Hausarzt im Corona-Alltag: „Hätte die Regierung keinen Lockdown verhängt, wäre ich verzweifelt“
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An der Virusfront: Blick in ein Sprechzimmer einer Hausarztpraxis (Symbolbild).
© Quelle: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbi
Die Intensivmediziner haben täglich an vorderster Front mit der Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland zu tun. Aber auch die Hausärzte sind täglich mit Corona-Infizierten, Verdachtsfällen – und vielen weiteren Erkrankungen konfrontiert. Einer, der beide Welten gut kennt, ist Marc Hanefeld.
Der 43-Jährige leitet eine hausärztliche Praxis in einer Kleinstadt im Norden Deutschlands. Davor hat der Landarzt jahrelang als Intensivmediziner im Krankenhaus gearbeitet – bis es ihn in das rund 19.000 Einwohner zählende Bremervörde zog. Im RND-Interview spricht der Arzt über den Pandemiealltag, Zweifel unter Medizinern an Masken und Lockdown – und wieso im Moment nicht jeder Patient eine Grippeimpfung bekommen kann.
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Die Pandemie und wir
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Herr Hanefeld, wie fühlen Sie sich als Hausarzt mitten in der zweiten Corona-Infektionswelle?
Ich habe weiterhin Sorge, dass ich oder einer meiner Mitarbeiter sich infiziert und schwer erkrankt. Wir fühlen uns aber besser vorbereitet als im Frühjahr. Wir hatten damals nicht genügend Desinfektionsmittel, Handschuhe, Abstrichtupfer, Schutzkittel, Masken. Mittlerweile können Hausärzte das Material jederzeit nachbestellen.
Damals habe ich meine Praxis geschlossen, als ich die Bilder in Bergamo gesehen habe. Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, wie sich der Pandemieverlauf auf unsere Region auswirken würde. Routinetätigkeiten wie Vorsorgen habe ich gestoppt, nur dringliche Fälle behandelt und am Telefon beraten. Inzwischen haben wir aber viel gelernt über Corona, die Krankheit, Aerosole, Diagnostik und Masken.
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Marc Hanefeld leitet eine hausärztliche Praxis im Norden Deutschlands.
© Quelle: Privat
Es gibt auch Zweifel an den Maßnahmen, unter anderem von Medizinern geäußert. Zwei jüngste Beispiele: Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt zeigte sich von Masken nicht überzeugt, die kassenärztliche Bundesvereinigung hat den Lockdown kritisiert.
Es gibt in der Corona-Pandemie auch Ärzte, die Fakten infrage stellen. Es sind leider nicht alle Kollegen in der Lage, dem wissenschaftlichen Konsens zu folgen: also dass Masken helfen und harte Maßnahmen effektiv sind. Natürlich gibt es Annahmen, die widerlegbar sind. Aber es sollte in der Pandemie nicht darum gehen, sich in Einzelaspekten und Privatmeinungen zu verlieren. Wissenschaft ist ein stabiles Netz, das sich auf viele Beobachtungen stützt – und dadurch auch verlässliche Prognosen entwickeln kann. Darauf verlasse ich mich als Arzt.
Corona im Winter: Ein Problem für Intensivmediziner und Hausärzte
Es ist unsere Aufgabe, genau zu schauen, wer ins Krankenhaus eingeliefert werden muss und wer auch ambulant weiterbetreut werden kann.
Befürchten Sie, im Pandemiewinter überrollt zu werden?
Hätte die Bundesregierung keinen Teil-Lockdown verhängt, wäre ich verzweifelt. Die Infektionszahlen gehen exponentiell hoch, die Intensivstationen füllen sich, und die Kontaktnachverfolgung bricht zusammen. Es kann also gut sein, dass auch wir Hausärzte mit Covid-19-Patienten geflutet werden. Es ist unsere Aufgabe, genau zu schauen, wer ins Krankenhaus eingeliefert werden muss und wer auch ambulant weiterbetreut werden kann.
Sie haben lange als Notarzt gearbeitet und waren leitender Oberarzt in der Intensivmedizin. Mit welchen Problemen rechnen Sie bei Ihren ehemaligen Kollegen?
Wir haben zwar ausgebildete Katastrophenmediziner. Es ist aber so, dass wir es in der Intensivmedizin gewöhnt sind, alle Maßnahmen auf einen Patienten zu bündeln. Für Triage-Situationen mit Abbruch von Maßnahmen nur aus Gründen der Behandlungskapazitäten – dafür sind wir alle nicht ausgebildet und vorbereitet.
Im Winter gibt es immer eine sehr hohe Bettenauslastung mit entsprechenden Schwierigkeiten, Intensivpatienten zu jeder Zeit unterbringen zu können. Da fehlt uns Covid gerade noch. Es geht immer um die Frage: Wie bekommen wir noch ein Bett frei? Oft wird ein Patient, der auf der Intensivstation aus medizinischer Sicht noch einige Zeit weiter betreut werden könnte, früher auf eine andere Station verlegt. In der Pandemie verschärft sich das jetzt noch einmal. Herzinfarkte, Schlaganfälle und Unfälle werden ja trotz vieler Covid-19-Patienten weiter passieren.
Hausarzt besuchen: Schutzmaßnahmen gegen Angst vor Ansteckung
Ich kenne auch Kollegen, die Abstriche im Carport nehmen.
Weil das Virus vermehrt zirkuliert, steigt auch die Ansteckungsgefahr im medizinischen Bereich. Welche Schutzmaßnahmen haben Sie in Ihrer hausärztlichen Praxis umgesetzt?
