„Ich würde gar keinen finanziellen Anreiz setzen“: Psychologe fordert ungewöhnliche Strafe für Impfverweigerer
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Lässt sich mit Impfanreizen die Zahl der Corona-Impfungen wirklich erhöhen?
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Hannover. Eier, Freibier, Gutscheine und Lottogewinne in Millionenhöhe: Die Vielzahl der Impfanreize weltweit scheint kein Ende zu nehmen. Nur in Deutschland gibt es bisher noch keine Anreize für eine Impfung gegen das Coronavirus. Brauchen wir Impfanreize für die Herdenimmunität, oder schaffen wir es auch ohne? Und können Anreize wirklich Menschen umstimmen? Wir haben bei Florian Kaiser nachgefragt, er ist Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen großskalige Einstellungsänderungen und Verhaltenssteuerung, Anreize wie bei der Corona-Impfung zählen zu seinen Spezialgebieten. Im RND-Interview macht er einen ungewöhlichen Vorschlag: Statt Impfanreizen soll es eine Strafe für Impfgegner geben, die an Covid-19 erkranken.
Was Impfanreize wirklich bewirken können
Professor Kaiser, können Impfanreize wirklich das Verhalten ändern, oder nehmen diese Anreize nur Menschen in Anspruch, die sich ohnehin impfen lassen wollten?
Ein Anreiz macht aus einem Impfgegner keinen Impfbefürworter. Eine solche Grundhaltung sitzt so tief, dass ein Impfanreiz diese Einstellung nicht verändern kann. Wenn aber jemand nur sagt: „Impfen finde ich blöd“, den kann ein Anreiz schon dazu bringen, sich impfen zu lassen. Impfanreize können also Lippenbekenntnisse durchaus verändern, tiefsitzende Einstellungen aber nicht.
Gibt es Menschen, die eher für solche Anreize offen sind und sich umstimmen lassen?
Natürlich gibt es einzelne Personen, die wild auf Anreize und Sparmöglichkeiten sind. Aber wir wissen aus der Forschung, dass Anreize eigentlich für alle nahezu gleich wirksam sind, unabhängig davon, ob man beispielsweise arm oder reich ist. Doch ob ein Anreiz überhaupt wirksam ist, hängt von der Höhe des Anreizes und dem ab, was man dafür tun muss. Eine Impfung mit ihren möglichen Impfreaktionen ist nicht angenehm, sodass der Anreiz dies kompensieren und entsprechend hoch sein muss. Bei Autokaufprämien in Höhe von mehreren Tausend Euro dürften Sie zum Beispiel besonders viele Menschen erreichen. Besonders dann, wenn man sich einen Autokauf ohnehin gerade überlegt.
Strafe statt Anreizen: Wie sich selbst Impfgegner überzeugen lassen könnten
In einigen Ländern gibt es Millionenlotterien, Gutscheine oder auch Bargeld. Ist das der richtige Ansatz?
Um ganz ehrlich zu sein, ich würde gar keinen finanziellen Anreiz setzen. Viel besser ist im Fall der Impfverweigerung eine Steuerung über das Risiko: Wer sich nicht gegen Corona impfen lassen möchte, muss auch die Corona-Behandlung selbst bezahlen, sollte er oder sie erkranken. Das halte ich für das beste Mittel, um auch Impfgegnern einen Anreiz zu setzen, sich impfen zu lassen. Außerdem ist das auch im Sinne des Krankenkassensystems: Mit der Impfverweigerung verletzen Personen das Solidarprinzip der Krankenversicherung, und deshalb sollten sie auch nicht auf die Solidarleistung zurückgreifen dürfen, sollten sie selbst verschuldet später an Covid-19 erkranken.
Das klingt ja eher nach einer Strafe statt eines Anreizes. Man könnte auch noch weiter gehen und Reiseverbote für Impfgegner fordern. Sind Strafen die besseren Anreize?
