlich ernst zu nehmen.

„Wie überall auf der Welt sind auch die Tel Aviver ziemlich coronamüde. Außerdem ärgern sich viele, dass in ultraorthodoxen Vierteln die Pandemie oft ignoriert wird“, sagt Sarah Stricker. Unter strengreligiösen Juden genauso wie unter arabischen Israelis waren die Fallzahlen bisher deutlich höher als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Während die Ultraorthodoxen zum Teil gewalttätig gegen die Lockdownmaßnahmen protestierten, werfen viele säkulare Juden der Regierung vor, die Einhaltung von Corona-Restriktionen nur halbherzig zu überwachen. Die dramatischen Fallzahlen der letzten Wochen sind die Quittung dafür.

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Israel hat die weltweit höchste Impfrate

Nachdem Israel im Frühjahr recht glimpflich durch die Pandemie gekommen war, traf die zweite Welle im September und vor allem die dritte im Dezember das Land mit voller Wucht. Israel verzeichnet bisher rund 640.000 bestätigte Covid-19-Fälle, eine der höchsten Zahlen pro Einwohner im weltweiten Vergleich. Vor allem in den letzten Wochen gerieten die Krankenhäuser und Aufnahmestationen an ihre Grenzen. 4738 Menschen waren bis Sonntag an den Folgen der Viruserkrankung bereits gestorben.

Gleichzeitig machte Israel zuletzt Schlagzeilen als das Land mit der höchsten Impfrate pro Kopf weltweit. Fast drei Millionen haben inzwischen ihre erste Impfdosis erhalten, mehr als 1,6 Millionen die zweite. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist bereits erstgeimpft. Nachdem sich am 19. Dezember Premierminister Benjamin Netanjahu medienwirksam als erster Israeli hatte impfen lassen, erfasste eine regelrechte Impfeuphorie das Land.

Binnen eines Monats waren bereits die meisten Einwohner über 50 Jahre geimpft. Inzwischen impft Israel auch 35-Jährige und 16 bis 18-Jährige, die sich auf ihre Abschlussprüfungen vorbereiten.

Als am 19. Januar die Gruppe der über 40-Jährigen zur Impfung zugelassen wird, will auch Sarah Stricker schnell dazugehören. Wie viele Israelis und Ausländer mit Aufenthaltsstatus lässt sie sich über eine App ihrer Krankenkasse durch wenige Klicks einen Termin geben. Zunächst wird ihr ein Tag im Februar angeboten.

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Israel hat ein hoch digitalisiertes und unbürokratisches Gesundheitssystem

„Wir sind dann wie viele andere doch schon einen Abend danach zum nächsten Impfzentrum gegangen, um vielleicht schon vorab eine der Dosen zu bekommen, die am Ende des Tages übrig bleiben und sonst weggeworfen werden müssen“, erzählt sie. Dort angekommen, hätten sich bereits Dutzende jüngere Tel Aviver versammelt. „Dann wurde durchgefragt: Gibt es jemanden über 49? 48? 47? Schon merkwürdig, wie man sich umdrehte und ausnahmsweise jeden mit ein paar grauen Strähnen beneidete. Verkehrte Welt – Ältersein war von einem Moment auf den anderen ein Vorteil.“ Über spontan initiierte Impfseiten auf Facebook- und Whats­app-Gruppen kamen auch bereits viele Jüngere an überschüssige Dosen.

An diesem Abend durfte sich jedoch nur noch ein 43-Jähriger über seine erste Impfung freuen. Stricker und ihr Freund mussten zurück nach Hause. Am Tag darauf erhielt sie jedoch bereits eine Nachricht auf ihr Handy: Am 24. Januar seien noch Termine verfügbar.

Es ist Teil des Erfolgsrezept: Das durchdigitalisierte und unbürokratische Gesundheitssystem ist reaktionsschnell. Und sicher lässt sich die Impfaktion in einem Land in der Größenordnung von Hessen auch einfacher orchestrieren als etwa in Deutschland.

Daten wurden gegen Impfstoffdosen getauscht

Die große Frage aber ist: Wie hat Israel es geschafft, so schnell an den weltweit begehrten Impfstoff für seine rund neun Millionen Einwohner zu kommen?

