Hospitalisierungsrate: Was bedeutet die Corona-Kennzahl – und wie aussagekräftig ist sie?

Die Zahl der Corona-Patientinnen und -Patienten pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner binnen sieben Tagen in den regionalen Kliniken ist zur wichtigsten Messlatte geworden – auch als Auslöser für neue Alltagsbeschränkungen.

Die Zahl der Corona-Patientinnen und -Patienten pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner binnen sieben Tagen in den regionalen Kliniken ist zur wichtigsten Messlatte geworden – auch als Auslöser für neue Alltagsbeschränkungen.

Die Corona-Lage in Deutschland ist dramatisch. Die Zahl der Neuinfektionen steigt rasant, ebenso wie die Sieben-Tage-Inzidenz. Letztere ist während der vergangenen Infektionswellen der entscheidende Richtwert für verschärfte Maßnahmen in der Pandemie gewesen. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder wollen nun stattdessen die Hospitalisierungsrate in den Blick nehmen. Aber was meint die Corona-Kennzahl eigentlich konkret? Fragen und Antworten zum neuen Corona-Indikator:

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Was gibt die Hospitalisierungsrate an?

Die Hospitalisierungsrate gibt Auskunft über die Belastung in den Krankenhäusern. Der Wert gibt an, wie viele Patientinnen und Patienten in den vergangenen sieben Tagen wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.

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Wie hoch ist die Hospitalisierungsrate derzeit?

Das Robert Koch-Institut (RKI) bezifferte die bundesweite Hospitalisierungsrate am Freitagmorgen mit 5,34. Am Vortag hatte sie noch bei 6,15 gelegen. Den bisher höchsten Wert verzeichnete die Behörde mit 15,5 in der Weihnachtszeit vergangenen Jahres.

Berücksichtigt werden muss hierbei, dass es in den Bundesländern eine unterschiedliche Entwicklung der Hospitalisierungsrate gibt. Das Bundesland mit den meisten stationär behandelten Corona-Patientinnen und -Patienten ist zurzeit Thüringen (17,55), gefolgt von Sachsen-Anhalt (11,92) und Bayern (9,15). Die wenigsten Neuaufnahmen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen verzeichnet Hamburg (1,94).

Ab welcher Hospitalisierungsrate werden Maßnahmen verschärft?

Bis zuletzt hatte es keinen Schwellenwert für die Hospitalisierungsrate gegeben, ab dem Maßnahmen verschärft werden sollten. Jetzt haben die geschäftsführende Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten bei ihrer Konferenz am vergangenen Donnerstag gleich drei Grenzmarken festgelegt.

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Überschreitet die Hospitalisierungsrate einen Wert von 3, soll bundesweit eine 2G-Regel gelten. Das bedeutet, nur noch Genesene und Geimpfte erhalten dann Zugang zu Freizeit- und Sportveranstaltungen, zum Ausüben von Sport, zur Gastronomie, zu Beherbergung und körpernahen Dienstleistungen.

Ab einer Hospitalisierungsrate von 6 soll eine 2G-Plus-Regel eingeführt werden, bei der der Zutritt zu bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens auf Geimpfte und Genesene beschränkt ist, die zusätzlich noch ein negatives Testergebnis vorlegen können. Diese Maßnahme soll für Orte gelten, an denen das Infektionsrisiko besonders hoch ist, etwa Diskotheken, Clubs und Bars.

Liegt die Hospitalisierungsrate bei 9 wollen die Länder eine Öffnungsklausel im Infektionsschutzgesetz nutzen. Diese ermöglicht ihnen, härtere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen oder Verbote von Veranstaltungen zu verhängen. Dazu brauche es jedoch die Zustimmung des jeweiligen Landtags, wie Noch-Kanzlerin Merkel auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die Bund-Länder-Runde erklärte.

Wie kommen diese Schwellenwerte zustande?

Die Höhe der Grenzwerte fußt auf rein politischen Entscheidungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse liegen dem nicht zugrunde; denn es gibt weder Daten noch Erfahrungen, die die Hospitalisierungsrate mit Maßnahmen in Verbindung setzen.

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Das RKI hatte beispielsweise in dem Stufenkonzept seiner ControlCOVID-Strategie niedrigere Schwellenwerte festgelegt, basierend auf modellierten Szenarien für den Herbst/Winter 2021/22. Die Behörde unterscheidet zwischen einer Basisstufe, Stufe 1 und Stufe 2. Sie berücksichtigt neben der Hospitalisierungsrate auch die Sieben-Tage-Inzidenz und die Zahl der Corona-Intensivfälle.

  • Basisstufe: Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei unter 35, die Hospitalisierungsrate bei weniger oder gleich 1,5 und die Zahl der Corona-Intensivfälle bei weniger oder gleich drei Prozent.
  • Stufe 1: Die Sieben-Tage-Inzidenz beträgt 35 bis 100, die Hospitalisierungsrate zwischen 1,5 und 5, und die Zahl der Corona-Intensivfälle zwischen drei und zwölf Prozent.
  • Stufe 2: Die Sieben-Tage-Inzidenz überschreitet die Marke von 100, die Hospitalisierungsrate liegt bei mehr als 5 und die Zahl der Corona-Intensivfälle bei mehr als zwölf Prozent.