Strafen sind zwar wirksam, bringen aber viele Probleme mit sich. Strafen führen dazu, dass Menschen Strategien zur Strafvermeidung entwickeln. Bei meinem Vorschlag koppele ich die Strafe an das eigene Erkrankungsrisiko. Durch einen Corona-Test ist eine Erkrankung leicht und mit hoher Zuverlässigkeit nachweisbar, an der man durch eigenes Verschulden, nämlich der Impfverweigerung, erkrankt ist.
Bei anderen Strafformen käme es dagegen zu hohen Folgekosten für den Staat: Man bräuchte Überwachungsinstanzen und Bestrafungsmechanismen, um zu verhindern, dass Ungeimpfte bestimmte Dinge tun, zum Beispiel reisen. Ein solches Überwachungs- und Bestrafungssystem würde Ressentiments gegen diejenigen hervorbringen, die das System erschaffen, die Politik. Aufgrund seiner Nachteile warne ich deshalb vor dem Einsatz von Überwachungs- und Strafsystemen.
„Geld funktioniert eigentlich immer“
Von den vielen Impfanreizen auf der Welt, die es inzwischen gibt, welche halten Sie für besonders wirksam?
Geld funktioniert eigentlich immer, und wenn ein Staat kontrollierbar Geld als Impfanreiz ausgeben möchte, sind Lotterien mit einem hohen Jackpot eine gute Möglichkeit. Wir sehen, dass dies beim Lottospielen Woche für Woche gut funktioniert. Wenn der Jackpot mal auf 50 oder 60 Millionen Euro steigt, spielen plötzlich auch Menschen Lotto, die sonst nicht mitspielen. Ähnliche Effekte sind auch beim Impfen zu erwarten.
Reicht das Schutzargument einer Impfung denn nicht aus, sodass es Impfanreize braucht?
Offensichtlich nicht, die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich: Manche Menschen sind davon überzeugt, dass es diese Pandemie nicht gibt, oder haben ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Politik. Ein wichtiges Argument ist außerdem das Trittbrettfahren: Wenn es bei einer Impfquote von 85 Prozent Herdenimmunität gibt, sind sie auch als Nichtgeimpfte und Nichtgeimpfter mitgeschützt. Zu diesen 15 Prozent möchten wir idealerweise gehören, weil wir dann weder Impfreaktion noch Corona in Kauf nehmen müssen – was gibt es Besseres? Das ist der Hauptgewinn. Es besteht also ein offensichtliches Allgemeingut-Dilemma: Rein rational möchte jeder beziehungsweise jede zu den 15 Prozent Gewinnern gehören. Durch das egoistische Impfvermeiden beziehungsweise Herauszögern komme ich dem Hauptgewinn zwar näher, verlasse aber auch wieder das Solidarprinzip.
Ticken wir Menschen denn wirklich so, dass wir auf die 15 Prozent spekulieren und uns nicht impfen lassen?
Dass wir mit dem Impfen noch warten, weil wir bewusst solche Überlegungen anstellen, bezweifle ich. Aber je näher wir der Chance auf den Hauptgewinn, weder impfen noch krank, kommen, desto mehr zögern wir die Impfung noch etwas weiter hinaus und denken uns dafür die verschiedensten Begründungen aus.
Brauchen wir also zwingend Anreize oder Strafen, um zur Herdenimmunität zu gelangen?
Je näher wir an die Schwelle zur Herdenimmunität von 85 Prozent kommen, umso schwieriger wird es, Menschen zum Impfen zu bewegen. Stellen Sie sich vor, es fehlt nur noch eine einzige Person bis zur Herdenimmunität. In Deutschland wären also nur noch gut 15 Prozent der Bevölkerung ungeimpft. Wer von diesen zwölf Millionen und einer Person wird sich opfern und riskiert die Impfreaktion, während die verbliebenen zwölf Millionen den Hauptgewinn einfahren? Dieser hypothetischen einen Person werden wir vermutlich ziemlich viel Geld bezahlen müssen. Entsprechend werden wir zunehmend höhere Impfanreize setzen müssen, je näher wir der Herdenimmunität kommen.