Hypnosearzt im Interview: „Selbst massive Schmerzen lassen sich in Trance ausschalten“

Tobias Schmidt, Teilnehmer einer Notfall-Hypnoseausbildung in Bremen, setzt das gelernte an Anette Rehor, psychosoziale Beraterin und ebenfalls Teilnehmerin, um und hypnotisiert sie im Kurs, während Teilnehmerin Stefanie Borchardt (rechts) zuschaut.

Tobias Schmidt, Teilnehmer einer Notfall-Hypnoseausbildung in Bremen, setzt das gelernte an Anette Rehor, psychosoziale Beraterin und ebenfalls Teilnehmerin, um und hypnotisiert sie im Kurs, während Teilnehmerin Stefanie Borchardt (rechts) zuschaut.

Viele Menschen verbinden Hypnose mit Hokuspokus. Dabei handelt es sich um ein anerkanntes Verfahren, das unter anderem rasch Schmerzen lindern kann und wenig Nebenwirkungen hat. Die Patienten werden dazu in einen entspannten Zustand versetzt, in dem sich ihre Schmerzverarbeitung verändert. Dr. Klaus Hönig (50) ist Psychologischer Psychotherapeut, Hypnotherapeut und Psychoonkologe. Er leitet unter anderem die Konsiliar- und Liaisonpsychosomatik am Universitätsklinikum Ulm. Seit 2013 ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hypnose. Im Gespräch mit dem RND erläutert Hönig, wie viel sich mit Hypnose erreichen lässt.

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Kann Hypnose Schmerzmittel ersetzen?

Hönig: Auf jeden Fall. Die Hypnotherapie bietet ein breites Interventionsspektrum für akute und chronische Schmerzen. Ein akuter Schmerz kann tatsächlich unter Hypnose komplett beseitigt werden. Sie können sogar mittelfristige Schmerzen, die immer wieder auftreten, loswerden. Chronische Schmerzen werden sie nicht wegbekommen, aber Sie werden lernen, besser damit umzugehen.

Wie funktioniert das?

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Das ist ganz trivial. Sie haben bestimmt schon von Menschen gehört, die bei einem Unfall auf der Autobahn anderen helfen und erst nach einer Weile feststellen, dass sie selbst eine riesige Wunde haben. Diese sogenannte Dissoziationsfähigkeit haben wir von der Evolution mitbekommen. In Extremsituationen wird dadurch zum Beispiel das Schmerzbewusstsein ausgeschaltet. Die Hypnotherapie nutzt diese mentale Fähigkeit auch in anderen Situationen.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hypnose, Klaus Hönig.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hypnose, Klaus Hönig.

Bei welcher Art von Schmerzen ist die Wirksamkeit von Hypnose besonders gut belegt?

Die meisten Erfahrungen hat man bei Schmerzen, die bei invasiven medizinischen Verfahren auftreten, also etwa Punktionen oder Bestrahlungen. Da wirkt Hypnose hervorragend. Auch zum Beispiel bei Beschwerden, die in Zusammenhang mit Krebs auftreten, gibt es gute Belege für die Wirksamkeit. Selbst bei chronischen Schmerzen kann man viel erreichen. Ich habe Patienten, die immer wieder unter starken Schmerzen leiden, weil bei ihnen Nerven im Gesichtsbereich durch eine Operation geschädigt wurden. Für sie geht es darum, besser mit diesen Schmerzen zurechtzukommen. Sie können nicht dauerhaft hochdosierte Schmerzmittel nehmen.

Wie läuft die Behandlung ab?

Zunächst will man einen Trancezustand erreichen. Zum Beispiel richtet man die Augen auf einen Punkt und stellt fest, dass sie dabei müde werden. Das greifen wir auf und verstärken es.

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Als Laie stellt man sich gern ein Pendel vor, auf das man schauen soll.

Das Pendel kommt so gut wie gar nicht zum Einsatz. Man könnte es aber nehmen. Wichtig ist, dass Sie einen Fokus haben, der Ihnen erlaubt, Ihre Aufmerksamkeit zu bündeln und alles andere auszublenden. Sie können genauso gut die schwäbische Methode nutzen und sich auf einen dreckigen Fleck am Boden konzentrieren.

Was genau verstehen Sie unter Trance?

Trance ist ein neurophysiologisch veränderter Bewusstseinszustand mit vielen positiven Merkmalen. Man blendet irrelevante Reize besser aus, hat intensivere innere Vorstellungsbilder, und Emotionen sind viel leichter zugänglich. Evolutionär betrachtet ist es ein vorsprachlicher Lernzustand, der vorrangig sinnlich wahrnehmbare Reize assoziativ verarbeitet. Kinder können extrem leicht in Trance gehen. Mit dem Zunehmen der sprachlichen, rationalen Verarbeitung nimmt die Trancenutzung bei uns Menschen ab. Sie wird sozusagen in den Hintergrund gedrängt, kann aber trotzdem genutzt werden. In der Hypnotherapie wollen wir damit angenehme Erfahrungen ermöglichen. Das heißt: Ich kann jemanden von seinem Schmerzgeschehen dadurch ablenken, dass ich ihn an einen freudvollen Ort gehen lasse, der ihn komplett absorbiert.

Können Sie das näher erklären?

