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Faktencheck: Warum man Sterberaten von Covid-Geimpften und Kranken nicht einfach so vergleichen kann

Eine Seniorin erhält im DRK-Seniorenwohnpark Großräschen ihre erste Corona-Impfung.

Eine Seniorin erhält im DRK-Seniorenwohnpark Großräschen ihre erste Corona-Impfung.

In einem Beitrag auf Facebook wird vor angeblich dramatischen Schäden der Corona-Impfung gewarnt: „Die Sterberate von an Corona erkrankten Menschen, die geimpft wurden, liegt bei 4,7 Prozent. Bei erkrankten Ungeimpften dagegen nur bei 0,15 Prozent. Das heißt, dass das Risiko, an Corona zu sterben, für Geimpfte um mehr als 30 Prozent höher ist als für Ungeimpfte“, heißt es auf einem Foto.

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Dazu wird ein Foto eines Zeitungsartikels gezeigt, in dem die Zahlen dieser vermeintlichen Sterberaten erläutert werden. Ein Faktencheck.

Einordnung: 30 Prozent höheres Sterberisiko ist erfunden

Die Angabe eines 30 Prozent höheren Sterberisikos an Corona für Geimpfte ist erfunden. Impfungen verhindern Corona-Todesfälle mit hoher Wirksamkeit. Die Zahlen, auf deren Basis das falsche Sterberisiko berechnet wurde, beschreiben verschiedene Kategorien von Sterberaten und können nicht rechnerisch miteinander in Bezug gesetzt werden. Der Zeitungstext ist ein Leserbrief, kein journalistisch recherchierter Artikel.

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Der abgebildete Zeitungstext erschien am 28. Mai 2021 in der „Neuen Württembergischen Zeitung“, genauer im Lokalteil „Göppinger Kreisnachrichten“. Es handelt sich um einen Leserbrief, nicht um einen Artikel eines Journalisten oder einer Journalistin. Erkennbar ist das an dem Hinweis „Zu den Berichten über die Covid-19-Impfung“ und der Angabe von Verfasser und dessen Wohnort unter dem Text. Der Leser nennt zuerst die Zahl, dass „bereits über 57.000 Covid-Fälle von ein- oder zweifach Geimpften gemeldet wurden, mit einer Sterberate von 4,7 Prozent (= 2707 Tote)“.

Todesfälle unter Erstgeimpften

Über diese Zahlen hat auch die Nachrichtenseite „Business Insider“ berichtet. Der Deutschen Presse-Agentur (dpa) liegen sie nach einer Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium ebenfalls vor. Der Leserbriefverfasser erwähnt nicht, dass von den 57.146 Corona-Infektionen unter Geimpften 44.059 Fälle (77 Prozent) unter Erstgeimpften auftraten – diese haben noch keinen vollen Impfschutz.

Auch teilte das Gesundheitsministerium laut „Business Insider“ nicht mit, ob sich die 13.087 Zweitgeimpften tatsächlich mehr als zwei Wochen nach der zweiten Spritze mit Corona infizierten oder innerhalb dieser zwei Wochen – wenn noch kein voller Impfschutz gilt. Insgesamt sind diese Fälle aufgetreten, als 36 Millionen Impfdosen bereits verabreicht wurden, darunter 29,8 Millionen Erstgeimpfte.

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Alter der Geimpften unbekannt

Die erwähnten 2707 Covid-Todesfälle unter Geimpften betreffen ebenfalls mehrheitlich nur Erstgeimpfte, nämlich 2045 Personen, die noch keinen vollen Impfschutz haben. Unter den Zweitgeimpften starben 662 Menschen an oder mit einer Covid-Erkrankung. Nicht bekannt ist das Alter derjenigen, die trotz Impfung an oder mit der Covid-Erkrankung starben. Alter sowie Vorerkrankungen sind Risikofaktoren für einen schweren Covid-Verlauf. Da ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen zuerst geimpft wurden, kann auch das die Zahl der Todesfälle beeinflussen.

Grundsätzlich schützen die Impfungen gut vor einer schweren Covid-Erkrankung, auch wenn sie nie alle Fälle vermeiden können. Ihre Wirksamkeit liegt laut den Zulassungsstudien zwischen 70 und 95 Prozent – je nach Impfstoff. Studien in den Fachmagazinen „The Lancet“ und „THe New England Journal of Medicine“ konnten die Wirksamkeit in der Praxis anhand von Daten aus Israel bestätigen.

Leserbriefschreiber macht Fehler

Im weiteren Verlauf macht der Leserbriefschreiber den Fehler, zwei unterschiedliche Kategorien miteinander zu vergleichen – die Fallsterblichkeit und die Infektionssterblichkeit.

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Der Anteil der geimpften Verstorbenen an der Zahl der Corona-Infektionen nach Impfung stellt eine sogenannte Fallsterblichkeit (CFR) dar, beziehungsweise einen Teilbereich davon. Das bedeutet, dass Todesfälle ins Verhältnis gesetzt werden zu gemeldeten Infektionsfällen. Die Dunkelziffer unbekannter Fälle wird nicht einberechnet. Der Wert ist also von der Zahl der durchgeführten Corona-Tests beeinflusst.

Globaler Durchschnitt der Infektionssterblichkeit

Damit nicht zu verwechseln ist die Infektionssterblichkeit (IFR). Sie gibt das Verhältnis der Verstorbenen zur Gesamtzahl aller Erkrankten inklusive Dunkelziffer an. Die Infektionssterblichkeit ist nicht einfach zu berechnen: Die Dunkelziffer muss geschätzt oder mit umfangreichen Tests ermittelt werden.

Die in einer Studie der Universität Stanford ermittelten 0,15 Prozent beschreiben eine solche Infektionssterblichkeit (IFR). In der Metastudie wurden mehrere nationale oder regionale Berechnungen zusammengeführt und so ein globaler Durchschnitt der Infektionssterblichkeit gebildet. Dieser Wert ist aber mit Vorsicht zu genießen – das schreibt auch der Autor der Studie selbst: „Die IFR hängt von der betroffenen Umgebung und der betroffenen Bevölkerung ab.“ Das Alter der Bevölkerung oder die Stärke des Gesundheitssystems, was weltweit sehr unterschiedlich ausfällt, beeinflussen eine höhere oder eben niedrigere Sterblichkeitsrate.

Vergleich ergibt keinen Sinn

Die Studie erschien im März 2021 im Fachmagazin „European Journal of Clinical Investigation“ und gilt nicht „laut WHO“, wie es im Leserbrief fälschlicherweise angegeben ist. Sie wurde auch in keiner WHO-Veröffentlichung publiziert.

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Anhand dieser beiden unterschiedlichen Werte von Sterberaten hat der Leser offenbar selbst ermittelt, dass 4,7 Prozent 30-mal größer ist als 0,15 Prozent. Inhaltlich ergibt dieser angebliche Vergleich von Sterberaten jedoch keinen Sinn – denn er vergleicht Zahlen, die auf gänzlich verschiedenen Berechnungsgrundlagen beruhen.

RND/dpa

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