Ein Stufenwechsel erfolgt dann, wenn zwei der drei Leitindikatoren die Kriterien drei Tage in Folge erfüllen. Mit der aktuellen Hospitalisierungsrate von 5,34 und einer Sieben-Tage-Inzidenz von 340,7 befinde sich Deutschland nach dem RKI-Konzept in der Stufe 2. Diese sieht beispielsweise eine 3G-Regelung mit Schutzkonzepten im Einzelhandel und bei körpernahen Dienstleistungen vor, sowie 2G mit Schutzkonzepten und reduzierter Personenzahl in Bars und Clubs.

Wie gut lässt sich mit der Hospitalisierungsrate das Infektionsgeschehen bewerten?

Bei der Hospitalisierungsrate handelt es sich um einen zeitverzögerten Parameter. Denn nicht sofort erkranken Corona-Infizierte so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. In der ersten Welle vergingen zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung und der Einweisung in die Klinik im Durchschnitt vier Tage, wie das RKI in seinem Coronavirus-Steckbrief schreibt. Eine Beatmung auf der Intensivstation wird demnach im Schnitt 16 Tage nach Infektion benötigt. Das heißt, die Auswirkungen des Infektionsgeschehens auf die Auslastung der Krankenhäuser zeigen sich immer erst mit einem zeitlichen Verzug.

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Hinzu kommt ein Meldeverzug der hospitalisierten Fälle, auf den das RKI in seinem aktuellen Wochenbericht hinweist: „Zwischen dem Beginn des Krankenhausaufenthalts eines Covid-19-Falles und dem Zeitpunkt, an dem diese Information am RKI eingeht, entsteht ein zeitlicher Verzug.“ Das hat zur Folge, dass die von der Behörde angegebenen tagesaktuellen Werte zur Hospitalisierungsrate deutlich zu niedrig sind, also unterschätzt werden.

Wie eine Analyse des Fernsehsenders NDR Anfang Oktober ergeben hat, dauert es 21 Tage, bis die Neuaufnahmen in den Krankenhäusern durch Nachmeldungen zu wenigstens 95 Prozent erfasst sind. Wie schnell dies geschieht, hängt auch davon ab, wie schnell die Bundesländer diese übermitteln. Denn nicht alle Bundesländer sind gleich schnell bei den Meldungen.

Aufgrund des zeitlichen Verzugs schätzen Expertinnen und Experten die Datengrundlage für die Hospitalisierungsrate als problematisch ein. Gehe man davon aus, dass es eine zeitliche Verzögerung zwischen Infektion und Hospitalisierung von mehreren Wochen gibt, „ist es bei alleiniger Betrachtung der Hospitalisierungsrate eventuell zu spät für Gegenmaßnahmen, da man zu spät sieht, welche Welle auf einen zurollt“, sagte etwa der Virologe Prof. Stephan Ludwig vom Universitätsklinikum Münster Ende August gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Um die Entwicklung der Hospitalisierungsrate besser einschätzen zu können, nutzt das RKI ein statistisches Verfahren: die sogenannte Nowcastingberechnung. Sie ermöglicht es, den Meldeverzug auszugleichen und realistischere Werte zu schätzen. Die Ergebnisse der Nowcastingberechnung veröffentlicht die Behörde in ihrem Wochenbericht:

Der vom RKI erfasste und geschätzte Verlauf der Hospitalisierungsrate. (Screenshot)

Der vom RKI erfasste und geschätzte Verlauf der Hospitalisierungsrate. (Screenshot)

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Es zeigt sich: Die auf den Meldedaten beruhende Hospitalisierungsinzidenz (in grau) sinkt seit Anfang November. Während die mithilfe der Nowcastingberechnung geschätzte Rate (grün hinterlegt), die auch die noch zu erwartenden Hospitalisierungen enthält, kontinuierlich steigt. Sie wäre zuverlässiger, wird aber bisher nicht bei der politischen Entscheidungsfindung berücksichtigt.

Reicht die Hospitalisierungsinzidenz als alleiniger Parameter zur Bewertung der Corona-Lage aus?

Nur anhand der Hospitalisierungsinzidenz lässt sich die Corona-Lage in Deutschland nicht bewerten, insbesondere weil sie aufgrund des zeitlichen Verzugs zu spät im Verlauf des Infektionsgeschehens angreift. Vielmehr braucht es nach Einschätzung von Expertinnen und Experten einen Dreiklang an Corona-Indikatoren.

„Es gibt drei wichtige Faktoren“, erklärte auch RKI-Chef Lothar Wieler am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Berlin. „Das eine sind die Inzidenzen. Die reflektieren die Infektionsdynamik. Der zweite sind die Hospitalisierungen. Die reflektieren die schwere des Krankheitsgeschehens. Und das dritte ist die Rate auf ITS (Auslastung der Intensivstationen, Anm. d. Red.). Die ist ein Indikator für die Belastung des Gesundheitssystems.“

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Die Sieben-Tage-Inzidenz als Parameter war in den vergangenen Monaten zunehmend in die Kritik geraten. Wegen der steigenden Impfquote verliere sie an Aussagekraft, verlautete es aus der Politik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler widersprachen: „Sie bleibt für das Monitoring der Pandemie im Übergang von der vierten und eventuell weiteren Wellen in die endemische Phase unverzichtbar und der wichtigste Indikator“, hatte etwa Hartmut Hengel, Direktor des Instituts für Virologie am Universitäts­klinikum Freiburg, Anfang August auf Anfrage des RND erklärt.

Wir haben diesen Text am 19. November umfassend aktualisiert.

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