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Entscheidend war eine ganze Reihe von frühzeitigen Gesprächen zwischen Netanjahu und dem Gesundheitsminister Juli-Joel Edelstein mit Pfizer-CEO Albert Bourla. Die israelischen Politiker erreichten eine Abmachung für die Durchführung einer im Eiltempo vorangetriebenen Impfaktion, Daten über die Auswirkungen der Pandemie an Pfizer weiterzureichen – ein riesiger Vorteil für die Forschungsabteilungen des Pharmakonzerns. Welche Summe für den Biontech-Pfizer-Impstoff floss, ist nicht bekannt, nach Medienberichten waren es aber deutlich mehr als etwa in Europa und den USA.

Netanjahus Kritiker bemängeln den Impfstoff-für-Daten-Deal. Liberale Israelis, Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen haben sich zudem darüber empört, dass die palästinensischen Gebiete weitgehend leer ausgehen, obwohl Israel im März voraussichtlich mehr Impfstoff zur Verfügung stehen wird, als pro Einwohner nötig wäre. Die Regierung argumentierte, für das Gesundheitswesen der Palästinenser sei die Autonomiebehörde zuständig und versorgte lediglich Siedler im Westjordanland, die in die israelische Krankenkasse einzahlen.

Die Impfpolitik könnte den Wahlkampf im Frühjahr ordentlich einheizen

Am Sonntag aber gab das Büro von Verteidigungsminister Benny Gantz bekannt: Die Regierung leitet Impfstoff an die Palästinenser weiter. Mit 5000 Dosen solle zunächst medizinisches Personal geimpft werden.

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Für Netanjahu könnte sich der Deal mit Pfizer doppelt auszahlen. Der Premierminister hat ein Korruptionsverfahren am Hals und enorm an Rückhalt verloren. In den letzten Monaten gab es landesweit Proteste gegen den Regierungschef. Dank seiner Impfpolitik aber könnte Netanjahu aus den im März anstehenden Neuwahlen, den vierten innerhalb von zwei Jahren, wieder als Sieger hervorgehen – allen politischen Skandalen und einer ansonsten katastrophalen Corona-Bilanz zum Trotz.

Erste Auswertungen über die Wirksamkeit der Impfungen dürften seinem Wahlkampf Rückenwind geben. Nach Daten der Krankenkasse Maccabi wirken die Impfungen sogar schneller als zunächst angenommen. Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Covid-19-Verlaufs sinkt demnach bereits 18 Tage nach der ersten Impfung deutlich. Schon zwei Tage nach der zweiten fällt bei über 60-Jährigen, deren Daten ausgewertet wurden, das Risiko stationär behandelt werden zu müssen um 60 Prozent. Dem Gesundheitsminister zufolge infizierten sich nur 0,01 Prozent aller, die zwei Dosen erhalten hatten – bisher erkrankte keiner davon schwer.

Terminvergabe per App

Als Sarah Stricker und ihr Freund am Impfzentrum ankommen, stehen schon ein paar Wartende davor. Lange Schlangen wie zu Beginn der Impfungen gehören in Israel vielerorts bereits der Vergangenheit an. Für die Schriftstellerin geht nun alles ganz schnell. Sie zieht ihre Gesundheitskarte durch ein Lesegerät und wird keine zehn Sekunden später aufgerufen. Ein Stockwerk höher empfängt sie ein arabischer Pfleger, stellt drei Gesundheitsfragen und bittet sie, ihren Ärmel hochzukrempeln. Ein Piks. Ein gemeinsames Foto. Und schon steht sie wieder auf der Straße.

„Die Israelis sind sehr gut darin, sich in Ausnahmesituationen nicht lange mit Planen aufzuhalten, sondern einfach zu machen“, sagt Stricker. „Wenn ich höre, dass in Deutschland die Einladungen zur Impfung per Post verschickt werden, kann ich nur den Kopf schütteln.“

Den Termin für ihre zweite Impfung hat sie bei Bestätigung des ersten automatisch über die App erhalten. Er fällt auf den 14. Februar, den Valentinstag. „Schön, oder?“, sagt sie, „ausgerechnet am Tag der Liebe komme ich dem Ziel etwas näher, meine Lieben hoffentlich schon bald wieder umarmen zu können.“

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