Ich kann meinen Patienten versichern, dass sie guten Gewissens in die Praxis kommen können. Niemand sollte bei einer Erkrankung abseits von Covid-19 aus Angst vor Ansteckung zu Hause bleiben. Es gibt weiterhin eine Kernsprechstunde. Patienten mit jeglichen Infekten behandeln wir ausschließlich in einer an den Rändern liegenden Infektsprechstunde. Patienten kommen dann über einen separaten Eingang in ein separates Behandlungszimmer, wo der PCR-Abstrich genommen wird.
Die Praxis wird jetzt im Winter regelmäßig stoßgelüftet, während der Infektsprechstunde in den entsprechenden Behandlungszimmern durchgehend. Nicht jeder Hausarzt hat natürlich solche räumlichen Möglichkeiten. Aber es gibt flexible Lösungen. Ich kenne auch Kollegen, die Abstriche im Carport nehmen.
Ist es denn eine einfache Entscheidung, wer einen PCR-Test bekommt? Fieber, Schnupfen und Husten sind recht unspezifische Symptome.
Die Diagnose fällt wirklich schwer. Die typischen Symptome laut Robert-Koch-Institut haben sich bei den bestätigten Covid-Fällen in meiner Praxis nicht oft wiedergefunden. Keiner hat von Geschmacks- oder Geruchsverlust berichtet, keiner hatte hohes Fieber. Oft habe ich Halsschmerzen und einen roten Rachen festgestellt. Auch Bauchschmerzen, ein bisschen Durchfall sind vorgekommen.
Für Triage-Situationen mit Abbruch von Maßnahmen nur aus Gründen der Behandlungskapazitäten – dafür sind wir alle nicht ausgebildet und vorbereitet.
Corona-Patienten mit schwererem Verlauf sind ganz schwer zu beurteilen. Viele haben bereits eine miserable Sauerstoffsättigung in der Lunge, was man ihnen aber auf den ersten Blick überhaupt nicht ansieht. Um das zu beurteilen, frage ich immer: Können Sie noch entspannt ohne Atemnot Treppen steigen?
Reichen Ihre Kapazitäten, um Abstriche aller Verdachtsfälle zu nehmen?
Die Verdachtspatienten mit Symptomen kann ich unter sicheren Bedingungen abstreichen. Das ist gar kein Problem. Meine Praxis kann im Schnitt bei 20 bis 30 Erkrankten am Tag einen PCR-Test durchführen – eventuell auch mehr, wenn es hart auf hart kommt. Mir als Hausarzt würden aber regionale Abstrichzentren für Asymptomatische helfen. Wir haben zum Beispiel gerade in der Gemeinde einen Ausbruch an einer Schule und in einer Kindertagesstätte. Dort wollen plötzlich alle einen Abstrich haben. Das können wir Hausärzte aber nicht leisten. Denn wir sollen uns ja vorrangig um die Kranken kümmern.
Pro Abstrich können Sie 15 Euro Honorar abrechnen. Reicht das?
Das ist nicht kostendeckend. Ein Abstrich bedeutet extrem viel Arbeit. Ich muss die Schutzausrüstung stellen, den Patienten beraten und untersuchen, den Abstrich nehmen, Dokumente vorbereiten und an das Labor faxen. Ich muss die Rückrufnummern sicherstellen, eventuell Atteste ausgeben.
Und ich muss möglichst viel über die Umstände der möglichen Corona-Infektion herausfinden: Wie viele Kontakte hatte der Patient, gehört er einer Risikogruppe an oder hatte er Risikokontakte? Von welchen Symptomen berichtet er, wurde er von der Warn-App informiert oder von Freunden? Gab es Cluster-Situationen, eine Reise in ein Risikogebiet? Als wäre das nicht schon genug, gibt es auch noch ein kompliziertes Abrechnungssystem der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Um das zu verstehen, muss man quasi ein Atomphysikstudium absolviert haben.
Impfstoff: Auch bei Grippe sind erst die Risikogruppen dran
Es ist die schwierige Aufgabe der Hausärzte, zu entscheiden, wer die Impfung zuerst bekommt.
Gesundheitsminister Spahn hatte an alle Bürger appelliert, sich gegen Influenza impfen zu lassen, damit nicht zu viele Grippe- und Corona-Kranke gleichzeitig das Gesundheitssystem überlasten. Reicht der Impfstoff für die Nachfrage bei Ihren Patienten?
Die Empfehlung vom Gesundheitsminister geht an der Wirklichkeit vorbei. Es kann sich nicht jeder gegen Grippe und Pneumokokken impfen lassen. Zuerst sind die Risikogruppen dran. Wir haben im Februar Impfstoff bestellt. Da konnte man noch nicht absehen, dass der Bedarf jetzt so hoch wird. Viele Ärzte versuchen noch nachzubestellen, wissen aber nicht, ob nachgeliefert wird.
Das klingt nach einem ähnlichen Vorgehen wie bei einer möglichen Corona-Impfung. Auch dort ist aufgrund limitierter Mengen davon auszugehen, dass nicht alle sofort geimpft werden können.
Genau. In Deutschland gibt es rund 40 Millionen Menschen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf bei der Influenza haben. Es stehen im Herbst aber nur rund 20 Millionen Impfstoffdosen zur Verfügung. Es ist die schwierige Aufgabe der Hausärzte, zu entscheiden, wer die Impfung zuerst bekommt. Jeder einzelne Patient muss genau beurteilt werden anhand von Vorerkrankungen und Alter. Ich gehe aber davon aus, dass die Grippewelle auch wegen der Corona-Maßnahmen – Abstand, Maske, weniger Kontakte – diese Saison weniger stark ausfällt.
Auf Twitter ist Marc Hanefeld als @Flying__Doc zu finden. Auf der Plattform äußert er sich regelmäßig zu Pandemiedebatten.