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Ich hatte eine Patientin, die nach einer Stammzelltransplantation unter fürchterlichen Schmerzen litt. Ihre Mundschleimhaut war so stark entzündet, dass sie sogar beim Schlucken extreme Beschwerden hatte. Sie war fast Tag und Nacht wach. In der Vorstellung bin ich mit ihr an die Nordsee gegangen. Da war sie gern. Dort hat sie einen Strandspaziergang gemacht und die Sonne auf der Haut gespürt, die Wellen gehört, die Luft eingeatmet und das Salzige auf Lippen und Zunge gespürt. Anfangs war ihr Gesicht schmerzverzerrt, wenn sie geschluckt hat. Aber nach zehn Minuten habe ich keine mimische Reaktion mehr gesehen. Nach einer Stunde habe ich das Ganze formal beendet, sie in ein Dösen übergeleitet und gesagt, sie soll ruhig noch etwas ausruhen, wenn sie mag. Am nächsten Tag war sie völlig erholt und hat mich gefragt: Was war denn das? Sie hätte gar nichts mehr gespürt. Selbst so massive Schmerzen lassen sich also für die Zeit der Trance ausschalten. Die Schmerzen sind nach einer Weile zwar wiedergekommen, aber die Erfahrung hat der Frau eine erholsame Regenerationspause ermöglicht und viel Mut für die weitere Behandlung gemacht. Sie hat sich nicht mehr so hilflos gefühlt.

Gibt es Menschen, die nicht darauf ansprechen?

Etwa 10 Prozent geraten kaum in Trance, auch wenn sie sich noch so abmühen. Das heißt aber, dass 90 Prozent diesen Zustand erleben können und auf die Behandlung ansprechen.

Hat die Therapie auch Risiken und Nebenwirkungen?

Alles, was wirkt, hat Nebenwirkungen, und Hypnose wirkt gut und oft schnell. Am häufigsten wird anhaltende Benommenheit beschrieben, manchmal begleitet von Kopfschmerzen. Das sind aber alles nur vorübergehende Zustände, die zudem selten auftreten. Solang Hypnose fachkundig und sachgerecht angewendet wird, gibt es nur Nebenwirkungen, die meist auch von selbst wieder abklingen.

Liefert man sich nicht auch aus?

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Sie werden sich in der klinischen Hypnose immer nur auf das einlassen, wozu Sie auch bereit sind. Wenn der Hypnotiseur etwas erreichen will, was mit ihren ethischen und moralischen Vorstellungen nicht im Einklang ist, dann wird das nicht gelingen. Das wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt.

Oft liest man auch von Selbsthypnose. Wie funktioniert sie?

Gerade im Schmerzbereich ist das eine ganz wichtige Form der Behandlung. Das hat eine Metaanalyse von 2019 bestätigt. Wir versuchen, sie unseren Patienten näherzubringen und nehmen die Sitzungen mit dem Handy auf. Die Patienten sind dazu angehalten, sich immer wieder Auszeiten zu gönnen, in denen sie sich die Aufnahmen anhören. Wie bei autogenem Training oder progressiver Muskelentspannung kann man für sich trainieren, in Trance zu gehen und angenehme Zustände aufsuchen. Wichtig ist, dass Sie einen geschützten Rahmen haben und die Sitzung bis zum Ende durchführen können. Wenn Sie vorher aussteigen, sind Sie noch in einem Zwischenzustand.

Was könnte da passieren?

Dass Sie benommen oder auf eine verletzliche Weise der Welt ausgesetzt sind. Vielleicht sind Sie auch nicht so konzentriert, wenn Sie ins Auto steigen.

Es gibt auch Kurse, in denen man Selbsthypnose lernt. Eine sinnvolle Sache?

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Schwierig. Ich merke immer wieder, dass das eine sehr individuelle Geschichte ist. Ich würde nie einem Patienten, der sich bei mir meldet, vorab ein Tonband schicken mit der Aufforderung: Trainieren Sie schon mal ein bisschen! Es ist ganz wichtig, den Patienten zuerst kennenzulernen und auch zu wissen, welche Risikofaktoren möglicherweise da sind.

 

Hypnose: Was ist das?

Das griechische Wort „hypnos“ bedeutet Schlaf. Doch diese Ableitung führt in die Irre: Hypnotisierte Menschen sind bei vollem Bewusstsein, befinden sich aber in Trance. Solche Trancezustände erlebt jeder im Alltag, wenn man sich auf eine Tätigkeit stark konzentriert: zum Beispiel, wenn man Musik hört oder ein Fotoalbum anschaut. Die durch Hypnose hervorgerufene Trance ist allenfalls länger und intensiver. In diesem veränderten Bewusstseinszustand sind Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen besser zugänglich. Das machen sich Hypnotherapeuten zunutze: Durch Suggestionen versuchen sie, das Unterbewusste des Patienten zu beeinflussen.

Hypnose ist ein Heilmittel mit langer Geschichte und wurde vermutlich schon im alten Ägypten angewandt. Sehr viel später, im frühen 19. Jahrhundert, nutzten Ärzte das Verfahren, um Patienten Operationen erträglicher zu machen. Mit der Entwicklung chemischer Narkosemittel geriet es aber in Vergessenheit. Heute ist Hypnotherapie ein wissenschaftlich anerkanntes Mittel gegen Schmerzen aller Art. In Form von Selbsthypnose, die mit autogenem Training verwandt ist, kann man sie auch einfach und relativ gefahrlos selbst anwenden. Wer sich für das Verfahren interessiert, sollte sich an einen entsprechend geschulten Therapeuten wenden. Wenn Hypnose nicht fachgerecht angewandt wird, kann sie nämlich auch Risiken haben. Über die Webseiten der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie, der Milton H. Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose (MEG) und der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose lassen sich qualifizierte Therapeuten ausfindig machen.

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